Der "Meister der Big Points" ist raus

Roger Federer
© getty

Es hatte nicht sein sollen: Roger Federer ist im Halbfinale der Nitto ATP World Tour Finals in London gescheitert und verpasst damit die Chance auf seinen seinen siebten Titel bei der Tennis-WM.

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London. Auf was soll man sich überhaupt noch verlassen im Welttennis? Nun jedenfalls, nach dem Halbfinale bei der ATP-Weltmeisterschaft in London, auch nicht mehr auf Roger Federer. Als haushoher Favorit war er in sein Vorrundenspiel gegen den Belgier David Goffin gegangen, nicht zuletzt wegen einer bisher makellosen 6:0-Siegbilanz im Kopf-zu-Kopf-Vergleich - doch dann währte Federers Pracht und Herrlichkeit gegen seinen vermeintlichen Lieblingsgegner nur einen Satz lang in der ausverkauften 02-Arena. Als ganz und gar abgerechnet war in diesem ersten Semifinale, hatte sich nichts weiter als die nächste große Sensation in dieser Saison ereignet, allerdings erstmals sehr zum Schaden des Schweizer Maestros. Und nicht, wie so oft im erstaunlichen Jahr 2017, zu seinem Ruhm und Nutzen. Nach eindreiviertel Stunden klatschte ein Aufschlagreturn Federers an die Netzkante, besiegelt war damit der 2:6, 6:3, 6:4-Sieg des 26-jährigen Wallonen, der in den ersten Sekunden nach diesem größten Karrieretriumph völlig entgeistert in Richtung seines Betreuerteams blickte. "Das ist ein ganz spezieller Moment in meiner Laufbahn als Profi. Das kommt wirklich unerwartet, ist total überwältigend", sagte Goffin.

Federer verwertet Chancen nicht

Federer hätte seinen siebten WM-Titel gewinnen können, dazu den achten Titel in dieser Spielzeit eines fabelhaften Verletzungscomebacks. Doch ausgerechnet der Meister der Big Points, der Mann mit der zupackenden Energie in den wichtigen Situationen, ließ viel zu viele Chancen gegen Goffin liegen - es verwunderte umso mehr, da Federer die Rolle des Frontrunners liebt, also genau jene Position, die er nach dem souverän gewonnenen ersten Satz einnahm. Aber die Statistik wies später klar und schonungslos auf, woran es bei Federer krankte. Elf Breakchancen hatte er gegen den schmächtigen, nur 68 Kilogramm leichten Belgier, aber verwandeln konnte er nur zwei davon. Immer und immer wieder entwischte Goffin wie ein Entfesselungskünstler aus der Bedrängnis, hatte die passenden Antworten, wenn er sie am dringendsten brauchte. "Ich habe mich nicht so richtig wohl gefühlt auf diesem sehr schnellen Platz, auch mit den Spielbällen", sagte Federer hinterher, "aber das nimmt nichts von Davids Sieg." Goffin trifft im Endspiel entweder auf den Bulgaren Grigor Dimitrow, den bisher überragenden Spieler bei dieser WM, oder auf Überraschungs-Halbfinalist Jack Sock aus den USA.

Lob an Goffin

Federer war nach seiner Rückkehr auf die Centre Courts zu Saisonbeginn der Mann für die regelmäßig herausragenden Schlagzeilen, niemand, nicht einmal er selbst, hätte sich träumen lassen, dass er dieses Jahr 2017 mit sieben Titeln, darunter zwei Grand Slam-Triumphen beenden würde. Deshalb war die Halbfinalniederlage nur ein vergleichsweise lässlicher Schönheitsfehler für den 36-jährigen Altmeister, eine Niederlage, an der auch nichts auszusetzen hatte: "David hat so gut gespielt heute, dass er den Finaleinzug absolut verdient hat. Das habe ich ihm auch gesagt", so Federer, "er ist ein netter Typ, der sich nun einen großen Traum erfüllen kann."

Genau genommen: Einen ersten großen Traum. Denn Goffin ist auch noch einer der Hauptbeteiligten beim Davis Cup-Finale, bei dem Belgien am nächsten Wochenende im französischen Lille gastiert. Auch Goffin ist ein Comeback-Phänomen in dieser Saison, nach einem unglücklichen Sturz in seinem Drittrundenmatch bei den French Open hatte er zwei Monate pausieren und auch auf einen Start in Wimbledon verzichten müssen. Gleichwohl sicherte er sich in dieser Tenniswelt der Großen und Starken wieder, wie im Vorjahr, einen Platz im WM-Teilnehmerfeld - gerade der Schlußspurt des Belgiers etwa mit den Siegen in Shenzhen und Tokio war beeindruckend.

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