Hoffenheims Videoanalyst Benjamin Glück im Interview: Von Taktiktafel bis Virtual Reality

Von Robin Haack
Benjamin Glück (r.) ist Hoffenheims Videoanalyst.
© imago
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Im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass Sie Drohnen zur Beobachtung des Trainings nutzen.

Glück: Das ist korrekt, aber nicht mehr aktuell. Um eine neue Perspektive zu schaffen, haben wir es zwischenzeitlich ausprobiert, nur ging das Summen dieser Geräte einigen Spielern zu sehr auf die Nerven. Wenn man zu hoch fliegt, wird das Bild zu klein. Außerdem hatte die Drohne nur eine Akkulaufzeit von 18 Minuten, sodass man sie ständig herunterholen musste, um den Akku zu wechseln. Aus diesen Gründen haben wir sie nicht häufig benutzt. An unserem primären Trainingsplatz haben wir ohnehin schon einen Kameraturm installiert. Aktuell arbeiten wir daran, dass auch die restlichen Plätze mit festinstallierten Kamera-Systemen ausgestattet werden.

Vor jedem Spiel wird die Mannschaft mit Ihrem Material auf die Spielweise des kommenden Gegners eingestellt. Wie läuft eine solche Sitzung genau ab?

Glück: Ich analysiere meist drei oder vier Spiele des Gegners ausführlich - je nachdem, mit wie vielen Grundordnungen er in der laufenden Saison angetreten ist. Da Trainer diese inzwischen immer häufiger wechseln, ist alles viel variabler und komplexer geworden. Deshalb ist es für mich teilweise schwer, vorauszusagen, wie der Gegner gegen uns wirklich auflaufen wird. Zusätzlich schaut auch einer meiner Kollegen die Spiele an, sodass wir intern eine kurze Besprechung führen können, in der wir die wichtigsten Szenen sammeln und kategorisieren. Danach zeige ich dem Trainerteam einen Szenenpool, mit dem ich den kommenden Gegner vorstelle. Daraus suchen wir gemeinsam etwa zwölf Szenen aus, die der Mannschaft vorgespielt werden.

Also versucht man, der Mannschaft so wenige Szenen zu zeigen wie möglich?

Glück: Genau. Es geht darum, alles auf das Wesentliche herunterzubrechen und nur die wichtigsten Dinge anzusprechen. Ziel ist es, Muster des Gegners aufzuzeigen und Regelmäßigkeiten herauszufinden - im Idealfall unabhängig von Grundordnungen. Sind diese Präsentationen zu lang, bleibt davon nicht viel hängen. Zusätzlich bekommen die Spieler aber alle Szenen zusammen mit dem Matchplan aufs Handy geschickt, sodass sie sich alles noch einmal in Ruhe anschauen können.

Spieler anderer Klubs bekommen sogar individuell Videos der kommenden Gegenspieler aufs Handy. Wie wird das in Hoffenheim gehandhabt?

Glück: In der Bundesliga machen wir das nicht mehr, da wir davon ausgehen, dass sich die Jungs untereinander kennen und selbst auch die meisten Bundesligaspiele schauen. Wenn aber neue Spieler in die Liga kommen und wir das erste Mal gegen sie spielen, bereiten wir Einzelsequenzen vor, um uns auf die jeweilige Spielweise einzustellen. Vor den Champions-League-Spielen gab es zum Beispiel Videomaterial, das die Jungs individuell zu jedem ihrer Gegenspieler aufs Handy bekommen haben.

Was wird in diesen Videos in den Fokus gestellt?

Glück: Auch hier geht es um die markantesten Szenen. Wir zeigen, welche Finten der jeweilige Spieler gerne macht oder wie er verteidigt. Wie verhält er sich im Spielaufbau? Da gehen wir schon sehr ins Detail - anders als in der Bundesliga. Jeder weiß mittlerweile, dass Arjen Robben gerne nach innen zieht und mit links abschließt. Solche Dinge müssen wir den Jungs nicht mehr erzählen. Wenn wir es bei einzelnen Spielern aber für notwendig halten, bekommen die Jungs diese Szenen auch aufs Handy geschickt.

In der Bundesliga ist es inzwischen üblich, dass auch in der Halbzeit einzelne Szenen in der Kabine gezeigt werden. Woher wissen Sie, welche Szenen Nagelsmann in der Halbzeit sehen will?

Glück: Wie schon erklärt zeigen wir vor jedem Spiel Räume auf, die der Gegner gerne bespielt und Räume, in denen wir Zugriff auf den Gegner bekommen können. Wenn der Gegner unerwartet eine andere Grundordnung spielt, wird das natürlich in der Halbzeit thematisiert, aber in der Regel geht es in diesen Szenen um die Bestätigung von den Dingen, die wir im Vorfeld ausgearbeitet haben. Doch es gibt auch Situationen, in denen wir keine Szenen zeigen. Gerade in Spielen, in denen wir zur Halbzeit umstellen, erklärt der Trainer eher an der Taktiktafel. Es ist also nicht in Stein gemeißelt, dass in der Halbzeit Videos gezeigt werden.

