Todestag von Robert Enke - Berater Jörg Neblung im Interview: "Du wirst alt, mein Lieber, habe ich gescherzt"

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Inwiefern waren Sie von Enkes Suizid überrascht angesichts der Tatsache, dass sich seine Depression zuvor extrem verstärkt hatte?

Neblung: Wir haben uns mit dem Thema Suizid in den Tagen zuvor auch auseinandergesetzt, weil es automatisch damit einhergeht. Wenn man eine schwere Depression über eine lange Zeit hat und Psychopharmaka verabreicht, gibt es immer suizidale Tendenzen. Daher war uns klar, dass wir gut auf ihn aufpassen sollten. Wir haben nachts die Türen mit Gegenständen versehen, die umkippten, sollte er versuchen, das Haus zu verlassen. Am Tag haben wir ihn begleitet und motiviert, aus dem Bett zu kommen und sich zu bewegen. Abends war er dann tendenziell fast schon gut drauf, weil er den Druck des Tages nicht mehr verspürte. Er wusste: Keiner will mehr etwas von mir, ich muss nichts mehr machen, keiner ruft mehr an, ich bin mit meiner Krankheit alleine. In der Kombination mit der Tablette und einem Glas Rotwein hat er sogar mal Späßchen gemacht. Ich dachte nur: Morgens lag er noch versteinert im Bett und abends macht er Witze - was für eine Krankheit ist das bloß?

Das Aufpassen war eine echte Gratwanderung, oder?

Neblung: Exakt. Wir konnten ihn ja nicht die ganze Zeit wie ein kleines Kind beaufsichtigen, sondern mussten ihm die Chance geben, ein paar Dinge selbständig zu erledigen. Speziell beeinflusst durch das Gefühl, es gehe bei ihm wieder bergauf, haben wir ihn an seinem Todestag auch alleine zum Training fahren lassen.

Robert Enke während seines letzten Spiels zwischen Hannover 96 und dem Hamburger SV am 8. November 2009.
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Robert Enke während seines letzten Spiels zwischen Hannover 96 und dem Hamburger SV am 8. November 2009.

Schon am nächsten Tag gaben Teresa Enke und Roberts Therapeut Dr. Valentin Markser eine Pressekonferenz und klärten die Öffentlichkeit auf. Wie blicken Sie heute auf diese ersten Tage nach Enkes Tod zurück?

Neblung: Man funktioniert einfach nur. Wohl auch, weil ich eben eine Aufgabe hatte, denn ich musste die Öffentlichkeitsarbeit weiter erledigen. Ich bin noch am Todestag zusammen mit meiner Frau, Tochter und Schwiegermutter im Auto nach Hannover gefahren und habe im Haus der Enkes übernachtet, weil wir da bereits die Planung für die PK gemacht haben. Ich musste all das, was in den Medien passierte, in die richtige Richtung lenken. Uns war klar, dass wir erklären mussten, was passiert ist, damit die Spekulationen nicht ins Kraut schießen.

Musste man Teresa Enke lange dazu überreden, bei dieser PK zu sprechen?

Neblung: Wir waren zusammen mit Jörg Schmadtke, der damals Sportdirektor bei Hannover 96 war, sehr schnell auf einem Nenner: Es war unumgänglich, dass wir sagen mussten, was passiert ist. Die beste Besetzung für die Pressekonferenz war Teresa und der behandelnde Therapeut, denn ich als Berater, der das Scheingebilde mit dem Virus aufgebaut hatte, wäre auf dem Podium die falsche Besetzung gewesen. Zum Glück hat Teresa schnell gesagt, dass sie das auch machen wird. Das und ihr gesamter Auftritt waren richtig stark.

Was haben Sie gemacht, als sozusagen der erste große Trubel vorüber war?

Neblung: Ich habe weitergearbeitet und auch weiter funktioniert. Die Aufgaben waren mannigfaltig. Ich hatte das Gefühl, ich musste mich um Teresa kümmern und die nach dem Tod anstehenden Dinge organisieren. Es gab ungebrochen viele Medienanfragen. Auch bei meiner Agentur stand ohne meine Nummer eins plötzlich alles auf der Kippe. Da kam die Arbeit genau richtig. Es half mir, einen geregelten Tagesablauf zu haben, um nicht gedanklich zu weit abzuschweifen.

Konnten Sie dann überhaupt wirklich trauern?

Neblung: Ich denke nicht, dass es bei mir eine Trauerphase gab, die explizit als solche eine Alleinstellung hatte. Das Trauern und die Verarbeitung passieren in vielen Momenten: Wenn ich alleine am Grab stehe oder wie am letzten Montag zur Podiumsdiskussion mit Teresa und Uli Hoeneß nach Hannover fahre. Ich würde sagen, ich habe es irgendwie nebenher verarbeitet. Mit dieser Aussage möchte ich mich aber nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, denn die Psyche des Menschen ist tief und für mich als Laien nach wie vor unergründlich. Wenn man Roberts Geschichte so hautnah mitbekommen hat, dann kann man sich nie sicher sein.

Um Enkes Krankheit unter Verschluss zu halten, bedurfte es extremer Anstrengungen. Auch Hannover 96 oder die deutsche Nationalelf wussten von nichts. Wie schwer war es, alles unter Verschluss zu halten?

Neblung: Es gab Momente, in denen das Versteckspiel auch für Robert zu einer großen Belastung wurde. Er musste zum Beispiel wegen dieses von uns kreierten, vermeintlich mysteriösen Virus, das keiner enträtseln konnte, eine neuerliche Blutprobe abgeben. Er hatte dann große Angst, dass alles herauskommen würde, weil er Psychopharmaka in sich hatte. Dabei wurde nach Bakterien und Viren und nicht nach anderen Stoffen gesucht.