Rubin Okotie im SPOX-Interview: "In dem Moment ist eine Welt zusammengebrochen"

Von Michael Windisch
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© Michael Windisch

Rubin Okoties Karriere ist ein wildes Auf und Ab. Er war Teil des legendären U-20-Teams von 2007, Young Star des Jahres, dann lange verletzt. Ging auf Wanderschaft durch Europa, nach China und wieder zurück. Und ist seit Juli ohne Verein - dafür mit eigenem Wiener Lokal.

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SPOX hat mit dem Ex-Nationalstürmer über Höhen und Tiefen in seiner Laufbahn, den Tod seines Freundes und Mitspielers Cheick Tioté und veganes Essen gesprochen. Und darüber, was die Zukunft bringt.

Herr Okotie, Sie sind seit Juli vereinslos. Spielen Sie derzeit Fußball?

Rubin Okotie: Ganz selten. Ich halte mich im Fitnessstudio fit, gehe ab und zu spielen.

Wie geht's weiter mit Ihrer Karriere?

Oktoie: Schauen wir mal, was sich im Winter tut, ob gute Angebote kommen. Es muss für die Familie passen. Meine Frau ist wieder schwanger, wir bekommen Ende Jänner unseren zweiten Sohn. Unsere Heimat ist Wien, es wäre natürlich ideal, hier zu bleiben. Aber: Man kann sich's nicht immer aussuchen.

Wie überbrückt man als Sportler so eine Phase?

Okotie: Ich habe extrem viel zu tun. Die Schwangerschaft meiner Frau, wir haben unseren Sohn Tiamo und das Restaurant in Wien. Es ist nicht so, dass ich Däumchen drehe und mich langweile.

Schauen wir etwas in die entferntere Vergangenheit. Sie haben in Ihrer Jugend bei Rapid und Austria gespielt - welchem Verein hat zuerst das Herz gehört?

Okotie: Begonnen habe ich bei der Wiener Viktoria, das waren meine allerersten Schritte im Fußball. Im Alter von zehn bis 14 ging ich in die Rapid-Schule. Da waren auch meine ersten Besuche in einem Fußballstadion, damals noch im alten Hanappi - eine sehr schöne Zeit. Dann bin ich in die Stronach-Akademie zur Austria gekommen - und dachte das erste Mal: Okay, vielleicht wird das was als Profi. Die Austria ist der Verein, bei dem ich groß geworden und mit dem ich auch heute noch verbunden bin.

Rubin Okotie im Trikot der Wiener Austria
© GEPA
Rubin Okotie im Trikot der Wiener Austria

Sie hatten schon früh Verletzungspech - etwa einen Knorpelschaden im Alter von 22 Jahren. Kamen in dieser Zeit Zweifel auf, dass man den Anschluss verpasst?

Okotie: Definitiv, vor allem in meinem Fall. Es war eine ganz schwere Form eines Knorpelschadens. Mein Arzt sagte damals zu mir: Rubin, ich weiß nicht, ob du weiter Fußballspielen kannst - vor allem in dem jungen Alter. Er hat mich dann auch explizit gefragt, ob ich eine Alternative habe. In dem Moment ist eine Welt zusammengebrochen. Für mich hat es nie eine Alternative gegeben. Es war mein einziges Ziel, Profi zu werden, und ich machte mir keine Gedanken, was ist, wenn ich es nicht schaffe. Aber Aufgeben war für mich kein Thema. Von der Diagnose an habe ich gesagt: Ich nehme das als Herausforderung und will trotzdem zurückkommen.

Wie sind Sie da wieder rausgekommen?

Okotie: Ich muss gestehen, ich habe die Verletzung deutlich unterschätzt. Ich wollte es einfach nicht glauben. In der Reha merkte ich: Es ist schon etwas Heftiges. Ich war drei Monate auf Krücken, bin fast ein ganzes Jahr ausgefallen, und das Schlimme war, dass das Knie nachher nie wieder so gesund war wie vorher. An dem hatte ich lange zu knabbern. Der Körper musste sich komplett umstellen, weil ich einfach gewisse Bewegungen nicht mehr machen konnte. Und das in einem Alter, in dem ich erst meinen Rhythmus finden musste.

Mit der Austria haben Sie viel erreicht: Cuptitel und UEFA-Cup-Teilnahme. Dann spielten Sie aber in Nürnberg und St. Truiden in Belgien, wo Sie sich nicht wirklich durchsetzen konnten. Woran hat es gelegen?

