Bitte nicht zu revolutionär!

Von Florian Heer
Der Centre Court in Mailand
© getty

Mit gleich zehn Regeländerungen wartete die ATP bei der Erstauflage ihrer Next Gen Finals in Mailand auf. Unser Reporter vor Ort hat die Eindrücke auf sich wirken lassen - das Ergebnis fällt überwiegend positiv aus.

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Von Florian Heer aus Mailand

Ja, bitte gerne!

Shorter Warm-up
Das Match beginnt genau 5 Minuten nachdem der zweite Spieler den Platz betreten hat.

Auf jeden Fall! Diese Regel geht vielleicht sogar gar nicht weit genug. In der Vergangenheit wurde hierzu bereits schon revolutionärer gedacht. Es gibt Stimmen, die das Aufwärmen auf dem Court völlig abschaffen möchten. Gerade in den Anfangsphasen der Turniere mit x-Matchansetzungen würde es den straffen Zeitplan entlasten. Die Zuschauer könnten sich auch mehr auf den mit Punkten gewerteten Verlauf konzentrieren, ohne vorheriges Geplänkel.

Hawk-Eye-Live
Keine Linienrichter. Alle Calls über Hawk-Eye.

Schwer vorstellbar, dass in den nächsten fünf Jahren auf allen Außencourts der teilweise weitläufigen Grand Slam-Anlagen diese Regel umzusetzen ist. Zukunftsweisend ist sie aber allemal. Die Technik funktioniert. Fehlentscheidungen werden eliminiert. Ein etwaiger Vergleich mit dem Videobeweis beim Fußball hinkt, da dieser immer noch einen gewissen Interpretationsspielraum lässt. Und wer kann sich noch an den Netzrichter beim Tennis erinnern?

Player Coaching
Die Spieler haben die Möglichkeit bei Ende jeden Satzes via Headset mit ihrem Coach zu sprechen.

Was auf der WTA-Tour bereits Realität ist, wird bei den Männern schon seit längerem diskutiert. Die ATP hat in Mailand das Coaching so umgesetzt, dass, anders als bei den Damen, der Trainer lediglich verbal mit seinem Schützling in Kontakt treten kann. Das führt zu interessanten, teilweise auch höchst unterhaltsamen Einblicken für die Zuschauer an den Endgeräten. Im Stadion verpufft dieser Effekt natürlich. Trotzdem könnte dieses Instrument wohl relativ problemlos und vielleicht auch schon bald ebenfalls auf den regulären Turnieren zum Einsatz kommen. Die Einschränkung, dass die Konversation nur auf Englisch stattfinden soll ist allerdings unfair gegenüber Nicht-Muttersprachlern. Jedes Team sollte in der Sprache kommunizieren dürfen, in der es auch außerhalb des Matchgeschehens tut.

No-Let Rule
Das Spiel wird nach Netzaufschlägen nicht unterbrochen.

Eigentlich keine richtige Innovation. Bereits 2013 hat die ATP diese Regel auf der ATP-Challenger-Tour probeweise eingeführt. So wurden zum Beispiel auch die Heilbronn Open in jenem Jahr unter dieser Regel ausgetragen. Nach drei Monaten Versuchszeit verschwand das Experiment aber wieder von der Bildfläche. Zu unrecht. Ballwechsel werden bei Netzberührungen auch nicht unterbrochen. Der Glücksfaktor würde lediglich ein wenig ausgedehnt werden, die Spannung beim Aufschlag würde sich aber zusätzlich erhöhen.

Medical Time Outs
Verletzungsbedingte Pausen sind auf eine pro Match limitiert.

Bisher sind zwei Unterbrechungen pro Match und Spieler erlaubt. Aber welche ernsthaften Verletzungen können auch tatsächlich in lediglich drei Minuten behandelt werden? Außerdem verkommt die Medical Time Out auch immer mehr zu einem taktischen Hilfsmittel, um den Spielrhythmus des Gegners zu brechen. Im Tischtennis existiert beispielsweise seit einigen Jahren die Möglichkeit, ein nur ein-minütiges "Time-Out" pro Match zu setzen, ohne Angabe von Gründen und zu jeder Zeit möglich. Vielleicht eine Alternative?

Shot Clock
Die Spieler bekommen die strikte Zeitvorgabe, in 25 Sekunden nach jedem Ballwechsel den Ball wieder ins Spiel zu bringen, angezeigt als Countdown auf einem Bildschirm.

Wer hätte zu Beginn der Woche gedacht, dass sich diese Regeländerung als Liebling der Spieler entpuppen wird? Durch die Bank haben sich alle acht Teilnehmer in Mailand positiv zu diesem Novum geäußert. Mehrfach wurden rein pragmatische Dinge als Gründe angeführt. Man sehe einfach die Zeit runterzählen und dies ermögliche es den Spielern rechtzeitig den neuen Punkt zu eröffnen. Ob einem Rafael Nadal diese Regel auch gefallen wird, bleibt jedoch zu bezweifeln. Den Zuschauern kann es aber nur recht sein, wenn das Spiel beschleunigt wird. Als Ergänzung könnte hier noch das inzwischen inflationär eingesetzte Schweißabtrocknen mit dem Handtuch oder sogar den Handtüchern zwischen den Punkten verboten werden.

Singles-Only Court
Die Doppellinien entfallen.

Bei Veranstaltungen, die lediglich im Einzel ausgetragen werden, eigentlich logisch. Erinnert ein wenig an den Grand Slam Cup in den 1990er Jahren.

Free Movement Policy
Fans ist es jederzeit erlaubt den Platz einzunehmen oder zu verlassen. Ausnahme bleiben die Bereiche hinter den Spielern an der Grundlinie, da sich diese im direkten Blickfeld der Spieler befinden.

Welcher Tennisturnierbesucher kennt nicht, dass sich wie eine Ewigkeit anfühlende Warten, wenn man nach einer kurzen Pause wieder seinen Sitzplatz einnehmen möchte, die Gladiatoren auf dem Court aber gerade in einer Endlosschleife über Einstand gehen? Hier gilt wohl das Credo: Solange die Menschenbewegungen außerhalb des unmittelbaren Blickfeldes der Spieler geschehen, nur zu!

Nein, lieber nicht!

Shorter Sets
Best-of-5 bis zu 4 (Tiebreak bei 3-3)

Die mit Sicherheit umstrittenste Regel, welche dazu dient die Matchdauer zu verkürzen. Allerdings wirbelt sie auch die Tennisregeln als solches ordentlich durcheinander. Eine Übernahme dieser Neuerung wäre wohl die größte Revolution im Tennis seit Einführung des Tiebreaks im Jahr 1970. Die Spieler stehen den kürzeren Sätzen auch durchweg skeptisch gegenüber. Was vielleicht für das Fernsehen ein Segen wäre, muss aber nicht unbedingt besser sein. Die Dramaturgie des Spiels verbessert diese Regel auf jeden Fall nicht.

No-Ad-Scoring
Kein Spiel über Einstand und Vorteil. Der Aufschläger darf sich die Seite aussuchen.

Auch bei dieser Regel mangelt es seitens der Beteiligten nicht an Kritik. Was bereits beim Doppel eingeführt wurde - mit dem Unterschied "Receiver's choice" -, gilt in Mailand nun auch beim Einzel. Dass der Matchverlauf dadurch beschleunigt wird, mag wohl unbestritten sein. Allerdings wird auch hier einem engen Satz seine Dramatik entzogen. Epische Marathonmatches à la Nadal gegen Djokovic bei den Australian Open 2012 wären so undenkbar.

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