Beharrungskraft der Unermüdlichen

Venus Williams
© getty

Venus Williams gelang in diesem Jahr im stolzen Alter von 37 Jahren ein bemerkenswertes Comeback. Jetzt steht sie im Halbfinale von Singapur.

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Es ist schon ein kleines Weilchen her, dass Serena Williams eine zeitlose Laudatio auf ihre ältere Schwester Venus hielt, mit Worten wie in Stein gemeißelt. "Es gibt Spielerinnen, die vor ihr in der Weltrangliste stehen. Es gibt Spielerinnen, die mehr Siege feiern, mehr Titel holen. Aber es gibt keine Spielerin, die tapferer ist als sie", sagte die beste Spielerin dieser Tennisepoche damals, "sie ist eine Inspiration für jeden im Tennis. Ein Beispiel, wie man sein Leben meistert." Das Plädoyer, die familiäre Liebeserklärung galt einer Frau, deren Karriere 2011 schon beendet schien, nach dem Ausbruch einer schweren Autoimmunkrankheit (Sjögren-Syndrom). Und die sich mit beeindruckender Zähigkeit und Hartnäckigkeit inzwischen wieder in die Weltspitze vorgespielt hat, als Protagonistin eines mehr als verblüffenden Comebacks im reifen Alter von nunmehr 37 Jahren.

Und genau jene Venus Ebony Starr Williams, die einst mit ihrer Athletik und der Geschwindigkeit ihrer Schläge eine neue Epoche im Tennis begründet hatte, wird nun auch acht Jahre nach ihrer letzten Teilnahme in der Endphase der inoffiziellen Weltmeisterschaft im Damentennis um den Titel mitmischen (WTA Finals). Nach außen wirkte die Amerikanerin zwar etwas lustlos, als das Championat in Singapur begann, doch nach dem Fehlstart gegen die Tschechin Karolina Pliskova drehte Williams auf, sicherte sich einen Halbfinalplatz überraschend im letzten Gruppenspiel gegen Mitfavoritin und Wimbledon-Queen Garbine Muguruza (Spanien). Die Ausdauer von Big Sister Venus: Unglaublich, aber wahr. Schließlich liegt die erste Teilnahme der aktuellen Weltranglisten-Fünften am traditionellen Abschlussevent der Saison sage und schreibe 18 Jahre zurück, damals fand das Turnier noch im New Yorker Madison Square Garden statt. Venus, gerade 19 Jahre jung, scheiterte erst im Halbfinale an einer gewissen Martina Hingis. Steffi Graf hatte in jener Saison, Mitte August 1999, ihre Karriere beendet. Auch für die legendäre Deutsche ist die ältere der beiden Williams-Schwestern ein Phänomen: "Es ist unglaublich, welche Willenskraft und Leidenschaft in ihr stecken. Sie ist einfach eine tolle Sportlerin."

Tennis als Therapie

Dass sie noch immer Furcht und Schrecken unter teils höher eingestuften, höher gehandelten und viel jüngeren Konkurrentinnen verbreiten kann, die einst marktbeherrschende Spielerin, demonstrierte sie in dieser Saison wiederholt mit eindrucksvoller Geradlinigkeit. Und zwar dort, wo es besonders zählt im Tennis, bei den kostbaren Grand Slam-Turnieren. Zweimal stand sie im Finale, in Australien und in Wimbledon, erreichte zudem das Halbfinale der US Open. 22 Jahre nach ihrem Debüt im Wanderzirkus zeigte Big Sister Venus mit zupackender Hand, mit guten Nerven und mit jener Entschlossenheit, die ganzen Generationen von Rivalinnen das Fürchten lehrte, großes Tennis.

In ihren besten Momenten ließ sie sogar jene sportliche Unnahbarkeit aufblitzen, die unter anderem auch zu fünf Wimbledonsiegen geführt hatte. Die aber zuletzt typischerweise für ihre jüngere Schwester Serena reserviert war. Jene Serena, die dominierende Spielerin dieser Ära, ist Anfang September gerade zum ersten Mal Mutter geworden. Doch Venus, die Tante von Serenas Töchterchen Alexis, vertrat die familiären Interessen rund um den Globus herausragend. In Wimbledon überwand sie auch das traumatische Erlebnis eines schweren Verkehrsunfalls, in den sie im Juni in Florida verwickelt war. Ein älterer Mann kam dabei ums Leben. "Es gibt keine Worte, um das zu beschreiben. Ich bin erschüttert", sagte sie zu Beginn des Turniers deprimiert. Doch die Tennismatches erwiesen sich in gewisser Weise auch als Therapie, um den Schrecken wenigstens etwas zu vergessen. Bald allerdings stellte sich dann auch heraus, dass die Athletin keine Schuld an dem Unglück traf.

Rückkehr nach Krankheit

Für altgediente Tennisbeobachter ist mehr als erstaunlich, dass Venus überhaupt noch im professionellen Tourbetrieb unterwegs ist. Denn vor drei, vier Jahren hatten viele in der Branche spekuliert, ob sich die angeschlagene Kalifornierin in den Ruhestand zurückziehen werde - nicht zuletzt, weil die schwere Autoimmun-Krankheit mit heftigen Erschöpfungszuständen immer wieder den Trainingsbetrieb behinderte und für viele Pausenzeiten sorgte. "Man hat viele Tiefs, man zweifelt auch sehr oft. Aber man darf sich eben auch nicht unterkriegen lassen", sagt Venus Williams, "wir alle in der Williams-Familie haben schon so viel überstanden in unserem Leben, das stählt einen auch." Zwischenzeitlich war die einstige Tennis-Gigantin sogar schon einmal an die Hunderter-Marke in der Weltrangliste gerutscht, als Ausdruck einer markanten Ergebniskrise nach der Krankheitskrise.

Doch 2017 ist sie immer noch und wieder da, trotz aller alltäglichen Kämpfe gegen das Sjögren-Syndrom, trotz Schwächeanfällen und gelegentlichen Zwangspausen. "Venus ist eine Fighterin wie keine zweite", sagt Amerikas frühere Tennisgröße Chris Evert, "sie ist ein Vorbild für jeden jungen Sportler." Die Beharrungskraft der Unermüdlichen ist beispiellos, erst recht vor dem Hintergrund ihrer Krankheit: In New York nahm sie zuletzt an ihrem 72. Grand Slam-Turnier teil, übertraf damit den Rekord von Landsfrau Amy Frazier. Und natürlich war und ist sie mit ihren 37 Jahren nun auch mit Abstand älteste WM-Teilnehmerin. "Ich wundere mich selbst, dass ich immer noch da bin", sagt die Kalifornierin, die womöglich das finale Ausrufezeichen hinter diese Tennissaison setzen kann, "ganz ehrlich: Ich habe auch nicht mehr jeden Tag geglaubt, dass ich noch einmal stark zurückkommen würde. Aber hier bin ich."

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