Ab welchem Alter ergibt es eigentlich Sinn, Videoanalyse zu nutzen?

Glück: In Bezug auf die Gegneranalyse ist es im Jugendbereich aktuell noch schwierig, an Material über den nächsten Gegner zu kommen. In diesem Alter ist es auch wichtiger, sich auf die eigene Entwicklung - also die eigenen Stärken und Schwächen - zu fokussieren. Ab der U17 beginnen wir dann mit der Gegneranalyse.

Inwieweit hat sich die Videoanalyse in den vergangenen Jahren weiterentwickelt?

Glück: Wenn ich den Status Quo mit dem Jahr 2011 vergleiche, in dem ich angefangen habe, hat sich die Analyse massiv verändert. Gerade in Bezug auf Software und Hardware gab es in den vergangenen Jahren große Fortschritte. Inzwischen gibt es sogar Unternehmen, die Virtual Reality anbieten. Auch der Einsatz von Daten hat enorm an Bedeutung gewonnen. Aufgrund der Fülle gilt es hierbei, zielführend die wichtigsten Informationen herauszufiltern und dem Trainerteam bereitzustellen. Doch im Endeffekt geht es um Fußball und wir müssen in der Branche darauf achten, nicht den Blick auf das Wesentliche zu verlieren. Man darf die Spieler nicht überfordern.

Wird in Hoffenheim auf Virtual Reality zurückgegriffen?

Glück: Wir haben Programme getestet und probieren auch weiter aus, aber die Technologie steckt noch in den Kinderschuhen. Wir sind zwar immer wieder mit Anbietern im Austausch, doch mit Blick auf den vollen Terminkalender muss man sich auch die Frage stellen, wie viel Zeit für solche Tools tatsächlich bleibt - gerade, wenn man international vertreten ist. Zusätzlich muss man schauen, bei welchen Mannschaften der Einsatz Sinn ergibt. Gerade für Jugendspieler ist es mit Sicherheit ein Gerät, das man tatsächlich verwenden kann, um über einen spielerischen Ansatz Spieler zu verbessern. Solche Neuerungen testen wir häufig erst in der Jugend, um zu schauen, wie es ankommt und wie gut Software und Hardware funktionieren.

In einem Artikel über Sie heißt es, Sie seien das "zweite Augenpaar" von Julian Nagelsmann.

Glück: (lacht) So weit würde ich nicht gehen. Julian ist außergewöhnlich gut in dem, was er macht und ich habe sehr von ihm profitiert. Extrem viel von dem, was ich über Fußball weiß, habe ich von ihm gelernt. Noch heute kommt es vor, dass ich von ihm lerne, wenn wir zusammen Spiele schauen. Das versuche ich zu verinnerlichen, denn nur so kommt man auf dieselbe Sichtweise.

Auch abseits der Arbeit ist Nagelsmann einer Ihrer besten Freunde. Woher kommt diese Verbindung?

Glück: Als er unter Marco Kurz Co-Trainer bei den Profis und ich als Praktikant angestellt war, hatten wir das erste Mal wirklich miteinander zu tun. Danach wurde er Cheftrainer der U19 und ich Analyst. Wir kommen beide aus Bayern, sind Kinder der Berge, im gleichen Alter und haben viele gemeinsame Interessen und Hobbys. Zusätzlich sind wir beide ähnlich verrückt und haben recht schnell gemerkt, dass wir auf der gleichen Wellenlänge sind.

Wie häufig tauschen Sie sich aus?

Glück: Ich sitze zusammen mit Julian, den Co-Trainern und dem Torwart-Trainer in einem Büro, daher spricht man automatisch jeden Tag miteinander. Zum Thema Gegneranalyse haben wir wöchentliche Meetings, in denen ich mit den beiden Co-Trainern und Julian speziell auf den kommenden Gegner eingehe.

Gab es einen Moment in Ihrer Arbeit, der Sie bisher besonders fasziniert hat?

Glück: Neben der deutschen A-Jungend-Meisterschaft zählt vor allem das Heimspiel gegen Borussia Dortmund im vergangenen Jahr zu den emotionalen Highlights meiner bisherigen Laufbahn. Damals haben wir nach einem furiosen Saisonendspurt mit einem Sieg die Champions-League-Teilnahme klar gemacht. Auch das Spiel an der Anfield Road in Liverpool 2017 werde ich nicht vergessen.

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