Uli Hoeneß verabschiedet sich nach über 40 Jahren als Bayern-Boss: Verhasst, verehrt, verurteilt

Von Dennis Melzer
Uli Hoeneß ist mittlerweile Präsident des FC Bayern München.
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Über 40 Jahre leitete Uli Hoeneß den FC Bayern, am Freitag tritt er als Präsident zurück. SPOX und Goal sprachen mit Weggefährten und porträtieren den beispiellosen Werdegang eines Polarisierers.

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Dieser Artikel erschien in seiner Original-Version erstmals im Mai 2019.

Ein zweistöckiger Betonbau mit für die 1970er Jahre typischen Buntsteinputz-Elementen in Untergiesing-Harlaching. Daneben eine Mehrzweckhalle, dahinter ein paar Fußballplätze. Uli Hoeneß erscheint in hellblauem Hemd und grauem Sakko, hat sich geschäftstüchtig einen Notizblock unter den Arm geklemmt, als er seinen neuen Arbeitsplatz betritt. Das Büro in der Geschäftsstelle an der Säbener Straße ist minimalistisch gehalten: Schreibtisch, darauf ein Stapel jungfräuliches Papier nebst mausgrauem Wählscheibentelefon. Alles andere hatte sein Vorgänger Robert Schwan mitgenommen. Nun sollte er, Hoeneß, die Geschicke beim FC Bayern München leiten. Einstiegsdatum 1. Mai 1979, im Alter von 27 Jahren.

"Ich war ganz unternehmungslustig und hochmotiviert", lässt Hoeneß seinen ersten Tag als Bayern-Manager Anfang dieses Jahres im Gespräch mit der dpa Revue passieren. "Eine Sekretärin hatte ich nicht. Ich habe zwei Stunden rumtelefoniert, dann bin ich wieder nach Hause gegangen." Der Notizblock füllt sich zum Amtsantritt nicht. "Da stand gar nichts drin", verrät er. "Aber danach ging es los. Ich hatte einen Bekannten, der Geschäftsbeziehungen nach Kuwait hatte. Da bin ich dann mal hingeflogen. Damals brachten Freundschaftsspiele in Deutschland nur 10.000 bis 20.000 Mark ein. Und ich dachte, es kann doch nicht wahr sein, dass der FC Bayern für solche Summen durch die Gegend fährt. Damals haben wir zwölf Millionen Mark Umsatz im Jahr gemacht und hatten 20 Mitarbeiter."

Hoeneß und sein Faible für Zahlen, die Leidenschaft für wirtschaftliche Prozesse, wohnt ihm schon in jungen Jahren inne. Nach dem Abitur, das er in seiner Heimatstadt Ulm mit einem Schnitt von 2,4 abgelegt hatte, strebt der Sohn einer Metzgerfamilie ein BWL-Studium in München an. Der Numerus clausus, der zur Zulassung berechtigt, liegt in jenen Jahren bei 3,0 - für Anwärter, die ihr Abitur in Bayern gemacht haben. Bewerbern aus anderen Bundesländern wird ein Malus von einer ganzen Note auferlegt, sodass er die Voraussetzungen nicht erfüllt, stattdessen ein Lehramtsstudium beginnt und nach zwei Semestern abbricht.

Auch, weil er seine Karriere als Fußballer forciert. Bei den Bayern, die ihn 1970 vom SSV Ulm in die Isar-Metropole locken. Dort avanciert er in einem Ensemble verheißungsvoller Kicker zum unangefochtenen Stammspieler und Starangreifer. Dreimal gewinnt er den Europapokal der Landesmeister, ebenso häufig die Deutsche Meisterschaft, mit der Nationalmannschaft stemmt er im Sommer 1974 den Weltmeisterpokal in den Münchner Nachthimmel, nachdem er zwei Jahre zuvor schon mit der DFB-Auswahl Europameister geworden war.

Weggefährte und Ex-Bayern-Torwart Walter Junghans erinnert sich im Gespräch mit SPOX und Goalund an die Bayern-Granden der Siebzigerjahre. "Ich bin 1977 von einem kleinen Verein, Viktoria Hamburg, zum FC Bayern gewechselt. Ich habe Uli Hoeneß als großen Spieler wahrgenommen und habe mich neben Leuten wie ihm, Sepp Maier oder Gerd Müller damals nicht als gleichwertiger Profi gefühlt." Junghans schiebt nach: "Für mich war es einfach nur schön, dort mittrainieren zu dürfen."

