Kevin Kühnert im Interview: "Deutschland braucht auf jeden Fall eine Portion SC Freiburg"

Kevin Kühnert
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Lassen Sie uns einen kurzen Exkurs zum Groundhopping machen. Woran denken Sie am liebsten zurück?

Kühnert: Was mir immer sofort einfällt, ist die alte Grotenburg-Kampfbahn in Krefeld-Bockum. Die habe ich noch in Reinform gesehen, das war ein echtes Highlight. Ich kann vor allem den alten Kloppern richtig etwas abgewinnen. Westfalia Herne hat einen ganz tollen Kessel. Sie merken schon, für mich muss es nicht immer formvollendet sein, zumal die neuen Arenen ja oftmals nicht besonders schön sind. Für mich müssen Stadien spannende Orte sein, die sich auch irgendwie gut in die Stadt einfügen, so wie beispielsweise auch am alten Tivoli in Aachen. International ragte für mich bis zum letzten Umbau der Tynecastle Park von den Hearts in Edinburgh heraus. Guter Fußball auf dem Feld und diese großartigen alten Holztribünen mit einer Atmosphäre von 1920 auf eine schottische Art und Weise - genial.

Momentan fällt Terminstress aufgrund Arminia-Heimspielen ja aus, wie viele Spiele schaffen Sie denn in normalen Zeiten?

Kühnert: Es ist schon so, dass ich die Arminia-Spiele frühzeitig in meinen Arbeitskalender integriere. Die Kolleginnen und Kollegen in meinem Büro wissen auch Bescheid, dass hier nach Möglichkeit Rücksicht zu nehmen ist. (lacht) Wenn es möglich ist, schaue ich ehrlicherweise auch immer, ob ich nicht Win-Win-Situationen schaffen und ein Arminia-Spiel mit einem politischen Termin verbinden kann, der sonst nicht auf der Strecke gelegen wäre, so aber top passt. In der letzten Zweitligasaison habe ich ein bisschen mehr als die Hälfte der Spiele geschafft. Es funktioniert ganz gut, auch wenn es die erst kurzfristig festgelegten genauen Termine natürlich erschweren. Das war bei TeBe einfacher, da kanntest du vor der Saison fast alle Daten.

Kühnert: "Das ist meine Wohlfühlecke mit dem FC Bayern"

Wie sind Sie denn bis hierhin zufrieden mit den Auftritten der Arminia in der laufenden Saison?

Kühnert: Ich bin ganz angetan von dem, was ich bis jetzt gesehen habe. Ich bin froh, dass wir so früh in der Saison die Bayern schon abgehandelt haben, das nächste Heimspiel ist gegen den BVB - dann wäre das auch erledigt. Mir gefällt die relative Unerschrockenheit, mit der die Mannschaft auftritt. Mich freut es vor allem, dass der bissige, mutige Stil aus der zweiten Liga auch in der Bundesliga zu sehen ist. Die Arminia hat gezeigt, dass sie konkurrenzfähig ist, das ist für mich das erste positive Zwischenfazit. Allerdings werden wir uns noch mehr Torchancen erarbeiten müssen, um bis zum Schluss im Rennen zu sein.

Kevin Kühnert als Pappfigur neben seinem Parteifreund Karl Lauterbach im Stadion.
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Kevin Kühnert als Pappfigur neben seinem Parteifreund Karl Lauterbach im Stadion.

Die Niederlage gegen die Bayern hat Ihnen vielleicht auch nicht ganz so wehgetan, weil Sie ja die Bayern quasi noch als dritten Klub haben, oder?

Kühnert: Also wehgetan hat die Niederlage trotzdem. Wenn die Arminia gegen die Bayern spielt, gilt natürlich auch der sozialdemokratische Grundsatz "Im Zweifel für den Schwächeren". Da ist schon sehr klar, wem ich die Daumen drücke. Es ist aber richtig, dass ich seit der Kindheit auch Sympathien für den FC Bayern hege. Das lebe ich vor allem im internationalen Bereich aus. Wir haben zu Beginn ja schon über die TV-Gelder gesprochen, die einen Anteil daran haben, dass die Schere so weit auseinander gegangen ist. Ich mache den Bayern keinen Vorwurf, weil sie ja nicht in den vergangenen zehn Jahren die Gegner am Torpfosten festgebunden und die Bälle ins leere Tor geschossen haben, aber dass sich eine gewisse Langeweile eingestellt hat, spüren wir alle. Ich habe noch Jahre erlebt, in denen es vor fast jedem Spieltag grundsätzlich die Möglichkeit gab, dass du auch als Bayern-Fan am Montag von den Kollegen ausgelacht wirst.

