Wimbledon: Angelique Kerber erfüllt sich den größten Traum überhaupt

Angelique Kerber mit dem Objekt der Begierde
© getty

2016 war Angelique Kerber bei ihrem ersten Wimbledon-Finale gegen Serena Williams noch chencenlos gewesen. Nun drehte die Kielerin den Spiess um - und holte 22 Jahre nach Steffi Graf als erste Deutsche den Titel an der Church Road.

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Von Jörg Allmeroth aus Wimbledon

An diesen Tag wird man sich künftig erinnern müssen, an diesen 14. Juli 2018. An den Tag, an dem die lange deutsche Titel-Dürre an der berühmten Church Road endete. An den Tag, an dem Angelique Kerber auch im grünen Tennisparadies von Wimbledon in die Fußstapfen von Steffi Graf trat: 22 Jahre nach dem letzten Triumph der Über-Frau des deutschen Sports stürmte Kerber gegen Serena Williams zu einem 6:3, 6:3-Sieg und auf den Thron im All England Club.

Royalen Besuch gab es an diesem Endspielsamstag, in der Ehrenloge saßen Herzogin Kate und Herzogin Meghan , aber die Königin auf dem Centre Court war keine andere als die wiedererstarkte, souveräne und selbstbewußte Siegerin Kerber. Es war sozusagen die Mutter aller Kerber-Siege - gegen die neue Tennismutter Serena.

"Es ist ein Traum in Erfüllung, der größte Traum überhaupt. Ich habe immer auf diesen Sieg hingearbeitet", sagte Kerber im Siegerinnen-Interview. "Ich wußte, dass ich mein bestes Tennis spielen muss. Und das habe ich auch geschafft."

Kerbers Schlag in die Wimbledon-Unsterblichkeit

Genau um 18.22 Uhr deutscher Zeit sank Kerber auf den Boden des Centre Court, in Tränen aufgelöst, fast noch ein wenig ungläubig, was genau in diesem Moment geschehen war - nämlich der Schlag in die Unsterblichkeit, als erste deutsche Grand Slam-Siegerin in Wimbledon in diesem Jahrhundert.

Schnell eilte auch Williams herbei, umarmte und herzte die verdiente Siegerin, die zwei Jahre nach der letzten Begegnung hier auf dem Wimbledon-Rasen das Schicksal nun gewendet und die beste Spielerin dieser Epoche bezwungen hatte. Und dann gab es für Kerber kein Halten mehr, sie rannte die Treppe hinauf zu ihrer Box, drückte Trainer Wim Fissette und Mutter Beata an sich.

Es war der einmalige Höhepunkt ihres schwierigen, nicht immer geradlinig verlaufenen Lebensweges im Profitennis - der Höhepunkt einer Karriere, die vor sieben Jahren beinahe in Wimbledon geendet hätte, nach einer Erstrunden-Niederlage gegen Laura Robson.

Serena tritt aus dem Blitzlichtgewitter

Fünf Minuten nach dem verwandelten Matchball reckte Kerber dann die Venus-Rosewater-Trophäe in den blauen Himmel über dem Centre Court, aus den Händen des Präsidenten des Club, dem Herzog von Kent, hatte sie die Silberware in Empfang genommen. Und schließlich hatte Kerber den Platz ganz allein für sich, es war ein symbolischer Moment innerhalb der Zeremonien: Williams trat nämlich ab im Blitzlichtgewitter der Fotografen, und dann posierte Kerber solo mit dem Hauptpreis des Welttennis, der Siegerschale von Wimbledon. Und führte die Schale dann auch noch einmal liebevoll spazieren, in einer Ehrenrunde rund um den Centre Court. Küßte sie, es sah so aus, als wolle sie das Geschenk nie wieder hergeben.

Lange mussten Kerber und Williams an diesem Samstag auf ihren Einsatz auf dem mythischen Hauptplatz Wimbledons harren, fast zwei Stunden hingen die Rivalinnen in der Warteschleife fest - wegen der Verlängerung des Herren-Halbfinales. Doch so wie Kerber in diesem ganzen Turnier nervenstark, kühl und überaus konzentriert gewirkt hatte, so wenig machte ihr auch diese kribblige Situation etwas aus aus.

Williams mit zu vielen leichten Fehlern

Aus dem Stand sprintete die Kielerin zu einer 2:0-Führung, musste zwar wieder den 2:2-Ausgleich hinnehmen, doch ab Mitte des ersten Satzes übernahm sie dann endgültig die Kontrolle über das Match. Breaks zum 4:3 und 6:3 machten nach 31 Minuten die 1:0-Satzführung perfekt. Kerber erkannte schlau, dass sie gegen die wankelmütige Amerikanerin nicht übermäßig ins Risiko gehen musste, sondern nur sauber und fehlerfrei die Bälle ins Feld zu platzieren hatte.

Die Fehler besorgte dann schon Williams, allein 14 leichte Irrtümer leistete sie sich in diesem Auftaktdurchgang.

Nach den Monaten harter Aufbau- und Comeback-Arbeit, in denen immer Wimbledon im Fokus gestanden hatte, als Ort, den es zu erobern galt, verlief diese letzte Etappe hinauf auf den Grand Slam-Achttausender fast unspektakulär. Auch im zweiten Satz. Auch, als die Schreie und Gefühlsausbrüche von Williams, der siebenmaligen Championesse, immer intensiver wurden. Kerber hielt dagegen, mit einer frappierenden Solidität. Mit jener Coolness und Selbstgewissheit, die sie auch in dieses letzte Duell gebracht hatte, über die letzten beiden Turnierwochen.

Kerber soll den Moment genießen

Wieder ging Kerber Mitte des Satzes in Führung, ließ sich den Vorsprung auch nicht mehr nehmen, vor allem, weil Williams bei ihrer Aufholjagd immer wieder von sich selbst ausgebremst wurde - mit zu vielen Fehlern, die freilich auch am Ende eines kraftzehrenden Turniers nicht überraschend waren für die junge Mutter. Immerhin war Wimbledon erst das vierte Turnier der 36-jährigen nach Schwangerschaft und Babypause.

"Ich hoffe, Angie kann und wird diesen Moment genießen. Es gibt nichts Schöneres, als Wimbledon zu gewinnen", sagte Williams später, "sie hat sich diesen Sieg verdient. Sie ist eine fantastische Spielerin."

Auf dem Balkon gefeiert

Nur 20 Minuten nach dem Triumph kam dann ein weiterer bewegender Moment für die deutsche Gewinnerin. Und zwar, als sie gemeinsam mit dem operativen Chef des All England Club, Philip Brooke, in die prunkvolle Eingangshalle marschierte. Dort, wo auch die Ehrentafel der Sieger und Siegerinnen steht.

Kerber und Brooke blickten auf die Galerie der Größen, oft steht da ja auch der Name Graf. Aber an diesem Abend, in dieser Minute, war auch bereits der Name der Wimbledon-Königin des Jahres 2018 fertig aufgedruckt - Angelique Kerber. "Es ist der Wahnsinn. Ich kann es kaum glauben", sagte Kerber zu dem Wimbledon-Boss. Und ließ sich dann auf dem Balkon vor Tausenden Fans feiern.

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