Augenthaler über Hoeneß und Co.: "Ich habe bezweifelt, dass ich mit denen mithalten kann"

Ganz ähnlich äußert sich Klaus Augenthaler, der 1975 vom FC Vilshofen zum FCB gewechselt war, bei SPOX und Goal: "Wir sind im Mai 1974 mit unserem Verein (Vilshofen, Anm. d. Red.) zum Europapokal-der-Landesmeister-Finale nach Brüssel gereist. Da hat Uli Hoeneß dieses sensationelle Tor gemacht (Bayern gewann gegen Atletico Madrid das Wiederholungsspiel - nachdem man sich im ersten Aufeinandertreffen 1:1 getrennt hatte - mit 4:0, Hoeneß glänzte als Zweifachtorschütze, Anm. d. Red.).

Bis dahin kannte ich die ganzen Größen nur aus dem Fernsehen. In Brüssel durfte ich sie zum ersten Mal live spielen sehen. Ein paar Monate später durfte ich mit diesen Spielern trainieren und habe natürlich zu ihnen aufgeschaut. Ich habe bezweifelt, dass ich mit denen mithalten kann."

Bis 1978 schnürt Hoeneß die Fußballschuhe für die Bayern, ehe er auf Leihbasis beim Südrivalen 1. FC Nürnberg anheuert, weil ein Wechsel zum Hamburger SV am Medizincheck scheitert. Der Grund: Sein Knie ist zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr intakt. Im Europapokalfinale drei Jahre zuvor gegen Leeds United hatte er sich das rechte Außenband gerissen. "Mit den heutigen Methoden hätte ich viel länger Fußball spielen können", sagt er rückblickend. "Eine Meniskusverletzung war damals keine Kleinigkeit. Heute macht man einen kleinen Schnitt, und der Spieler ist in 14 Tagen wieder fit." Der Club ist seine letzte Station als Fußballprofi, ehe er sich als Manager-Youngster in München versucht.

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Uli Hoeneß: Robert Schwan "hat mich als seinen Mini-Manager betrachtet"

"Für mich war es eine Erlösung, als der Anruf aus München kam, weil klar war, dass ich mit meinem lädierten Knie die Karriere nicht mehr hätte fortsetzen können. Das hat mein Leben total verändert", erklärt er. Manager habe er "sowieso mal werden" wollen, während eine Tätigkeit als Trainer "nicht infrage" kam. FCB-Boss Schwan habe ihm die Aufgabe im operativen Geschäft schmackhaft gemacht. "Ich hatte immer eine besondere Beziehung zur wirtschaftlichen Seite des Fußballs. Robert Schwan konnte ich über die Schulter schauen. Er hat mich schon als Spieler als seinen Mini-Manager betrachtet. Wenn wir etwa in Südamerika waren, und es waren Hotelabrechnungen zu erledigen oder Flugumbuchungen, hat er mich immer mitgenommen."

Dass sich der vormalige "Mini-Manager" letztlich zum echten Entscheidungsträger in der bayrischen Landeshauptstadt mausert, ist allerdings einem Zufall geschuldet. Angeführt von Kapitän und Torhüter Maier beschließt die Mannschaft am Abend des 19. März 1979, gegen Vereinspräsident Wilhelm Neudecker zu meutern. Der konservative Bauunternehmer hatte zuvor im Alleingang angeordnet, Coach Gyula Lorant durch Max Merkel auszutauschen, dem der Ruf des Trainerdiktators anhaftete. Kollektiv lehnt sich die Truppe gegen die Entscheidung Neudeckers auf, droht damit, das Training am nächsten Tag zu boykottieren. Autor Thomas Hüetlin ordnet die damalige Situation in seinem Werk "Gute Freunde" ein: "Zum ersten Mal in der Geschichte des deutschen Fußballs hatten ein paar Spieler einen ganzen Klub übernommen."

Neudecker tritt aufgrund der renitenten Protest-Profis zurück. "Mit einem solchen Kapitän und dieser Mannschaft kann ich nicht weiter zusammenarbeiten", teilt er dem Team mit. "Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien alles Gute. Auf Wiedersehen." Heute werden jene aufsehenerregenden Geschehnisse von vor über 40 Jahren als Neugeburt des FC Bayern gewertet. Weil Hoeneß wenige Tage später seine Zusage gibt. "Als wir in Nürnberg gespielt haben mit dem FC Bayern, bekam ich die Sonderaufgabe vom damaligen Präsidenten, Uli Hoeneß auszuschalten. Und kurz darauf war er plötzlich mein Chef", lacht Augenthaler.

