FC Bayern München - Martin Demichelis im Interview: "Nebenher habe ich immer was verkauft: Zeitungen, Eis oder Eier"

Martin Demichelis wechselte 2003 für fünf Millionen Euro von River Plate zum FC Bayern München.
© imago images
Cookie-Einstellungen

Sie sind 2003 im Alter von 22 Jahren von River Plate zum FC Bayern gekommen. Wie kam der Wechsel zustande?

Demichelis: Mein damaliger Berater Adrian de Vicente hatte während seiner aktiven Karriere bei den Grasshoppers Zürich unter Ottmar Hitzfeld gespielt. Die beiden blieben in Kontakt und als Ottmar Trainer des FC Bayern war, hat mich mein Berater ihm empfohlen. Daraufhin kam ein Jahr lang einmal pro Monat ein Scout des FC Bayern nach Argentinien, um mich zu beobachten. Weil alle überzeugt waren, reisten im November 2002 Karl-Heinz Rummenigge und Wolfgang Dremmler an. Es war ein großartiges Gefühl, dass diese Fußball-Legende nur wegen mir nach Argentinien kommt. Mein Berater hat mir zwei Tage vorher davon erzählt. Bis zum Spiel hat er mich alle paar Stunden angerufen und gefragt: "Was hast du gegessen? Hast du gut geschlafen? Wie geht es dir?"

Wie lief das Spiel?

Demichelis: Wir haben 4:0 gegen Racing Club gewonnen und ich habe eine gute Leistung gezeigt. Eine halbe Stunde nach Abpfiff hat mir mein Berater gesagt, dass mich Rummenigge am nächsten Tag treffen will. Wir haben gemeinsam gegessen und er hat mir ein Angebot gemacht. Zwei Wochen später bin ich zum Medizincheck nach München geflogen und im Sommer darauf gewechselt.

Wie schnell haben Sie sich in München eingelebt?

Demichelis: Das erste Jahr war schwer für mich, weil ich alleine und ohne Familie nach München gekommen bin. Bei River hatte ich mit Freunden zusammen gespielt. Nicht mit Bekannten, mit richtigen Freunden. Wir kannten uns teilweise schon von der Akademie. Nach jedem Training sind wir gemeinsam essen gegangen, haben ein, zwei Stunden geschlafen und dann gemeinsam den Nachmittag genossen. Beim FC Bayern ist jeder nach dem Training alleine nach Hause gegangen.

Was hat Sie in Deutschland überrascht?

Demichelis: Im Bus haben alle Spieler oft an ihren Handys herumgespielt. Irgendwann habe ich Claudio (Pizarro, Anm. d. Red.) gefragt: "Was macht ihr da?" Er meinte: "SMS schreiben." In Argentinien gab es das damals noch nicht, wir konnten nur telefonieren.

Martin Demichelis wechselte 2003 für fünf Millionen Euro von River Plate zum FC Bayern München.
© imago images
Martin Demichelis wechselte 2003 für fünf Millionen Euro von River Plate zum FC Bayern München.

Wie war Ihr erster Oktoberfest-Besuch?

Demichelis: Als ich aufgewachsen bin, hatte mein Vater ein Getränke-Geschäft. Aber Alkohol hat mich nie interessiert. Tatsächlich habe ich mein erstes Bier hier in München auf dem Oktoberfest getrunken. Jeder hat eines getrunken. Also dachte ich, es auch mal zu probieren. Für euch in Bayern ist Biertrinken ein Stück weit Kultur. Das war für mich anfangs schwer zu verstehen. Als ich zum ersten Mal in München gelandet bin, war es sechs Uhr früh - und ich habe am Flughafen eine ungefähr 70-jährige Dame gesehen, die eine Weißwurst gegessen und ein Bier getrunken hat. Ich konnte das nicht nachvollziehen.

Wie haben Sie die Stimmung auf dem Oktoberfest erlebt?

Demichelis: Ich war begeistert von der Atmosphäre. Alle trinken viel Bier, feiern ausgelassen, aber nahezu alle bleiben friedlich. In Argentinien wäre so etwas nicht möglich.

Mussten Sie als Kind und Jugendlicher beim Getränke-Geschäft Ihres Vaters mithelfen?

Demichelis: Klar, bereits mit 14 Jahren habe ich Getränkekisten transportiert. In dieser Zeit habe ich eine gute Arbeitseinstellung gelernt. Mein Vater hat immer gesagt: "Man kann einen Job schlecht oder gut machen - aber die Zeit bleibt gleich. Also mach ihn gut!" Ich glaube, dass ich es deswegen zum Fußballprofi geschafft habe. Nebenher habe ich auch immer irgendetwas verkauft, um Geld für Fußballschuhe oder Trikots zu verdienen: Zeitungen, Eis oder Eier.

Während Ihrer Zeit beim FC Bayern war Uli Hoeneß erst Manager und später Präsident. Wie haben Sie ihn erlebt?

Demichelis: Ich habe noch niemanden mit einem größeren Herz kennengelernt. Ich könnte tausende Geschichten von ihm erzählen, aber eine ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Nach meiner ersten Niederlage mit dem FC Bayern wollte ich von der Kabine zum Bus gehen. Dann kam Hoeneß und meinte, dass ich den Fans erst ein paar Autogramme schreiben solle. Ich konnte das nicht verstehen. Wenn man in Argentinien nach einer Niederlage zu den eigenen Fans geht, dann wirst du beschimpft. Aber er hat mich dazu angehalten, die Fans haben sich sehr gefreut - und ich habe überlebt (lacht).