"Tennis ist nicht besonders fortschrittlich"

Mit Gilles Simon hat Jan de Witt noch große Ziele
© getty

Jan de Witt feiert in Kitzbühel seine sportliche Premiere: Der Coach von der Break Point Base in Halle/Westfalen ist zum ersten Mal bei den Generali Open. Und wie immer bester Laune und sehr gesprächig.

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tennisnet: Herr de Witt. Sie sind schon so lange im Tennisgeschäft, aber das erste Mal hier in Kitzbühel. Wie kommt´s?

Jan de Witt: Das liegt am Turnierplan, wie er international organisiert ist. Ich habe die letzten zehn Jahre immer mit Spielern gearbeitet, die in den nachfolgenden Pflichtturnieren immer im Hauptfeld sind, und dann ist Kitzbühel eigentlich unspielbar. Man kann nicht Kitzbühel ernsthaft spielen und danach mit sechs Stunden Zeitunterschied auf einem anderen Kontinent in einer anderen Klimazone antreten.

tennisnet: Sie sind mit Gilles Simon hier, kommen gerade aus Hamburg. Wie schwierig ist es für einen routinierten Spieler wie Simon, sich auf die Höhenlage hier einzustellen?

de Witt: Das dauert ein bisschen, die Bälle springen hier höher, fliegen ein wenig weiter, aber die älteren Spieler tun sich grundsätzlich ein wenig leichter, weil sie es auch schon häufiger gemacht haben. Das hat bei Gilles gestern schon ganz ordentlich ausgesehen und wird für uns hier kein Problem sein.

tennisnet: Was braucht ein erfahrener Mann wie Gilles Simon, der schon einmal in den Top Ten gestanden hat, in der jetzigen Phase seiner Karriere von einem Trainer?

de Witt: Das kommt darauf an, wie man "jetzige" Phase definiert. Als wir angefangen haben, war er Ende 20. Und das Ziel war, wieder unter die Top Ten zu kommen und sein Spiel auf ein höheres Niveau zu heben, als er das je gehabt hat. Das haben wir beides geschafft. Das sind grundsätzlich Ziele, die wir auch weiter verfolgen. Einfach besser zu werden. In einer Situation wie im laufenden Jahr, wo wir nicht so erfolgreich sind, ist es wichtig, dass ein Spieler Vertrauen bekommt, dass er in bestimmten Situationen gecoacht wird. Was dann mit dem nackten Tennis gar nicht so viel zu tun hat. Schwierig ist dabei, die Balance zu halten zwischen inhaltlicher Arbeit und dem großen Ganzen.

tennisnet: Wie halten Sie es mit dem Kontakt mit ihren Spielern außerhalb der Trainingszeiten bei Turnieren?

de Witt: Meine Lösung ist, dass ich den Spielern nach dem Training grundsätzlich aus dem Weg gehe. Ich gehe nicht mit Spielern zum Abendessen, unternehme keine anderen Dinge abseits vom Tennis. Wir haben gestern viereinhalb Stunden lang trainiert und dann haben wir noch inhaltliche Sachen zu klären. Und dann habe ich das Gefühl, dass es auch mal gut ist. Dass der Spieler auch mal froh ist, mich dann nicht sehen zu müssen. Weil ich muss dem Spieler dann ja auch häufig unangenehme Dinge sagen. Ich muss hart mit ihm umgehen. dann ist ein wenig Distanz gut. Gilles hat damit kein Problem, er ist ein sehr selbständiger junger Mann. Das war er aber mit 20 auch schon.

tennisnet: Gilles Simon ist ein Spieler, der vor allem in der Defensive stark ist. In Wimbledon gegen Dominic Thiem hat er, vor allem zu Beginn, sehr offensiv agiert. Wie schwierig ist die Umstellung des Spielstils?

de Witt: Das ist schwierig, wenn man es nicht vorbereitet hat. Offensiv würde ich nur zustimmen, als dass er häufig ans Netz gegangen ist, viel versucht hat, Situationen nach vorne aufzulösen. Ansonsten fand ich das viel zu passiv, was Gilles gespielt hat. Wir haben die richtige Mischung da nicht getroffen. Wenn man einen Spieler darauf trimmen möchte, mehr nach vorne zu gehen, dann muss man sowohl die Schläge wie auch die Bewegungsabläufe wie auch das Positionsspiel im Training immer wieder üben, damit der Spieler auf Top-Niveau damit erfolgreich ist. Denn wenn der Spieler damit nicht erfolgreich ist, kann man noch so tolle Ideen haben, dann wird er irgendwann aufhören, das zu tun.

tennisnet: Wir haben in diesem Jahr eine kleine Renaissance von Mischa Zverev erlebt, einem Mann, der das Serve-and-Volley-Spiel pflegt. Warum sieht man das nicht öfter? Auch nicht bei den Frauen?

de Witt: Karlovic macht das ja auch. Es gibt schon noch ein paar, die sehr viel Serve-and-Volley spielen. Das hat andere Gründe als bei den Frauen: Die können das Feld mit etwas weniger Sprungkraft und Athletik nicht vollständig abdecken, können nur dann ans Netz kommen, wenn der Punkt sehr gut vorbereitet ist. Weil es Zonen auf dem Spielfeld gibt, die die Damen einfach nicht gegen Lobs oder Passierbälle abdecken können. Bei den Herren ist der Hauptgrund, dass sich die Athletik im Bereich Return und Passierspiel extrem verbessert hat. Und wenn man sich Videos von vor 20, 25 Jahren anschaut, als wir noch sehr viele Spieler gehabt haben, die pausenlos ans Netz gegangen sind, fällt auf, dass die Geschwindigkeiten im Spiel wesentlich niedriger waren. Vor allen Dingen aber auch die Lauf- und Bewegungsgeschwindigkeit, mit denen die Spieler in die Defensivsituationen gekommen sind. Da sind die Jungs in einem viel besseren Zustand. Und es ist ja kein Zufall, dass diejenigen, die die letzten zehn Jahre dominiert haben, mit Ausnahme von Roger Federer, alle ihre Stärken im Bereich Returnieren, Konter, solide neutral spielen haben. On top natürlich aber auch offensive Fähigkeiten. Es sind keine Spieler, die nur defensiv stark sind. Aber in diesem Bereich eben stärker als alle anderen.

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