"Ich habe das damals natürlich registriert. Dass er schon in jungen Jahren als Manager des FC Bayern agierte, war schon etwas Besonderes. Heutzutage ist jeder erstmal Manager, aber damals war das noch etwas ganz anderes", sagt Junghans. Ihm zufolge sei Hoeneß in seiner neuen Funktion von Beginn an bei seinen ehemaligen Mannschaftskameraden hochangesehen gewesen. "Es kam vor, dass er auch mal in die Kabine kam. Er hat dann seine Kommentare abgegeben, positiv sowie negativ. Er hat damals, mit seinen 27 Jahren, schon sehr viel Autorität ausgestrahlt. Die Spieler hatten großen Respekt vor ihm. Er wurde als Vorgesetzter akzeptiert."

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Uli Hoeneß holt sich Anregungen in den USA

Neben seinen Ausflügen in die Bayern-Kabine zieht es Hoeneß raus in die weite Welt, "dahin, wo das große Business war." Vor allem in den USA holt sich der gebürtige Schwabe Anregungen bezüglich der Vermarktung eines Sportvereins. "Ich war in San Francisco bei den 49ers, einer Mannschaft im American Football, und bei den San Francisco Giants, damals World-Series-Sieger im Baseball. Ich sollte für meinen Sohn eine Lederjacke von Joe Montana mitbringen, dem Quarterback. Da war ich in einem Laden der 49ers in der City und habe zu meiner Frau gesagt: Wenn ich mir vorstelle, dass beim FC Bayern auch mal an einem Montagmorgen nicht nur die klassischen Fans, sondern Banker und Geschäftsleute für ihre Kids einkaufen, dann haben wir es geschafft."

Auch in Manchester lässt sich Hoeneß inspirieren: "United, die im Fußball mit weitem Abstand im Merchandising die Nummer eins waren, habe ich besucht. Die hatten schon einen Fanshop und eine eigene Versandabteilung." Im Gegensatz zu den Münchnern: "Wir hatten eine Poststelle. Da lag ein Schal aus, dazu ein paar Postkarten. Das war unsere Abteilung für Fanartikel."

Hoeneß setzt alle Hebel in Bewegung, das triste beziehungsweise nicht vorhandene Merchandising-Konzept seines Klubs zu revolutionieren. Augenthaler erinnert sich an einen konkreten Fall: "Als Uli Hoeneß schon Manager war, kam ein Geschäftsmann bei einem Auswärtsspiel vorbei. Der hatte etliche Fanartikel dabei. Unter anderem Kaffeetassen. Das wurde am Nebentisch abgewickelt und ich habe mich gewundert, was für Zahlen da aufgerufen wurden. Aber Uli hat schon damals den Wert des FC Bayern erkannt", sagt der Weltmeister von 1990 und schiebt mit Hinblick auf Hoeneß' Künste als Zahlenjongleur nach: "Das habe ich beim Kartenspielen damals mitbekommen. Er war immer der Erste, der wusste, was ein Spiel kostet. Ein absoluter Zahlenmensch."

Die von Hoeneß angestoßene Ausrichtungsveränderung ist bitter notwendig. Anfang der Achtzigerjahre hat der FC Bayern nämlich nichts mit dem heutigen Branchenprimus gemein. Den bereits genannten zwölf Millionen Mark, die sich zu einem Großteil aus Ticketverkäufen zusammensetzen, stehen sieben Millionen Mark Schulden gegenüber. "Uli hat beim FC Bayern durchgezogen, nie mehr Geld auszugeben als eingenommen wurde. Das ist einfaches kaufmännisches Denken", sagt Augenthaler und ergänzt: "Die Bayern standen aus finanzieller Sicht damals nicht so gut da und mussten beispielsweise Karl-Heinz Rummenigge, den man rein sportlich natürlich nie hätte verkaufen dürfen, an Inter Mailand abgeben." Die Nerazzurri zahlen elf Millionen Mark für Rummenigge, der viele Jahre später als Funktionär an seine alte Wirkungsstätte an der Säbener Straße zurückkehrt.

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