Okotie: Das liegt auf der Hand. Es hat nach der Verletzung ewig gedauert, bis ich mich auf die neue Situation einstellen konnte. Ich bin von Nürnberg nach St. Truiden verliehen worden, bekam dort im dritten Spiel einen Schlag aufs Knie und das Stück Knorpel, das nachgewachsen war, ist wieder herausgebrochen. Nürnberg hatte mich zuvor überhaupt nur verpflichtet, weil sie sahen, dass der Knorpel nachgewachsen war. Ich habe die MRT-Bilder dann meinem Arzt geschickt und er meinte: Wir müssen operieren, der Schaden ist wieder da wie am Anfang.

Wie haben Sie reagiert?

Okotie: Ich habe ihm gesagt: Auf keinen Fall. Ein Jahr Reha, das schaffe ich nicht, körperlich und psychisch. Ich versuche es ohne Operation - und wenn es nicht funktioniert, muss ich es sein lassen. Ich traf dann in Belgien einen Physiotherapeuten, der mir die Karriere gerettet hat. Bei dem war zuvor schon Kaká mit einem ähnlichen Knorpelschaden - und der hat danach wieder Fußball gespielt. Nach drei Monaten Reha in Antwerpen war mein Knie in einem besseren Zustand als nach der Operation. Es hat drei Jahre gedauert - von 2009 bis 2012 - bis ich wieder angreifen konnte.

Sie sind 2016 vom Münchner Traditionsverein 1860 München zu Beijing BSU gewechselt. Seitdem Marko Arnautovic dort spielt, steigt auch hier die Aufmerksamkeit für die chinesische Liga. Auf welchem Niveau wird dort gespielt?

Okotie: Es ist schon ein anderer Fußball als in Europa. Zum einen, weil das Klima anders ist. In Europa bist du es gewohnt, dass du ein ausgeglichenes Niveau in der Mannschaft hast. Du hast ein paar sehr gute Spieler, aber kein drastisches Gefälle. In China ist das anders. Da dürfen die Vereine zwei oder drei Ausländer einsetzen, die sind in der Regel sehr gut. Dann gibt es ein paar gute chinesische Spieler - aber du hast auch Spieler, die gar nicht gut sind. Das macht es teilweise schwieriger, dass ein Spielzug zustande kommt. So war es zumindest bei mir. Bei Marko in Shanghai gibt es mittlerweile auch viele gute chinesische Spieler, aber es ist trotzdem ein anderer Fußball. Du musst viel mehr Einzelaktionen liefern, bist im offensiven Bereich viel mehr auf dich alleine gestellt. Trotzdem: China ist ein interessantes Land, und auch sportlich ist es eine Herausforderung.

Wie ist die Fankultur und die Aufmerksamkeit der Medien?

Okotie: Unterschiedlich. Dadurch, dass die meisten Vereine ständig von neuen Besitzern übernommen werden und teilweise auch die Städte wechseln, weil der Besitzer woanders hinwill, gibt es kaum Vereine mit einer langen Tradition. Weil so viele Menschen in China leben, hast du aber schon sehr viel Aufmerksamkeit.

In Peking waren Sie direkt mit dem Tod Ihres Mitspielers Cheick Tioté am Trainingsplatz konfrontiert. Wie ist man im Verein damit umgegangen?

Okotie: Das war eine brutale Situation - Cheick war ja mein Zimmerkollege. Wir spielten vor dem Training Zwei-Kontakte, dann teilte der Trainer die Trainings-T-Shirts aus und plötzlich fiel Cheick um und wir versuchten, ihn wiederzubeleben. Nach einer halben Stunde kam die Rettung und fuhr ihn ins Krankenhaus. Das Training wurde abgebrochen, wir gingen duschen und fuhren in die Klinik. Wir sahen ihn noch im Trainingsgewand samt Fußballschuhen da liegen, aber sie sagten uns: Er ist tot. Das war brutal. Er war die erste Person, die mir nahegestanden ist und die quasi vor meinen Augen gestorben ist. Das zu verarbeiten hat einige Zeit gedauert. Die Chinesen setzten dann gleich für den nächsten Tag zwei Trainings an, aber wir ausländischen Spieler haben gesagt: Wir können jetzt nicht trainieren, wir müssen nachhause.

Gewichtet man nach so einem Erlebnis die Prioritäten im eigenen Leben neu?

Okotie: Definitiv. Da weiß man dann plötzlich, wie schnell das Leben eigentlich vorbei sein kann - von einem Moment auf den anderen. Das war eine harte Phase für mich.

