"Irgendwann muss man die Rechnung zahlen"

Alexander Waske macht sich Sorgen
© Jürgen Hasenkopf

Alexander Waske leitet die nach ihm benannte Tennis-Universität in Offenbach. Der ehemalige deutsche Davis-Cup-Spieler im Gespräch bei den US Open über die Bälle in Wimbledon, den Druck auf Alexander Zverev und das On-Court-Coaching.

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tennisnet: Herr Waske. Sie sind seit Jahren auf der Profi-Tour unterwegs: zuerst als Aktiver, jetzt als Coach. Wie erklären Sie sich den Umstand, dass nicht nur viele Spieler für die US Open abgesagt haben - sondern auch gleich das ganze Jahr für beendet erklärt haben?

Alexander Waske: Ich glaube nicht, dass etwas in diesem Jahr extrem anders ist als in den anderen Jahren. Das ist der Tribut, der nach vielen Jahren einfach gezollt wird. Viele Menschen können das sicher nachvollziehen: Wenn Du einen neuen Job anfängst, gehst Du mit einer unheimlichen Euphorie ran. Wenn der Chef sagt: Am Sonntag hätte ich noch etwas, sagst Du: Klar, ich bin der erste, der da ist. Das tut einem auch nicht weh. Aber wenn man das ein paar Jahre lang macht - und gerade in unserer Generation ist das Problem mit dem Burn-Out ja sehr präsent - dann wird das zum Problem.

tennisnet: Worin genau besteht dieses?

Waske: Wenn man jede Woche zwei, drei ATP-Turniere zur Auswahl hat, und es heißt: Du könntest doch da noch spielen und da, und in der Woche drauf wieder - dann muss man klar sagen: Punkt. Strich. Urlaub. Training. Dann ruft aber plötzlich ein Turnier-Direktor an, der sagt: Wir würden Dir das und das zahlen. Die Belastungen heutzutage sind brutal hoch. Diesen Ball von Wimbledon halte ich für extrem grenzwertig, eigentlich nicht spielbar. Das führt zu den vielen Schulter- und Rückenproblemen, die wir mit einer Woche mehr Rasen haben. Dadurch, dass dieser Ball so langsam ist, damit es auf Rasen Ballwechsel gibt, blicken wir plötzlich auf eine ganz andere Kraft-Dimension. So etwas hat man in keinem anderen Sport, dass man ständig mit einem anderen Gerät hantiert.

tennisnet: Was sagen die Spieler dazu?

Waske: Die Spieler fordern seit Jahren einen Einheitsball für den jeweiligen Bodenbelag. Es sagt auch keiner etwas dagegen, dass sich die Bälle zwischen Sand, Rasen und Hartplatz unterscheiden. Aber gerade der Rasenball ist ein Problem. Wir haben vor kurzem eine Dose mit Bällen von 2002 geöffnet - da haben die aktuellen nicht mehr rein gepasst. Zu groß. Zu schwer. Der Rasenball ist die ersten beiden Spiele schnell, und danach muss man unheimlich drauf hacken - und bekommt dennoch kein Tempo zustande. Die Umkleide ist voll mit Spielern, die Eispacks auf der Schulter haben. Als ich vor zehn Jahren gespielt habe, gab es wahrscheinlich drei Spieler, die einen eigenen Physiotherapeuten hatten. Jetzt haben wir unter Top 100 vielleicht noch drei, die keinen haben. Natürlich teilt man sich so jemanden manchmal zu dritt, die Turniere haben sich auch umgestellt, haben jetzt mehrere Kabinen, damit die Privat-Physios auch arbeiten können. Dieses Feld ist viel größer geworden.

tennisnet: Was beobachten Sie sonst noch für Tendenzen?

Waske: Der Turnierplan der großen Spieler wird immer ähnlicher. Wie viele Spieler treten denn in der Woche vor einem Grand Slam bei einem Turnier an? In Australien vielleicht schon noch ein paar, weil davor eine lange Pause war. Aber in der Woche vor Paris hat aus den Top Ten nur Stan Wawrinka, in Nottingham dagegen war keiner der Topspieler dabei.

tennisnet: John Isner hat vor den US Open sieben Turniere in Folge gespielt.

