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NFL Third and Long: Die NFL hat ein Offensive Line Problem

Die Dallas Cowboys haben seit Jahren eine der Top-Offensive-Lines.
© getty

Die vergangene Saison könnte eine Anomalie gewesen sein - doch die Offense-Probleme und die Gründe für das unerwartet konservative Vorgehen liegen womöglich auch ganz woanders: Die NFL hat ein O-Line-Problem. Wie sehen die nächsten Schritte aus? Außerdem: Welches ist das NFC-Team, das es zu schlagen gilt? Welches Team hat vor der kommenden Saison die beste Secondary? Und sollten die Tampa Bay Buccaneers jetzt Bridgewater verpflichten?

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NFL: Die Offensive Line Krise: Wie reagieren Teams?

Bereits nach Week 1 der vergangenen Saison kündigte sich an: Probleme in den Offensive Lines der Liga könnten eine Storyline werden, die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Jahr zieht - und umgekehrt die Teams mit guten Lines umso mehr herausstechen.

Die Run Pass Options konnte man schon kurz nach dem Saisonstart als eine Antwort darauf ausmachen, doch auch die RPOs konnten einerseits nicht alle Probleme überspielen - und andererseits wurden sie schlicht noch nicht so konstant genutzt, wie man zum Saisonstart hätte vermuten können.

Philadelphia (181 RPOs) Kansas City (168) und Green Bay (143) führten die Liga in der Regular Season in puncto RPO-Nutzung an. Auf der anderen Seite des Spektrums aber war Baltimore, das in der gesamten Saison lediglich elf Run Pass Options spielte. Der Liga-Schnitt lag bei 63, während gleichzeitig nur fünf Teams überhaupt weniger als insgesamt 500 Pass-Versuche hatten. Luft nach oben also.

Das gilt umso mehr, weil die Probleme nicht nur anhielten, sondern gar eklatanter wurden: Im Schnitt hatten Quarterbacks in der vergangenen Saison laut Football Outsiders eine Pressure-Quote von 31,6 Prozent gegen sich - der höchste Wert seit 2010. Und das trotz der RPOs und trotz der Tatsache, dass das Passspiel erstmals seit Jahren im Vergleich zur Vorsaison prozentual seltener genutzt wurde. Es ist ein Anstieg von vier Prozent im Vergleich zur 2016er Saison.

Die Quarterbacks mit der höchsten Pressure-Quote 2017:

PlatzSpieler (Team)PlaysPressure-PlaysPressure Rate
1Deshaun Watson (Texans)24810441,9
2Russell Wilson (Seahawks)65926239,8
3Case Keenum (Vikings)53620939,0
4Tom Savage (Texans)2529738,5
5Brett Hundley (Packers)37214238,2
6Jacoby Brissett (Colts)56021137,7
7Carson Palmer (Cardinals)29710736,0
8Tyrod Taylor (Bills)51518335,7
9Kirk Cousins (Redskins)61321835,6
10Carson Wentz (Eagles)50717935,3

Zahlen von Football Outsiders. Berücksichtigt sind nur Spieler mit mindestens 200 Pass-Plays.

Dabei prägten nicht nur RPOs und konservativere Offenses das Bild der vergangenen Saison - auch die Kurzpass-Offenses sind rapide auf dem Vormarsch und alle Quarterbacks werfen den Großteil ihrer Pässe in den Raum zwischen vor der Line of Scrimmage und 10 Yards hinter der Line of Scrimmage.

Kamen 2016 noch 14 Quarterbacks (mindestens 200 Pässe) auf über 9,5 Intended Air Yards pro Pass, erreichten in der vergangenen Saison nur acht Quarterbacks mit wenigstens 200 Pässen diesen Wert. Wie gesagt: Kürzere Pässe und weniger Risiko prägten das Bild, und dennoch standen Quarterbacks im Schnitt so häufig unter Druck wie seit Jahren nicht mehr.

Das wirft im Umkehrschluss natürlich die Frage auf - wie konnten manche Teams ihre Quarterbacks besser beschützen?

Die Quarterbacks mit der niedrigsten Pressure-Quote 2017:

PlatzSpieler (Team)PlaysPressure-PlaysPressure Rate
1Drew Brees (Saints)56212121,5%
2Ben Roethlisberger (Steelers)60213822,9%
3Derek Carr (Raiders)55413324,0%
4Marcus Mariota (Titans)50312124,1%
5Eli Manning (Giants)61115224,9%
6Joe Flacco (Ravens)58415526,5%
7Trevor Siemian (Broncos)41411828,5%
7Tom Brady (Patriots)63418128,5%
9Andy Dalton (Bengals)55616329,3%
10Jay Cutler (Dolphins)46013629,6%

Zahlen von Football Outsiders. Berücksichtigt sind nur Spieler mit mindestens 200 Pass-Plays.

