Das Ende des "Grusel Slam"

Die US Open sind in der Moderne angelangt
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Vom Grusel-Slam zum Glamour-Slam: Die US Open haben sich in den letzten Jahren von einer chaotischen Veranstaltung in ein modernes Hochglanzevent verwandelt.

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Von Jörg Allmeroth aus New York City

Es war an einem jener berüchtigten Chaostage in New York, da saß Boris Becker in einer hoffnungslos überfüllten Spielerlounge und sprach einen legendären Satz der Verachtung aus: "Es gibt Hundert Turniere im Tennis. Und dann gibt es die US Open." Mitte der 90er Jahre war das, und Becker hatte schon eine ordentliche Leidenszeit im Big Apple hinter sich:

Totale Willkür bei der Spielplangestaltung, nicht mal klammheimliche Bevorzugung der heimischen US-Profis, serienweise Organisationspannen - und eine Infrastruktur, die wirkte, als stamme sie noch aus der Steinzeit des professionellen Tennis. Und so fragte sich Becker auch, stellvertretend für seine vielen genervten Kollegen: "Sind wir hier tatsächlich in dem Amerika, das Menschen zum Mond geschickt hat?"

Ende der Mogelpackung

Wer heute über die Anlage in Flushing Meadows streift, draußen vor den Toren des Millionen-Molochs, kommt allerdings nicht mehr aus dem Staunen heraus: Die Zeiten, in denen der amerikanische Tennisverband USTA sein Majorturnier als "Glamour Slam" anpries, aber eher eine Mogelpackung, einen Grusel-Slam, präsentierte, sind ein für allemal vorbei. Binnen weniger Jahre haben die US Open ihr Sündenregister bereinigt und eine flächendeckende Modernisierung eingeleitet, die ehemalige Kritiker staunen lässt:

"Ich habe dieses Turnier gehasst, ich wäre am liebsten nicht mehr hingefahren", sagt der ehemalige Weltklassemann Goran Ivanisevic, "aber für die jetzige Spielergeneration ist das wie ein Märchen." Ivanisevic hatte in aktiven Zeiten sogar einmal im heiligen Zorn erklärt, er würde "am liebsten eine Atombombe über Flushing Meadow abwerfen."

Jahrelang überlagerte die beißende Kritik an der veralteten, aus der Zeit gefallenen, viel zu beengten Turnieranlage das eigentliche Grand-Slam-Spektakel. In den überfüllten Spielerbereichen fühlte sich der deutsche Altmeister Tommy Haas "wie im Zoo": "Die Leute stehen sich auf den Füßen. Die Stimmung ist so gereizt wie im Raubtierkäfig." Selbst Amerikas einstiger Tennis-Darling Andy Roddick schimpfte wie ein Rohrspatz "über das furchtbare Gedrängel" und die "Pampe, die sie uns hier vorsetzen."

Nadal polterte: "Es geht nur ums Geld"

2012 probten er und Spaniens Matador Rafael Nadal den Aufstand, als sie beide auf seifige, noch rutschige Courts hinausgeschickt wurden - das Duo verdächtigte naheliegend die allmächtigen TV-Networks dahinter. Und deren Wunsch, irgendwelche Spielbilder im regnerischen New York zu senden. "Es ist doch immer das Gleiche hier. Es geht nur ums Geld", sagte Nadal damals, "das Turnier ist nicht fair zu den Spielern."

Erst eine unglaubliche Pechserie brachte die Tennisbosse zum Einlenken und Umdenken: Nachdem anhaltende Wetterkapriolen fünf Mal eine Verlegung des Herrenfinales auf einen Montag erzwungen hatten, nahmen die Planungen für ein Centre-Court-Dach konkrete Formen an. Gleichzeitig sorgte ein Wechsel des heimischen TV-Senders für eine radikale Wende:

Nachdem sich der arrogante Großzahler CBS vom Grand-Slam-Tennis verabschiedet hatte, war schnell auch der bizarre Spielplan am Finalwochenende Geschichte - jener fatale, unfaire "Super Saturday", an dem die Herren unter dem TV-Diktat ihre Halbfinals auszutragen hatten. Nur um dann weniger als 24 Stunden später das Endspiel zu bestreiten. "Es war der reinste Irrsinn. Aber es war eben Teil der US Open damals", sagt Roger Federer, der das Turnier trotz aller Irrungen und Wirrungen fünf Mal gewann, von 2004 bis 2008 in 35 ungeschlagenen Matches hintereinander.

Kühner "Regen-Schirm"

Der erste Dienstag in diesem Wettbewerbsjahr wäre ehedem einer dieser frustrierenden Tage in New York gewesen, stundenlanger Regen, keine Matches, genervte Fernsehanstalten, enttäuschte Fans. Doch seit die US-Open-Macher nun einen kühnen Regen-Schirm über das Arthur-Ashe-Stadion gespannt haben, eine architektonische und ästhetische Meisterleistung, ist wenigstens Spielbetrieb in der größten Tennisarena der Welt gewährleistet.

Gut 100 Millionen Euro hat die Konstruktion verschlungen, aber sie ist ihr Geld buchstäblich wert - auch wegen hochdotierter TV-Verträge, die deswegen verlängert wurden. Auch die millionenteure Entschädigung von Fans, die an früheren Regentagen keine Minute Tennis zu sehen bekamen, können sich die USTA-Verantwortlichen nun sparen.

Doch das Fanerlebnis hat nicht nur wegen des "Regen-Schirms" ein Upgrade erhalten. Der Zuschauerkomfort auf den meisten Außenplätzen wurde verbessert, ein wunderschöner Grandstand-Platz entstand im Schatten des Centre Court. Und gerade wird auch an einem Umbau des alten Louis-Armstrong-Stadions gewerkelt.

Neues US-Open-Gefühl

"Eine Kehrtwende um 180 Grad" sieht da auch der deutsche Tennisfunktionär und Spielermanager Dirk Hordoff: "Das Turnier hat zu den Besten in der Szene aufgeschlossen." Noch vor ein paar Jahren war der einflussreiche Hordorff einer der schärfsten Ankläger gewesen, "Dilettantismus" war eher einer der harmloseren Vorwürfe aus seinem Mund in Richtung der US-Open-Führungsetage gewesen.

Das neue US-Open-Gefühl, der viel bessere Service für die Fans, das schlägt sich auch schwarz auf weiß in den Kassenbüchern des Verbandes nieder. Schon in den ersten Tagen wurden immer wieder neue Zuschauerrekorde vermeldet, fast immer passierten über 60.000 Menschen die Eingangstore.

Von Donnerstag bis zum Sonntag der ersten Woche waren alle Tickets schon vorab ausverkauft - und das, obwohl viele Stars der Branche bei den Ausscheidungsspielen 2017 fehlten. "Die Atmosphäre hier hat eben eine besondere Magie", sagt USTA-Chefin Katrina Adams, "und wir haben viele unserer drängenden Hausaufgaben gut erledigt."

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