NBA

Die Entwicklung der Toronto Raptors: Der etwas andere Process

Von Lukas Herold
Die Toronto Raptors haben ihren Spielstil geändert
© getty

Die Toronto Raptors scheiterten in den vergangenen Playoffs zum zweiten Mal in Folge kläglich an den Cavs. Doch anstatt einen Rebuild einzuleiten, schraubte GM Masai Ujiri am Kader und forderte eine neue Spielweise. Das hat gefruchtet: Die Franchise hat sich modernisiert und ist gefährlicher denn je.

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"Nach dieser Performance brauchen wir hier einen Kultur-Reset", sagte Masai Ujiri auf der Saisonabschluss-Pressekonferenz. "Wir haben das, was wir hier getan haben, so oft versucht, aber es hat nicht funktioniert. Wir müssen in eine andere Richtung gehen, etwas anderes tun. Ich weiß jetzt noch nicht genau, was das sein wird", fügte er hinzu, nachdem die Raptors erneut kläglich an den übermächtigen Cavs gescheitert waren.

Was Ujiri auf die Palme gebracht hat, war der Spielstil seines Teams, der aus der Zeit gefallen und zu berechenbar war: Es gab zu viel Eins-gegen-Eins-Aktionen, zu viele Isolationen, zu viele Mitteldistanzwürfe.

Stattdessen solle es bitte ab sofort moderner zugehen, besprach er mit Coach Casey, an dem er trotz allem festhielt und ihm den "Kultur-Reset" zutraute. Und bis dato zahlt der Coach das Vertrauen zurück: Mit modernem Pace-and-Space-Basketball, den eine hohe Spielgeschwindigkeit, viel Ball Movement und viele Dreier charakterisieren, kämpfen die Raptors erneut um den Top Seed im Osten.

Toronto Raptors: Neuer Spielstil in der Saison 2017/18

Jakob Pöltl erklärte im SPOX-Interview, wie der Mannschaft das neue System eingeimpft wurde: "Gerade wir jungen Spieler hatten sehr viele Einheiten zusammen, in denen wir sehr viele Drills gelaufen sind, die uns das neue System näherbringen." Die Bank sei in den Augen von Pöltl ohnehin optimal besetzt, um die Vorgaben von Casey umzusetzen - doch wie lief es bei DeMar DeRozan, Kyle Lowry und Co.?

"Sie sind sehr intelligent. Sicherlich haben unsere Stars den Ball in der Hand, aber sie wissen genau, wann sie ihn laufen lassen müssen. Nicht jeder ist ein guter Schütze oder Athlet, aber wir haben gelernt, unsere Spielertypen besser einzusetzen", erklärt Casey.

Diese Aussagen lassen sich anhand von einigen Zahlen bestätigen. Nachdem die Raptors in der vergangenen Saison die neuntlangsamste Pace der Liga spielten, kratzen sie nun an den Top 10. Toronto ist sowohl im Offensiv- als auch im Defensivrating unter den besten zehn Teams - nur die Warriors und Rockets haben selbiges vorzuweisen.

Logischerweise ist auch die Bilanz mit 18-8 nicht ganz verkehrt - Rang drei im Osten. Die Wurfauswahl kommt stark verändert daher: In Punkto Dreierversuche verbesserte sich die Mannschaft von Rang 22 auf Platz 6. Von den Triples treffen sie aber bloß magere 35 Prozent (Rang 23).

Raptors: DeMar DeRozan überragt alle

Wie soll die Dreierquote auch besser sein, wenn DeRozan der Topscorer des Teams ist? Er bereitet keiner Mannschaft am Perimeter wirklich Angst (24,6 Prozent), doch auch er hat sich der schnelleren Spielweise der Mannschaft angepasst.

Während DeRozan früher oft isoliert am Flügel stand, setzt er in dieser Saison seine Mitspieler besser ein (5,2 Assists pro Spiel Karrierebestwert). Nachdem in der vergangenen Saison nur 47 Prozent aller Würfe auf eine Vorlage folgten, steigerten sich die Raptors in dieser Kategorie um satte neun Prozent.

Kyle Lowry: "Ich muss mehr Würfe forcieren"

Im Schatten von DeRozan geht Lowry ein wenig unter, der im Sommer einen neuen, dicken Vertrag unterschrieb (drei Jahre, 88 Millionen Euro). In dieser Saison kommt er allerdings noch nicht wirklich in Fahrt. Er scort rund sechs Punkte weniger als in den vergangenen beiden Spielzeiten. Lowry hat den Ball weniger in der Hand, dribbelt weniger und hängt öfter in der Ecke ab. Wieso? Weil DeRozan deutlich mehr Spielanteile der Raptors übernimmt. Wer ein Beispiel braucht, kann sich am Spiel zwischen den Raptors und den Celtics orientieren.

Lowry gibt im letzten Angriff des Spiels den möglichen Gamewinner an DeRozan ab, obwohl dieser über das Spiel hinweg kalt blieb und Lowry 50 Prozent seiner Würfe traf. DeRozan verwarf, die Celtics siegten. "Ich dachte, ich tue das Richtige indem ich passe, aber ich denke, ich muss mehr Würfe forcieren", gab er nach dem Spiel zu Protokoll.