Gleich fünf der ersten sechs Spieler haben eine herausstechende Gemeinsamkeit: Eli Manning und Derek Carr (je 2,4 Sekunden bis zum Pass/Platz 1), Ben Roethlisberger (2,5/6), Drew Brees (2,51/7) sowie Joe Flacco (2,52/9) rangieren in der Top-10 der vergangenen Saison wenn es darum geht, wer den Ball am schnellsten loswurde.

Zum Vergleich: Aus der Top-10 der Quarterbacks mit den meisten Pressures gegen sich fällt diese Kategorie etwa mit Tyrod Taylor (3,16/41), Russell Wilson (3,14/40), Deshaun Watson (3,11/39), Brett Hundley (3,01/38), Carson Wentz (2,75/29) oder auch Case Keenum (2,73/27) ganz anders aus.

Brees ist dabei der vielleicht extremste Kandidat. Nicht nur dass er den Ball als siebtschnellstes weg bekam, gleichzeitig hatte auch kein Quarterback so viele Pässe, die die Line of Scrimmage nicht überquerten (25,6 Prozent). Nicht umsonst waren die Saints das beste Screen-Game-Team der vergangenen Saison und wenig überraschend hat Brees von allen Quarterbacks seit 2007 (mindestens 600 Pässe) prozentual mit Abstand die meisten Pässe zu seinen Running Backs geworfen (26,7 Prozent seiner Gesamt-Targets in diesem Zeitraum).

Insgesamt waren aus der Top-10 der Quarterbacks mit der niedrigsten Pressure Rate gegen sich nur vier Quarterbacks überhaupt in der Top-20, was durchschnittliche Intended Air Yards angeht (Roethlisberger, Mariota, Siemian und Brady). Ein umso besseres Gefühl sollte es Steelers- und Titans-Fans geben, dass Big Ben und Mariota dennoch hinter Lines spielten, die mit die wenigsten Hurries zuließen. Roethlisberger führte die Liga gar in prozentualen Pässen über 20 Yards an (15,3 Prozent seiner Pässe).

O-Line-Stats: Wer ließ die wenigsten Quarterback-Hurries zu?

RangTeamPassing-PlaysSacksHitsHurries
1Saints559152669
2Bills569161593
3Eagles636233596
3Titans553141696
5Raiders592201499

Zahlen von Pro Football Focus. Sack-Zahlen sind keine totalen Zahlen, sondern die Sacks, für welche die Line als verantwortlich gezeichnet ist.

Die Zahlen hier decken sich auch mit der Tape-Einschätzung. Die Saints, Eagles und Titans hatten in der vergangenen Saison herausragende Lines, Oakland und Buffalo gehörten ebenfalls mindestens ins obere Liga-Viertel. Umso gravierender wird der Umbruch bei den Bills ohne Eric Wood, Cordy Glenn und Richie Incognito sein - für die Fans am Bildschirm, aber auch für das Scheme an sich.

Umgekehrt dürfte es kaum überraschen, dass Houstons Offensive Line zu den anfälligsten zählte - immerhin waren mit Watson und Savage zwei Quarterbacks in der Top-5 der meisten Pressures gegen sich. Die hohen Zahlen bei den Cowboys sind einerseits durch die Verletzung von Tyron Smith, andererseits aber auch durch die Abgänge von Ronald Leary und Doug Free zu erklären.

O-Line-Stats: Wer ließ die meisten Quarterback-Hurries zu?

RangTeamPassing-PlaysSacksHitsHurries
1Cowboys5551926208
2Texans6023536182
3Buccaneers6772426169
4Seahawks6531928162
5Chiefs6161420155
6Lions6332223154

Zahlen von Pro Football Focus. Sack-Zahlen sind keine totalen Zahlen, sondern die Sacks, für welche die Line als verantwortlich gezeichnet ist.

Insgesamt ließen zwölf Teams in der vergangenen Saison 180 oder mehr Pressures zu. Zehn dieser zwölf Teams (Houston/14, Arizona/14, Packers/14, Patriots/15, Broncos/16, Giants/17, Colts/18, Chargers/20, Lions/21, Redskins/27) verwendeten mindestens 14 verschiedene O-Line-Startformationen.

Auf der anderen Seite erlaubten zwölf Teams maximal 153 QB-Pressures - davon blieben fünf (Falcons/6, Titans/7, Cowboys/8, Raiders/9, Rams/9) in der Anzahl ihrer O-Line-Formationen einstellig. Die NFC-Championship-Game-Teams Philadelphia mit 154 zugelassenen Pressures bei 28 Line-Kombinationen und Minnesota (154 Pressures, 26 Kombinationen) waren zwei Anomalien hier - neben den Ravens (138 Pressures, 26 Kombinationen).

Fazit: Die NFL hat ein großes Offensive Line Problem

All diese Zahlen führen mich zu einer - zugegeben: spekulativen, weil im Detail so nicht nachweisbaren - Schlussfolgerung, welche die NFL auch 2018 und darüber hinaus beeinflussen könnte.