Waske: Ja, aber irgendwann muss man dann halt die Rechnung dafür bezahlen. Man will ja nicht hier in New York und platt sein. Für uns Europäer ist es schwierig. Wir dürfen in Europa keine Hartplatz-Turniere haben. Da gibt es wohl eine Vereinbarung mit den Nordamerikanern. Das muss jetzt unbedingt mal aufgebrochen werden. Das wäre dann natürlich auch eine Überlegung für Hamburg: Ein 500er kurz nach Wimbledon in Europa, das würde das Turnier aufwerten. Und wir müssten nicht so lange in den USA sein.

tennisnet: Womit man aber keine Garantie auf ein tolles Starterfeld hat.

Waske: Garantie nicht. Aber wenn man jetzt nicht viel Geld hinlegt, hat man überhaupt keine Chance auf einen großen Namen.

tennisnet: Alexander Zverev ist mittlerweile ein ganz großer Name. Auch wenn er hier früh ausgeschieden ist. Die Erwartungen nehmen andererseits schon überhand.

Waske: Genau. Da muss man die Kirche mal im Dorf lassen. Alexander Zverev ist auf einem ganz, ganz großartigen Weg. Ich bin ein riesiger Fan von ihm. Und von seiner Mentalität. Ich habe ihn in Washington live erlebt. Da muss man aber auch sagen: Die Bälle waren richtig schnell, der Belag war schnell. Und wenn man dann gegen Zverev spielt, so wie Nishikori, der einer der besten Rückschläger auf der Tour ist: Der hat keinen Aufschlag zurück gebracht. Es hat nur eingeschlagen bei ihm. Und das darf man natürlich nie vergessen: die Umstände. Hier bei den US Open konnte man eben ein bisschen mehr spielen. Und der Druck wird ja nicht weniger, wenn man gut spielt. Eher größer. Und damit muss man auch umgehen können. Ich drücke ihm die Daumen, dass er das schafft. Er hat ein tolles Team um sich herum, aber das ist alles kein Selbstläufer.

tennisnet: Zurück zu Ihren Aufgaben als Coach. Bei den Damen ist das Coachen während der Matches ja erlaubt. Worauf muss man da aus Ihrer Sicht achten?

Waske: So etwas muss ma auch lernen und ein Gefühl dafür bekommen. Eine Sache, die ich wichtig finde: Der Spielerin, die sich auf die Bank setzt, hat ja meistens ein Problem, wenn sie den Coach ruft. Der Puls ist sehr hoch. Drehen Sie einfach mal drei Runden auf der 400-Meter-Bahn, setzen Sie sich dann hin - und lassen Sie sich von jemandem zutexten. Da hört man gar nicht hin. Das heißt: Das Wichtige ist, darauf zu achten, ob der Puls unten ist, damit die Spielerin die Informationen auch aufnehmen kann. Und jetzt muss man seine Hinweise so limitieren, dass man die richtigen Knöpfe erwischt. Meistens sind es ja Dinge, die man im Training besprochen hat. Da reicht oft ein Schlagwort, um eine ganze Denkkette auslöst. Wenn natürlich das, was man besprochen hat, nicht funktioniert, muss man den Plan ändern. Mit Andrea Petkovic hat das aus meiner Sicht in Washington gut funktioniert.

tennisnet: Da mussten Sie konventionell auf den Court. Hier aber ...

Waske: Hier war es bei der Qualifikation so, dass der Spieler jederzeit mit seinem Coach reden konnte. Grundsätzlich finde ich, dass wir nicht die einzige Sportart auf der Welt sein sollten, bei der das Coachen verboten ist. Die Spieler haben ein recht darauf. Die Spieler zahlen den Flug der Trainer, das Hotel, sie zahlen dessen Gehalt. Das ist teilweise ein Schweinegeld. Und dann soll er dasitzen und den Mund halten. Das ist doch Blödsinn.

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