Schauen wir auf die positiven Seiten Ihrer Karriere. Was war sportlich gesehen Ihr größter Erfolg?

Okotie: Mein größter Erfolg war sicher, dass ich nach meiner Verletzung weiter Fußballspielen konnte. Wahrscheinlich war die Qualifikation mit dem Nationalteam für die EM 2016, samt meiner beiden Tore gegen Russland und Montenegro, das größte Highlight. Mein erster Bundesligaeinsatz nach der Verletzung in Nürnberg war auch ein besonderer Moment, sowie mein erstes Tor für 1860 München in der 2. Bundesliga.

Und abseits des Sports?

Okotie: Sicher die Geburt meines ersten Sohnes. Das war der schönste Moment meines Lebens.

Gibt es im Rückblick auf Ihre Karriere eine Entscheidung, die Sie bereuen?

Okotie: Ja. Dass ich in jungen Jahren nicht genug Rücksicht auf meinen Körper genommen habe.

Waren Sie im Lauf Ihrer Karriere mit Rassismus konfrontiert?

Okotie: Es ist immer wieder vorgekommen. Dadurch, dass ich aber relativ schnell "berühmt" geworden bin, ist das ein bisschen dem Promifaktor gewichen. Ich habe aber viele Freunde, die dunkelhäutig sind, und die extrem mit Rassismus kämpfen mussten, weil sie eben nicht bekannt waren. Da merkte ich, wie schwer das für sie ist. Bei mir ist es während der Spiele ein paarmal vorgekommen, hat sich aber in Grenzen gehalten.

Rubin Okotie in seinem Lokal in der Berggasse
© Michael Windisch
Rubin Okotie in seinem Lokal in der Berggasse

Sie haben vor etwa einem Jahr ein veganes Lokal in Wien eröffnet. Wie ist es dazu gekommen?

Okotie: Es ist kein rein veganes Lokal, aber wir legen einen großen Schwerpunkt auf veganes Essen. Die Idee ist in China entstanden. Während unserer Zeit in China haben wir viele coole Restaurants und Konzepte kennengelernt. Da haben wir uns überlegt: Es wäre cool, in Wien unser eigenes Lokal aufzumachen. Im Sommer 2018 ergab sich dann die Möglichkeit, dieses Lokal im neunten Bezirk zu übernehmen.

Sie sollen über eine Netflix-Dokumentation zum Veganer geworden sein.

Okotie: Ja, das war "What the Health?" Es geht darum, wie ungesund der Fleischkonsum für uns Menschen ist, aber auch wie sehr er die Umwelt belastet - die Energie, die Ressourcen und den Platz, den er verbraucht. Das war erschreckend. Ich war bis dahin der ärgste Fleischesser. Jeden Tag musste ich zweimal Fleisch haben, sonst war es für mich kein Essen. Nach zwei Wochen habe ich wirklich einen Unterschied gemerkt. Ich habe mich besser gefühlt, war nicht mehr so müde und war auch beim Training und im Spiel frischer. Schade eigentlich, dass ich erst so spät draufgekommen bin.

Sie haben Ihr Lokal in der Wiener Berggasse. Gleich nebenan hat Sigmund Freud seine Traumdeutung geschrieben. Welchen Traum möchten Sie sich sportlich noch erfüllen?

Okotie: Ich würde gern noch ein, zwei Jahre professionell Fußball spielen. Aber, wie gesagt: Man kann es sich nicht immer aussuchen. Es muss auch wirklich ein gutes Angebot kommen.

Wann sagen Sie sich: "Ich lasse es bleiben"?

Okotie: Wenn jetzt im Winter nichts kommt wird es im Sommer sicher noch schwieriger - dann wäre ich ein Jahr ohne Verein. Und ich werde 33. Da muss man schon realistisch sein. Man kann im Fußball nie wissen, was kommt.

Zum Abschluss eine Frage wie aus einem Job-Interview: Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?

Okotie: Ich bin keiner, der so weit nach vorne plant. Ich versuche, im Hier und Jetzt zu leben und jeden Tag zu schätzen.

Rubin Okoties Karrierestationen: Austria, 1860, Nürnberg

VereineSpieleTore
FK Austria Wien9430
TSV 1860 München6425
Sturm Graz4715
Beijing BSU243
SönderjyskE1511
K. Beerschot V.A.122
VV St. Truiden101
1. FC Nürnberg6-