Die NFL hat ein massives Offensive Line Problem, und (unter anderem) das sorgt für ein konservativeres Vorgehen der Coaches sowie mehr Einschränkungen im Passspiel. Das hat auch fortschrittlichere Ansätze wie die RPOs zur Folge, gleichzeitig waren von den Top-10-Quarterbacks in puncto Air Yards nur die Teams von Carson Wentz und Ben Roethlisberger in den Playoffs.

Jared Goff, Case Keenum, Blake Bortles, Alex Smith und Drew Brees waren dagegen in dieser Kategorie nicht einmal in der Top-20. Den Quarterback zu schützen und lange Pässe eher seltener als konstant einzusetzen ist mitnichten ein Anzeichen eines schlechten Teams, vielmehr spielten einige der besten Offenses der Liga in der vergangenen Saison so. Und ich erwarte, dass sich dieser Trend fortsetzt.

Es ist kein Zufall, dass 2017 die (Adjusted) Net Yards pro Pass, die Yards pro Reception, die Passing-Yards pro Spiel und die First Downs via Pass auf mitunter historischen Tiefstwerten waren. Oder dass Teams im Schnitt noch immer in über 50 Prozent der Fälle bei First Down laufen, trotz experimentierfreudiger Teams wie Kansas City und Houston, trotz der absoluten Dominanz des Kurzpass-Spiels, trotz starker Screen-Pass-Pakete bei mehreren Teams.

Oder dass sich die Jaguars mit einer Defense im Titelfenster offensiv auf das Run Game ausrichten und in puncto Runs pro Spiel in der Vorsaison (32,9) den geteilten Höchstwert seit 2014 (Houston - 34,4) aufstellten. Teams gingen in der vergangenen Saison zurück zum Run Game, oder sie benutzen Quick Screens und andere kurze Pässe als eine andere, effizientere Form des Run Games.

Gleichzeitig werden Defenses immer aggressiver und vielseitiger. Längst ist die flexiblere, in aller Regel athletischere und explosivere Formation mit fünf Defensive Backs der Standard, während ligaweit nur noch fünf Teams (Bengals, Jaguars, Eagles, Seahawks, Chargers) bei gegnerischen First-Down-Passspielzügen in unter 20 Prozent der Fälle blitzten.

Darunter: Mit Jacksonville, den Eagles und den Seahawks drei dominante D-Lines, die Chargers haben das beste Edge-Rush-Duo der NFL und die Bengals in Geno Atkins einen der dominantesten Defensive Tackles. (Letzteres hielt die Rams übrigens auch nicht ab, trotz Aaron Donald bei 37 Prozent der First-Down-Pässe zu blitzen). Bei Third-Down-Pässen war Tampa Bay das einzige Team ligaweit mit einer Blitz-Quote von weniger als 20 Prozent - und die Bucs hatten den zahnlosesten Pass-Rush der gesamten NFL.

Technik lernen - oder das Spiel anpassen?

Die Line-Probleme in der NFL sind schon seit einigen Jahren eklatant, und sie scheinen eher noch größer zu werden. Der diesjährige Free-Agency-Markt sowie auch das Angebot im Draft zumindest für Offensive Tackles war bemerkenswert karg, der Nachschub aus dem College generell ist schon seit einigen Jahren - vor allem im Vergleich zu anderen Positionen - äußerst dünn.

Darauf wies auch Ex-Cardinals-Coach Bruce Arians bereits vor fast zweieinhalb Jahren hin: "Wenn man heute einen Offensive Lineman draftet, haben die seit der High School keinen 3-Point-Stance mehr gespielt. Das muss man ihnen beibringen, genau wie das Run-Blocking. Da sprechen wir von den Basics, die man diesen Spielern beibringen muss. Das war früher nicht der Fall. Keine Frage, das sind großartige Athleten und in der Hinsicht sind die Spieler viel, viel besser. Aber die Basics sind schlechter als jemals zuvor."

Wir leben in einer Phase, in der die NFL extrem vom College Football beeinflusst wird, und nicht umgekehrt. In gewissen Maßen macht das auch Sinn, muss doch die NFL mit dem Spielermaterial arbeiten, das sie aus dem College bekommt.

Vor allem bei den Quarterbacks sieht man hierbei die Konsequenzen daraus: Quarterbacks brauchen auf der einen Seite oftmals viel Zeit, ehe sie in der NFL Fuß fassen. Auf der anderen Seite hat sich das NFL-Spiel etwa mit den Shotgun-Formationen oder den Spread-Offenses über die vergangenen Jahre merklich ans College angeglichen.

Es wird spannend sein zu sehen, wie sich die NFL an die O-Line-Probleme anpasst. Defenses werden die vielerorts anfälligen Lines künftig eher noch aggressiver attackieren und Teams könnten so früher oder später gezwungen sein, noch mehr College-Elemente zu übernehmen. Gleichzeitig steigt der Wert guter O-Liner immens, genau wie der Vorteil der Teams, die über eine stabile Line verfügen. Es ist in jedem Fall eine Entwicklung, die das Spiel nachhaltig prägen könnte - und die es dementsprechend im Auge zu behalten gilt.

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