Das ist so gut wie unmöglich geworden.

Kühnert: Es ist heute kein Ding der Unmöglichkeit, aber ein Ding der Unwahrscheinlichkeit, das auf jeden Fall. Deshalb sind die Bundesliga und die Champions League auch zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Auch atmosphärisch findet die Champions League für mich in einem ganz anderen Rahmen statt, das ist mehr die Kür, da bin ich nie im Stadion, sondern in der Kneipe. Da geht es nicht um die nackten drei Punkte, sondern auch um einen ästhetischen Ansatz. Das ist meine Wohlfühlecke mit dem FC Bayern.

"Wir als Öffentlichkeit müssen unsere Sensationslust ablegen"

Wir waren zu Beginn bei einer möglichen Spielgemeinschaft, die Deutschland für die Zukunft braucht. Wenn Sie die neue Generation an Vereinsvertretern sehen, zum Beispiel einen Thomas Hitzlsperger in Stuttgart, macht Ihnen das Mut für die Zukunft des Profifußballs?

Kühnert: Auf jeden Fall. Alleine die Tatsache, dass ein hoher Funktionär auf Twitter präsent und unterwegs ist, sagt vieles aus. Vor allem, wie er dort unterwegs ist. Dass er den wirklichen Austausch aktiv sucht und auch ganz unverkrampft zu gesellschaftspolitischen Themen Statements setzt, ist vorbildhaft. Manche haben immer Sorge, wenn sie sich zu mehr als der Aufstellung und den Transfers äußern, aber Thomas Hitzlsperger zeigt, wie es geht. Es ist bestimmt kein Zufall, dass der VfB sich aktuell wieder so positiv entwickelt. Das hat auch viel mit ihm zu tun.

Kevin Kühnert
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Hitzlsperger hat kürzlich das Bundesverdienstkreuz bekommen, mit der Begründung, dass er mit seinem Coming-out ein Tabu gebrochen hat und seit vielen Jahren gegen Homophobie, Sexismus und Rassismus in Stadien und Vereinen kämpft. Sein Coming-out war nach der Karriere, wie weit sind wir Ihrer Meinung nach von einem Coming-out eines aktiven Fußballers entfernt?

Kühnert: Mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir noch relativ weit davon entfernt sind. Gar nicht mal so sehr, weil die Atmosphäre in den Stadien so flächendeckend homophob ist, wie sie es einmal war. Was wir verstehen müssen: Der Profifußball ist ein Hochleistungsbetrieb, jeder Tag der Spieler ist genau durchgetaktet, Spiel folgt auf Spiel, alles ist durchvermarktet, alles steht unter permanenter medialer Aufmerksamkeit und soziale Verantwortung sollen die Spieler auch noch zeigen - und die Jungs sind im Schnitt Mitte 20. Ich glaube, dass dieses Gegeiere danach, wann denn jetzt endlich der erste aktive schwule Fußballer sich offenbart ein ganz anders gelagertes Angstszenario geschaffen hat, auch wenn es nett gemeint ist.

Was meinen Sie genau?

Kühnert: Ich meine die Angst, gar nicht mehr seinem eigentlichen Job nachgehen zu können. Ein schwuler Fußballer würde die ganze Zeit wie ein Einhorn in der Herde angeschaut werden. Nach jedem Spiel müsste er womöglich Fragen beantworten, ob er denn Rufe von den Rängen wahrgenommen habe. Wir als Öffentlichkeit müssen unsere Sensationslust ablegen. Das ist aktuell noch sehr abschreckend und vielleicht auch ein Grund dafür, warum Thomas Hitzlsperger nach der aktiven Karriere in die Offensive gegangen ist. Mit freiem Kopf und insgesamt auch mehr Freiheiten. Vielleicht müssten sich fünf, sechs, sieben Spieler zusammenfinden, um gemeinsam nach vorne zu gehen und die Last zu verteilen.