Wundersame Williams im Finale: "Nichts war hier selbstverständlich"

Serena Williams
© getty

Nach ihrer schweren Zeit rund um Schwangerschaft und Geburt steht Serena Williams im Wimbledonfinale - und greift nach ihrem 24. Grand-Slam-Titel.

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Von Jörg Allmeroth aus Wimbledon

Serena Williams musste es an diesem Donnerstagabend immer wieder betonen. Wie unwahrscheinlich das alles sei, die Siege hier in Wimbledon, von der ersten Runde bis zum Ende der ersten Woche. Und dann noch einmal bis hinein ins Endspiel, bis zur letzten Centre-Court-Verabredung mit einem vertrauten Gesicht auf der anderen Seite des Netzes, mit Angelique Kerber: "Nichts war hier selbstverständlich", sagte die 36-jährige Amerikanerin mit einem milden Lächeln, "wenn ich mir überlege, wo ich hergekommen bin zu diesem Finale, zu diesem Turnier überhaupt, dann ist das echt ein Wunder."

Williams liebt das Dramatische, die große Inszenierung, die große Erzählung auch. Aber die Tatsache, dass sie sich bei diesen Offenen Englischen Meisterschaften des Jahres 2018 die Chance auf ihren 24. Grand-Slam-Titel eröffnete - nach einer schweren Schwangerschaft, nach einer schweren Geburt und lebensbedrohlichen Wochen danach - ist wahrscheinlich die mit Abstand bemerkenswerteste Geschichte einer ohnehin mehr als bemerkenswerten Karriere. "Wenn sie diesen Titel holt", sagt Tennislegende Chris Evert, "würde es alles in den Schatten stellen und toppen, was sie bisher erreicht hat."

Wimbledon: Die Gewinnerinnen der letzten zehn Jahre

JahrSiegerinFinalgegnerinErgebnis
2008Venus WilliamsSerena Williams7:5, 6:4
2009Serena WilliamsVenus Williams7:6(3), 6:2
2010Serena WilliamsWera Swonarjowa6:3, 6:2
2011Petra KvitováMaria Sharapova6:3, 6:4
2012Serena WilliamsAgnieszka Radwanska6:1, 5:7, 6:2
2013Marion BartoliSabine Lisicki6:1, 6:4
2014Petra KvitovaEugenie Bouchard6:3, 6:0
2015Serena WilliamsGarbine Muguruza6:4, 6:4
2016Serena WilliamsAngelique Kerber7:5, 6:3
2017Garbine MuguruzaVenus Williams7:5, 6:0

Vor einem Jahr, als sich die Spanierin Garbine Muguruza zu ihrem ersten Erfolg auf dem legendären Tennis-Grün aufschwang, war Williams noch schwanger gewesen. Im September kam dann Töchterchen Olympia zur Welt, es gab allerdings schon größere Komplikationen, es war schließlich ein Kaiserschnitt nötig. Aber die eigentliche Leidenszeit begann erst danach: Wegen einer Lungenembolie musste Williams wochenlang im Krankenhaus liegen, schwebte offensichtlich sogar in Lebensgefahr. "Es war nicht immer ganz klar, dass ich es schaffen würde", sagte sie nun in London, "aber ich habe einen starken Willen. Ich habe schon so vieles in meinem Leben überstanden. Ich bin eine zähe Frau."

Williams: "Ich liebe Herausforderungen"

Nun, knappe zehn Monate später, steht sie wirklich und wahrhaftig schon wieder im größten Endspiel des Tennis, in ihrem zehnten Wimbledon-Finale. Es ist, anders als in den ganzen Jahren zuvor, eine Sensation, ein dickes Ausrufezeichen, ein beispielloser Willensakt. Vor allem, weil Williams eigentlich längst und erst recht nach der schweren Geburt von Tochter Olympia Goodbye hätte sagen können, als stolze Gewinnerin aller Schätze, die es in diesem Sport zu verteilen gibt. "Aber ich liebe eben die Herausforderungen. Ich wollte mir beweisen, dass ich auch als Mutter noch einmal die Spitze angreifen kann", sagt Williams, "dass es jetzt allerdings so schnell nach vorne geht, ist etwas unwirklich."

Gerade gegen Julia Görges im Halbfinale spielte die Amerikanerin bereits wieder auf dem Niveau ihrer Glanz-und-Gloria-Jahre, unwiderstehlich in ihrer Wucht und Leidenschaft und Präzision. "Es war das beste Spiel bei diesem letzten Comeback von ihr", befand Mutter Oracene Price am Donnerstag, als sie im Spielerrestaurant mit dem Rest des Williams-Clan saß, "sie kann mich immer noch jeden Tag verblüffen. Sie ist ein unglaubliches Kind."

Nach Paris-Rückzug wieder fit

Offiziell ist die jüngere der beiden Williams-Schwestern noch und nur die Nummer 181 der Weltrangliste, wenn sie am Samstag mit Kerber ins Theater der Tennisträume einmarschiert. Sie bestreitet ja erst ihr viertes Turnier seit der Rückkehr auf die Centre Courts, musste anfangs noch Enttäuschungen hinnehmen, wie bei der Erstrunden-Niederlage in Miami im März. Bei den French Open zog sie sich nur Stunden vor dem Achtelfinal-Prestigeduell mit Maria Sharapova wegen einer Brustmuskelverletzung zurück. Erst in Wimbledon hat sie schlagartig ihre alte Kraft und Magie zurückgefunden, wirkt wieder wie die Chefin des Ladens, die es zu schlagen gilt. "Ich bin es gewohnt, dass jeder gegen mich das größte Tennis seines Lebens spielt. Deshalb muss ich noch besser sein", sagt Williams. Auch jetzt, als Mutter, tief in ihren Dreißigern.

In der zweiten Turnierwoche hatte sich herauskristallisiert, dass wohl nur Kerber den Siegeslauf zum 24. Grand-Slam-Titel von Williams würde stoppen können - die zähe deutsche Spitzenkraft, die vor zwei Jahren schon couragiert und selbstbewußt im Finale gegen die Über-Frau der Szene aufgetreten war. "Kerber hat die Qualität, den unbarmherzigen Druck von Serena zu absorbieren", sagt Grande Dame Martina Navratilova, die neunmalige Wimbledonsiegerin, "und sie wirkt hier, als ob sie auf einer Mission unterwegs ist. Sie will endlich Wimbledon gewinnen. Aber Serena hat etwas dagegen."

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