Wawrinkas Sieg gegen die eigenen Zweifel

Stan Wawrinka
© getty

Gegen jeden Widerstand rang Stan Wawrinka im Halbfinale der French Open Andy Murray nieder. Nun spielt der Schweizer um seinen vierten Grand-Slam-Titel.

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Und dann ließ er es noch ein letztes Mal krachen, nach genau vier Stunden und 34 Minuten. Da holte Stan Wawrinka mit vollem Selbstbewusstsein aus, schlug mit aller Wucht und Präzision eine Rückhand die Linie entlang - und im nächsten Moment, der Ball war traumhaft und unerreichbar für Andy Murray im Feld gelandet, war er der große Sieger eines unvergesslichen French-Open-Nachmittags: Durch alle Höhen und Tiefen dieser Grand-Slam-Achterbahnfahrt hatte sich Wawrinka - ganz Stan, the Man - durchgekämpft und schließlich und endlich den Weltranglisten-Ersten mit 6:7 (6:8), 6:3, 5:7, 7:6 (7:3) und 6:1 im Halbfinale niedergerungen. Es war wie ein Weltmeisterschaftsduell zweier Schwergewichtsboxer, dieser Zweikampf auf dem Roten Platz von Roland Garros, diese Auseinandersetzung zweier Großmeister, die bis an die Grenze physischer und mentaler Limits geführt wurde.

Der Mann für die außerordentlichen Tennisstunden

"Es war ein unglaubliches Match, ein unglaublicher Sieg", sagte Wawrinka noch auf dem Court, von den Strapazen dieser monströsen Herausforderung gekennzeichnet. Zugleich aber auch "superglücklich" und "extrem zufrieden" mit dem Coup, der ihm da gegen den genialen Taktiker und unverzagten Fighter Murray gelungen war. Nur der Sieger des anderen Halbfinales kann Wawrinka jetzt auf dem Weg zum zweiten Paris-Titel nach 2015 stoppen, also der Rekordchampion Rafael Nadal. Fürchten muss sich dieser Wawrinka aber vor niemandem mehr, der Weltklasseathlet, der mit dieser Halbfinal-Vorstellung einmal mehr den Beweis antrat, dass er zum Mann für die außerordentlichen Tennisstunden auf Grand-Slam-Niveau geworden ist. Zum Mann für die große Bühne, auch zum Mann für die großen Siege. "Es ist verrückt, welche Entwicklung dieser Wawrinka durchgemacht hat", sagte Eurosport-Experte Mats Wilander schwer beeindruckt.

Und tatsächlich: War der Wawrinka, der an diesem 9. Juni auch die Herkules-Prüfung gegen Murray stemmte, noch dazu als Entfesselungskünstler nach zweimaligem Satzrückstand, war das wirklich jener Professional, der einst als Chancentod gegolten hatte? Der immer wieder die große Flatter bekam, wenn es galt, mit der Wichtigkeit und Bedeutung der Matches zu wachsen. Und der sich lange Zeit auch recht behaglich in der Schatten- und Nischenexistenz hinter Roger Federer eingerichtet hatte. Die Antwort lautet: Ja. Und so lapidar dieses Antwort ist, so erstaunlich ist die Verwandlung Wawrinkas zu einem Tennis-Star, der überall auf der Welt, besonders bei den Grand Slams, ein unverrückbarer Machtfaktor ist. Am Sonntag kann ihm der nächste Coup gelingen, wenn er den drei bisherigen Grand-Slam-Endspielen mit ihren drei Siegen Titel Nummer vier folgen lässt. Unmöglich ist nichts für ihn, den plötzlichen Tennis-Titanen mit der bulligen, selbstgewissen Ausstrahlung.

"Ich habe mich nie, nie, niemals aufgegeben"

Gegen Murray lieferte er ein Meisterstück an Beharrungskraft und Trotzigkeit, ein Widerstandsvermögen, das zuallerletzt auch Murray brach und zum Verlierer werden ließ. "Ich habe mich nie, nie, niemals aufgegeben. Obwohl es eines der härtesten und schwersten Spiele überhaupt war", sagte Wawrinka, "ich musste auch gegen die eigenen Zweifel ankämpfen, gegen den Druck, den ich verspürte." Aber Wawrinka schaffte es immer wieder, Ordnung in die eigenen Gedanken und Strategien zu bekommen, inmitten der Turbulenzen und aller Aufs und Abs, die dieses Marathonspiel bereithielt. Er steckte auch die verpassten Chancen weg, all jene Möglichkeiten, mit denen er einen schnelleren und einfacheren Sieg in den Sand hätte zeichnen können - etwa die schnelle und deutliche Führung im dritten Satz, die er nicht nutzte und dann sogar den Durchgang noch verlor. "Es war ein Wechselspiel der Gefühle, die Emotionen gingen hin und her", sagte Wawrinka später, "zum Glück habe ich mich immer wieder gefangen und neu attackiert."

Diese Haltung war es auch, die Wawrinka zum Triumphator in diesem Kampf aufsteigen ließ. Er war der Mann, der immer aggressiv auf Punktgewinne aus war, der die Initiative in den Ballwechseln ergriff und der nicht darauf wartete, dass sein Gegner Fehler machte. "Er ist der absolut verdiente Sieger", sagte Fernsehkommentator John McEnroe, "er war der aktivere, auch mutigere Spieler." Murray warf alles, was er an körperlichen und psychischen Ressourcen zur Verfügung hatte, in dieses Duell, aber es war nicht genug für Wawrinka - der nämlich behauptete sich vor allem in der Nervenschlacht des Tiebreaks im vierten Satz. Mit der Folge, dass Murrays Wille im allerletzten Akt erlahmte. Wawrinka ging binnen einer guten Viertelstunde mit 5:0 in Front, ließ sich den Vorsprung auch nicht mehr nehmen. "Ich bin verdammt frustriert jetzt", sagte Murray, der aufs Neue gescheitert war, einen der letzten noch fehlenden Major-Titel in seiner Karriere zu gewinnen. Wawrinka, Stan, the Man - er ist aber noch drin im großen Spiel. Als ältester Finalist übrigens seit Niki Pilic im fernen Jahr 1973.

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