Die Evolution des Roger Federer

Von Marco Kühn
Die Rückhand des "Maestro" hat in Melbourne gezündet
© getty

Die Zeichen der Zeit zu erkennen - das hat Roger Federer geschafft. Und mit taktischen und technischen Änderungen die Grundlage für seinen Triumph bei den Australian Open gelegt.

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Anschnallen. Eine wilde und aufregende Reise durch alle taktischen Finessen des Tennissports steht uns bevor. Roger Federer ist nicht zu packen. Und erst recht lässt er sich nicht in eine Schublade stecken. Er ist ein Ninja auf dem Platz. Niemand weiß, was passiert. Außer der Maestro selbst. Denn ebenso wie ein Ninja weiß er selbst ganz genau, was er tut. Seine Gegner sind es, die nach seinen Manövern im dunklen tappen und nicht mehr wissen wie ihnen geschieht.

Die Länge der Ballwechsel

Das Spiel von Roger Federer lief vor zehn Jahren über seine mächtige Vorhand. Bereits in seiner Jugend stach dieser Schlag hervor und wurde zu seinem Markenzeichen. Mit der Vorhand kann Federer alles. Allen voran unglaubliches Tempo erzeugen. Die Schleife bei der Aushol-Bewegung seiner Vorhand war früher wesentlich aufwendiger und größer, als sie es jetzt ist. Klar. Das Spiel ist schneller geworden. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, um sich auf einen Schlag vorzubereiten.

Der jüngere Roger Federer schwebte förmlich an der Grundlinie entlang. Pfeilschnell, leise und stets von großer Eleganz umgeben. Damals ging Federer auch gern über die Defensive. Er hatte noch nicht so sehr das Hauptaugenmerk auf der totalen Offensive. Federer war es, der aus der Defensive immer wieder zurückkam und mit unglaublichen Schlägen den Punkt beendete. Was Novak Djokovic, Rafael Nadal und Andy Murray später in absoluter Perfektion auf den Platz zauberten, zeigte Federer bereits in Ansätzen.

Doch wäre Roger Federer nicht der beste Tennisspieler aller Zeiten, wenn er sein Spiel nicht verändern könnte.

Slice, Volley und der Fuß auf der Grundlinie

Die Zeit zeigte, dass Spieler kamen, die das "Geplänkel" von der Grundlinie sicherer und ausdauernder beherrschten. Rafael Nadal wurde mit seinen unermüdlichen, hohen Topspin-Bällen auf die Rückhand von Federer zu einem Albtraum in Dreiviertel-Hose. Jeder Federer-Fan wird das Geräusch des Rahmenballes wohl nicht mehr los. Es wurde Zeit, sich neu zu erfinden.

Roger Federer gab seinem Spiel wie einem guten Essen neue Würze. Er veränderte einige Zutaten. Und servierte seinen Gegnern im Laufe der Jahre ein neues Spiel. Nun war nicht mehr die Frage, wann Federer den vermeintlich leichten Fehler mit der Rückhand fabrizierte. Federer stellte seinen Gegner durch sein neues Spiel eine andere Frage: "Wie lang hältst du meinem Druck stand, ohne an dir zu zweifeln?"

Fast auf der Grundlinie stehend, gibt Federer heutzutage seinem Gegner kaum Luft zum Atmen. Selbst für Rafael Nadal wurde es im Endspiel der Australian Open 2017 teilweise zu schnell. Der Ball kam schon zurück, als "Rafa" gerade erst mit seinem Schlag fertig war. In den letzten fünf Jahren hat Roger Federer sein Netzspiel auf ein komplett neues Level gehoben. Seine Angriffe sind clever und perfekt dosiert. Die Laufwege zum Netz geben dem Gegner kaum Winkel, um zu passieren. Der Rückhand-Slice zerstört den schönsten Spielrhythmus und scheint so giftig zu sein, dass er selbst dem besten Hardhitter das Tempo vom Schläger nimmt. Boris Becker sprach während seiner Funktion als Kommentator immer wieder die Variabilität beim Aufschlag an. Roger Federer ist ein Meister dieser Disziplin. Aufschläge auf Mann, mit Slice nach außen und hart durch die Mitte wechseln sich mit Finessen wie dem Aufschlag auf den Körper des Gegners drehend ab. Für den Returnspieler ist es unmöglich, sich auf den Aufschlag des Schweizers einzustellen.

Wie ein Meister Schwächen akzeptiert

Der "nur" reingechippte Rückhand-Return gehörte vielleicht zu den Schwächen im Spiel von Federer. Spieler wie Nadal oder Djokovic kamen durch diesen Slice-Return sehr einfach in die Ballwechsel. Sie mussten nichts dafür tun, außer den zweiten Aufschlag auf die Rückhand von Federer zu spielen. Das Finale der Australian Open zeigte, wie ein Meister dieser Schwäche ausradiert. Der Meister verändert seine Returnposition. Er stellt sich mal mehr mittig, mal mehr nach außen. Er wagt den Schritt ins Feld. Und holt sich so das Selbstvertrauen, um die eigene Rückhand auf den zweiten Aufschlag des Gegners durchzuziehen. Ein entscheidendes Puzzleteil auf dem Weg zum 18. Grand-Slam-Titel.

Wohin wird die taktische Reise gehen? Roger Federer kann sich in dieser Hinsicht hinsetzen, einen Tee trinken und lächeln. Sein Plan funktioniert. Auch über fünf Sätze. Das Selbstvertrauen ist aufgetankt. Die Karriere kann weitergehen. Nun ist die Konkurrenz gefragt, diesen Roger wieder zu entschlüsseln.

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