FC Bayern München nach dem Patzer gegen Borussia Mönchengladbach: Zeit für die Lewy-Frage

Der FC Bayern ist gegen Gladbach nicht über ein 1:1 hinausgekommen.
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Nach dem 1:1 gegen Borussia Mönchengladbach stellt sich beim FC Bayern München erstmals die Lewy-Frage: Fehlt dem Kader doch ein Weltklasse-Mittelstürmer?

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Thomas Müller ist beim FC Bayern München nicht mehr nur Spielmacher, Raumdeuter und Witzbold. So lange wie er mittlerweile dabei ist, geht der 32-Jährige auch schon als Klub-Chronist durch. Nach dem 1:1 gegen Borussia Mönchengladbach wurde Müller dieser Rolle jedenfalls vollends gerecht, indem er einen durchaus ungewöhnlichen Vorgang tadellos in einen historischen Kontext setzte.

Es ging um eine Szene in der 85. Minute dieses wilden Spitzenspiels. Trotz brutalster Unterlegenheit hielten die Gäste lange eine 1:0-Führung, nach Leroy Sanés spätem Ausgleich stand es nun remis. Unter dem Applaus der Münchner Fans verließ Torschütze Sané den Platz.

Stattdessen schickte Trainer Julian Nagelsmann Matthijs de Ligt auf den Platz. Beruf: Innenverteidiger. Aufgabe: Siegtor. Tatsächlich spielte der niederländische Star-Einkauf in der Schlussphase Stürmer. Mit irgendeinem Teil seines 1,89 Meter großen Körpers sollte er den Ball noch ins Tor bugsieren, was ihm trotz einer guten Chance nicht gelang.

"Ich habe noch zu Zeiten gespielt, als das Daniel van Buyten gemacht hat", sagte Müller also, müdes Lächeln auf den Lippen. "Das ist nichts Ungewöhnliches. Die Maßnahme war eine gute Idee." Van Buyten - Innenverteidiger, 1,97-Meter-Koloss, Sohn eines belgischen Berufscatchers - erzielte zwischen 2006 und 2014 insgesamt 28 Tore für den FC Bayern. Nicht wenige davon als Stürmer kurz vor Spielende.

FC Bayern München: Risiko bewusst gewählt

Zwischen der Ära van Buyten und der Ära de Ligt gibt es aber einen kleinen Unterschied. Damals hatten die jeweiligen Trainer als Alternative zum Innenverteidiger-Brecher auch herausragende Mittelstürmer zur Verfügung: Roy Makaay, Miroslav Klose, Luca Toni, Lukas Podolski, Mario Gomez, Claudio Pizarro, Ivica Olic, Mario Mandzukic und so weiter. Meistens so viele gleichzeitig, dass auch einer eingewechselt werden konnte.

Heute verfügt der FC Bayern dagegen bekanntermaßen über exakt keinen Spieler dieser Kategorie (weder auf dem Platz, noch auf der Bank). Zum Zeitpunkt von Ligts Einwechslung war die einzige Mittelstürmer-Alternative der erst 17-jährige Mathys Tel. Eric Maxim Choupo-Moting stand nicht im Kader. Genau wie Joshua Zirkzee, der den Klub wohl zum FC Bologna verlassen wird.

Nach dem Verkauf von Robert Lewandowski für 45 Millionen Euro an den FC Barcelona gingen die Verantwortungsträger dieses Risiko ganz bewusst ein. Der polnische Superstar ist eh nicht zu ersetzen, deshalb lieber gleich etwas ganz Neues probieren. In Julian Nagelsmanns neuem 4-2-2-2-System wirbelt nun stattdessen ein Quartett bestehend aus Spielmachern und Flügelstürmern. Und als Alternativen gibt es auf der Bank noch mehr Spielmacher und Flügelstürmer (und de Ligt).

Thomas Müller hat die Fragen nach Lewandowski geahnt

Bisher klappte die Umsetzung sensationell: 5:3 im Supercup bei RB Leipzig, dann in der Bundesliga 6:1 bei Eintracht Frankfurt, 2:0 gegen den VfL Wolfsburg, 7:0 beim VfL Bochum. Die Leistung stimmte, die Ergebnisse stimmten. Zurecht wurde die neue Offensive für ihre furiosen Auftritte gefeiert. Lewy? Lewy? Vergessen.

Aber selbstverständlich nur so lange, bis der FC Bayern einmal nicht gewinnt. Voila. 4. Spieltag, FC Bayern gegen Borussia Mönchengladbach: 1:1.

Hat Lewy gefehlt? Wäre es mit ihm anders gelaufen? Braucht es nicht doch einen Weltklasse-Mittelstürmer? "Ich habe in den letzten Wochen ja gesagt, dass die Fragen kommen werden", bestätigte sich Müller für seine Vorahnungen selbst. "Wir hatten auch Spiele gegen Gladbach mit Lewy, bei denen wir keinen reingemacht haben." Zum Beispiel bei der 0:5-Blamage im DFB-Pokal vor zehn Monaten. Ja, auch mit Lewandowski gab es Punktverluste.

FC Bayerns Punktverlust: Kein Grund zur Sorge

Tatsächlich sollte dieses Spiel gegen Gladbach vorerst keinen Grund zur Sorge geben. Das hat einerseits mit Gladbachs überragendem Keeper Yann Sommer zu tun, der unglaubliche 19 Paraden zeigte. Das ist nicht alltäglich. Vor allem aber hat das mit dem Spiel des FC Bayern zu tun, das einmal mehr eigentlich auch ziemlich überragend war. Und auf jeden Fall nicht: besorgniserregend.

Die flexible Offensive - diesmal mit Müller, Sané, Kingsley Coman und Sadio Mané - glänzte mit tollen Kombinationen und Soli gleichermaßen. Jamal Musiala und Serge Gnabry, zu Saisonbeginn noch in der Startelf, machten nach ihren Einwechslungen munter mit. Teilweise wirken sie von Lewandowskis Abgang fast schon beflügelt, befreit von einem starren Fixpunkt im Zentrum. Egal in welcher Offensiv-Besetzung: Der FC Bayern spielt in der frühen Phase dieser Saison unberechenbar und spektakulär wie lange nicht mehr.

Das war so bei den vorherigen Siegen, bei denen die exakt gleichen Spieler im Schnitt fünf Tore pro Partie erzielten. Das war auch so beim 1:1 gegen Gladbach, als die Mannschaft laut Joshua Kimmich ihre bisher beste Leistung zeigte. Die Statistiken hinter dem enttäuschenden Ergebnis bestätigen ihn: 69 Prozent Ballbesitz, 89 Prozent Passquote, 33 Torschüsse. Alles Saisonbestwerte. Mal landen die Bälle im Tor, mal nicht. Lewy hin, Lewy her. "Wenn wir so spielen wie heute, wird es nicht viele Gegner geben, die hier einen schönen Nachmittag haben", bekundete Müller.

Auch Nagelsmann und Sportvorstand Hasan Salihamidzic äußerten sich trotz des Ergebnisses begeistert über den Auftritt der Mannschaft. Weniger begeistert war der für die Kaderplanung hauptverantwortliche Salihamidzic dagegen über die unausweichliche Lewy-Frage. "Soll ich es nochmal wiederholen?", konterte er einen Reporter schnippisch und meinte damit sein vorheriges Lob für die Mittelstürmer-lose Offensive. Dann wiederholte er es halt nochmal und forderte neben dem Konsum von Zielwasser lediglich: "Einfach weiter so!"

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