Die junge Bank der Raptors

Lowrys Wurfkrise macht vor allem die Tiefe der Raptors wett: Ein Dutzend Spieler steht über 12 Minuten auf dem Feld - Ligabestwert. "Wir haben viel Erfahrung verloren, aber unsere Jungs lernen schnell und bekommen es auf die Reihe", erklärt Casey.

Einer von diesen jungen Wilden ist OG Anunoby, der an 23. Stelle dieses Drafts gepickt wurde. "Physisch gesehen ist er einer der Stärksten in unserer Mannschaft", schwärmte Casey schon vor der Saison. Der 20-Jährige entwickelt sich nun zum 3-and-D-Prototyp.

Raptors: OG Anunoby spielt sich in die Starting Five

Casey beschreibt ihn als "bessere Version von P.J. Tucker" - und das zu Recht. Anunoby ist, auch aufgrund seiner 2,19-Meter-Spannweite, schon jetzt ein starker Verteidiger, der zumeist den besten Spieler der gegnerischen Mannschaft verteidigt. Beispielsweise hielt er James Harden bei einer Feldwurfqoute von 32 Prozent.

Auch offensiv läuft es beim Rookie: Obwohl er in seinen 20 Minuten nur sechs Punkte pro Spiel erzielt, überzeugt er durch seine Effizienz. Neben seinem hochprozentigen Dreier (43 Prozent) scort er auch durch kluge Cuts. Mit seinen Leistungen hat sich Anunoby zum Starter gespielt, nachdem zu Beginn der Saison noch Norman Powell diesen Job innehatte. Ein guter Schachzug von Casey: Mit Anunoby in der Starting Five gewannen die Raptors elf von 14 Spielen - mit Powell, der in dieser Saison enttäuscht, nur sieben von 12.

Raptors: Die jungen Big-Men im Kader

Auch die großen Positionen sind mit Talenten bestückt: Pascal Siakam und Pöltl nehmen entscheidende Rollen in der Rotation ein. Ersterer lässt sich defensiv als Schweizer Taschenmesser beschreiben: "Ich bin definitiv ein Spieler, der viele Positionen spielen kann, vor allem kann ich Viele verteidigen", sagt Siakam über sich selbst. Seine Athletik und seine defensive Intelligenz machen ihn tatsächlich zu einem multidimensionalen Verteidiger. Allerdings muss Siakam noch an seinem Wurf arbeiten.

Ähnliches gilt für Pöltl. Der Österreicher hat sich seine größere Rolle redlich verdient: In seinen 16 Minuten pro Partie legt er 7 Punkte und 4,4 Rebounds auf. Vor allem seine Effizienz sticht heraus: Er trifft über 68 Prozent seiner Würfe und agiert damit im Dunstkreis von Clint Capela oder DeAndre Jordan.

Raptors: Jakob Pöltl macht große Fortschritte

Er ist einer der größten Profiteure der Stiländerung: "Ich war ja immer schon ein Big Man, der schnell auf den Füßen unterwegs war. Und wie schon erwähnt arbeite ich auch hart an meinem Outside Game, da ein moderner Big viel von draußen agieren muss."

Die ersten Früchte seiner Arbeit konnte Pöltl bereits ernten: Er traf gegen die Kings den ersten Dreier seiner noch jungen NBA-Karriere.

Raptors: Die Akte Jonas Valanciunas

Alles andere als positiv ist die Entwicklung von Jonas Valanciunas einzuordnen. Er passt nicht ins neue System, da er seine Stärken eher im Post und den Dreier nicht in seinem Werkzeugkasten hat. Auch die hohe Pace macht ihm Probleme.

Und: Valanciunas und Serge Ibaka sind in der modernen NBA nicht kombinierbar. Beide sammeln pro Partie nur knapp über 0,5 Assists. Casey reagiert - Valanciunas wird zum Bankwärmer.

Währenddessen bekommt Ibaka, dessen Vertrag im Sommer verlängert wurde (drei Jahre, 65 Millionen Euro), mehr Spielzeit auf der Fünf, da er besser ins neuen System passt (4,5 Dreier pro Partie, 40 Prozent Trefferquote). Ein mögliches Lineup mit Ibaka, Siakam, Anunoby und den beiden Allstars könnte das erhoffte Ergebnis des intrinsischen Process sein.

Raptors: Der letzte Schritt zum "Kultur-Reset"

Doch wohin mit Valanciunas? Casey deutet bereits an, die Minuten von Ibaka und Valanciunas zu staggern, doch vielleicht ist ein Trade des Litauers der letzte Schritt, um Ujiris "Kultur-Reset" zu vervollständigen.

Wenn das gelingt und sich die Raptors gegen die Top-Teams der Liga beweisen, klingt Pöltls Marschrichtung zumindest nicht mehr utopisch: "Das Ziel ist und bleibt, Champion der Eastern Conference zu werden - und dann irgendwann NBA Champion."

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