Mit Herz und Seele (und viel Charme)

Grigor Dimitrov
© getty

Grigor Dimitrov ist endlich angekommen, wo ihn viele schon lange gesehen haben: Fast ganz oben. Kein Zufall, sondern das Ergebnis harter Arbeit. Der Tour tut es gut.

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Von Florian Goosmann aus London

Oft wurde er schon abgeschrieben, als einer der verlorenen Generation gelabelt - 2017 hat Grigor Dimitrov gezeigt, dass ihm noch alles zuzutrauen ist. Dank eines tollen Saisonstarts mit 16 Siegen aus 17 Spielen legte er den Grundstein, die eine Niederlage, gegen Rafael Nadal im Halbfinale der Australian Open, war eines der besten Spiele des Jahres. Im August holte Dimitrov in Cincinnati sein erstes Masters-Turnier, sein bislang größter Erfolg, getoppt nun vom Sieg in London.

Bei den US Open 2016 bereits sollte Dimitrov beschreiben, warum er so gut spiele, und er holte aus, sprach von wiedergewonnener Freude am Training, auch dank der Unterstützung von Coach Dani Vallverdu, von Schmetterlingen im Bauch vor einem Match. "Ich genieße die Arbeit wieder. Ich genieße es, morgens früh aufzuwachen und zum Training zu gehen. Ich genieße die Eisbäder. Ich genieße so ziemlich alles, was ich tue." Nach einer Zeit, in der es für ihn von Platz 8 im Jahr 2014 bis auf Rang 40 zwei Jahre später gegangen war.

Grigor Dimitrov: Einer mit Charme und Herz

Dass er ein Typ ist, der dem Tennis gut tut? Wusste man schon lange. Aber es gibt eben die Momente, die man nur mit Dimitrov erlebt. Ein herrlicher Dialog in einer Pressekonferenz von Melbourne:

- "Glaubst du, dass sich dein Aufstieg im Tennis etwas verzögert hat, weil du dich zwischenzeitlich in etwas anderes verliebt hast?"

Dimitrov (grinsend): "Auf was beziehst du dich? Sag es mir, es ist okay."

- "Als ich jung war, mochte ich junge Frauen sehr gern. Das hat mich oft abgelenkt. Ich würde gerne wissen, ob dir das auch so ging."

Dimitrov: "Du verdienst jetzt die beste Antwort. Lass mich drüber nachdenken. (lacht) Das ist das Großartigste, das ich gehört habe - wow. Ich habe offensichtlich eine Schwachstelle hierfür. Ganz ernsthaft: Ich versuche solche Dinge immer außerhalb des Platzes zu belassen. Als ich jünger war, habe ich zwischen persönlicher Liebe und Liebe zum Tennis unterschieden. Oder was auch immer. Aber es gab eine Zeit, in der ich nicht sicher war, wie ich mit beiden Dingen gleichzeitig umgehen sollte. Aber man lernt. Wir werden erwachsen. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich aus meinen Fehlern gelernt habe, aber ich habe mich selbst etwas besser kennengelernt. Ich denke, das hilft mir. Hoffentlich hilft es mir für die Zukunft in allen Liebesangelegenheiten."

- "Viel Glück"

Dimitrov (grinst): "Danke"

Auch hier in London waren die Presserunden mit Dimitrov amüsant - der Typ hat einfach Charme. Frage: Er sei ja Bulgare, lebe in Paris, wohne in Monaco, habe eine russische Freundin in Los Angeles gehabt. Ob er sich als Bürger der Welt sehe. Dimitrovs Antwort: "Du hast jetzt nur eine Freundin erwähnt. Komm schon, Mann!" Gefolgt von einem Lachen. Und: von bedachten, ausführlichen Antworten.

Und Dimitrov will sich auf seinen Lorbeeren nicht ausruhen. "Eines meiner größten Ziele ist ein Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier. Das war es immer schon", sagte er nach dem Finalsieg. Zuzutrauen ist es ihm nun so langsam.

David Goffin mit spektakulärem Tennis

Aber auch Finalgegner David Goffin eroberte die Herzen in London. Und feierte gleich zwei Mal seinen größten Triumph - erst gegen Rafael Nadal ("Der größte Sieg meiner Karriere, sicher"), dann über Roger Federer ("Der größte Sieg meiner Karriere, sicher"). Auch wenn er, trotz aller Euphorie, den Gewinn gegen Nadal ob dessen sichtlicher Verletzung einschränkte.

Gegen sein großes Vorbild Roger Federer startete er wieder mal als krasser Außenseiter ins Match, nach zuvor sechs meist klaren Niederlagen, zuletzt in Basel. Nach dem ersten Durchgang schien alles auf eine Wiederholung des üblichen Ablaufs hinauszulaufen, dann jedoch fasste sich Goffin ein Herz und ging aggressiver zu Werke - mit Erfolg. Auch das Finale bestimmte er und sorgte so für spektakuläre Ballwechsel, am Ende waren es dann einige Fehler zu viel gegen den abwartenden Dimitrov.

Vor Turnierbeginn hatten alle heimlich auf ein erneutes Finale zwischen Roger Federer und Rafael Nadal gehofft; diejenigen, die sich deshalb Finaltickets gekauft hatten, mögen sich im Laufe der Woche geärgert haben. Am Sonntagabend sind sie sicher glücklich nach Hause gegangen: Das Endspiel Dimitrov gegen Goffin war das beste Spiel der Woche - eben finalwürdig.

Mit zwei Spielern, die auch 2018, wenn die langzeitverletzten Murray, Djokovic, Wawrinka und Co. wieder angreifen werden, oben mitspielen wollen. Sie dürfte spannend werden, die neue Saison.

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