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"Eine Kultur schaffen, die den Jazz gleicht"

Von Manuel Baraniak
Martin Schiller
© imago

Vom Assistant Coach in der BBL zum Head Coach in der G-League: Martin Schiller wird fortan das Farmteam der Utah Jazz trainieren. Im Interview spricht der 35-Jährige über seine neue Herausforderung. Mehr Basketball-News findet ihr auf Basketball.de.

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basketball.de: Sie haben am vergangenen Montag Ihr erstes Spiel als Head Coach der Salt Lake City Stars in der G-League absolviert, eine Liga, die auch ein wenig Experimentierliga ist: mit aktuell vier Schiedsrichtern oder der Coaching-Challenge. Wie waren Ihre ersten Eindrücke aus der Preseason-Partie? Was hat Sie überrascht?

Martin Schiller: Es gibt mehr Auszeiten, das muss ich erstmal verinnerlichen. Jede Mannschaft hat sieben Auszeiten, welche aber nach bestimmten Zeiten verfallen und welche man nur in bestimmten Zeiten nehmen kann. Die Auszeiten haben auch unterschiedliche Längen. Es gibt noch eine Auszeit, die den Ball nach vorne bringt - die aber keine richtige Auszeit ist. Eine große Veränderung sind die vier mal zwölf Minuten, das Ganze ist viel länger. Das ist ein Unterschied, der einem schnell auffällt. Es gibt mehrere kleine Sachen - die ich theoretisch schon gelernt habe, aber praktisch anwenden muss. Ansonsten sind es andere Spieler. Es sind jüngere Spieler als in der BBL, aber nicht zwingend. Es gibt Spieler, die 26 sind und schon in Übersee gespielt haben. Und es gibt Rookies, die noch überhaupt keine Ahnung haben, ganz grob gesagt. Es ist eine Struktur einer Mannschaft, die sehr inhomogen ist. Das muss man irgendwie zusammenkriegen. Das ist eine spannende Sache. Und dann hat man noch Jungs, die dabei sind oder doch nicht dabei sind, also zum Spielen herunterkommen und spielen müssen. Wir haben mit Tony Bradley einen Rookie aus North Carolina, der nicht im Training Camp dabei war, der aber zu den Spielen kommt. Und er wird in den Spielen 24 bis 30 Minuten spielen müssen - das ist eine klare Vorgabe.

basketball.de: Sie sprechen Vorgaben an: Wie sehr sind Sie darauf angewiesen, die Philosophie und Taktik der Jazz zu übernehmen?

Schiller: Ich bin schon frei, insofern ich das selbst interpretieren darf. Aber im Grunde machen wir schon das, was die Jazz machen - und das ist auch gut so. Das ist ein richtig cooler Stil und guter Ball, den wir spielen. Ich war die ganze Zeit im Training Camp der Jazz dabei - von Anfang bis Ende, in jedem Meeting. Ich habe das Glück, bei den Heimspielen in der Kabine dabei zu sein. Ich bin schon sehr nah dran. Sie haben mir eine gute Chance gegeben, das System zu lernen.

basketball.de: Wie oft tauschen Sie sich mit dem Coaching-Stab der Jazz aus?

Schiller: Viel. Bestimmt alle zwei Tage. Die Spieler mit "two-way-Verträgen" und die, die von den Jazz zu den Stars abgestellt werden, haben Co-Trainer der Jazz, die für sie zuständig sind. Ich bin mit Head Coach Quin Snyder und Alex Jensen in Kontakt.

basketball.de: In welchen Punkten sehen Sie den größten Unterschied zwischen den USA und Europa, NBA-Farmteam und BBL-Club?

Schiller: Die Qualität der Spieler, das ist das entscheidende. Es ist sehr professionell, alles ist gut aufgestellt. Mein Stab ist gut, ich habe viele Leute: Da bin ich sogar aus BBL-Sicht sehr gut aufgestellt. Es ist aber nicht so viel Geld wie in der BBL im Spiel. Es ist ein Aufbauprojekt. Alle sind zum Lernen und zum Besserwerden da: Co-Trainer, Head Coach, Interns, alle. Das Budget ist nicht ganz so hoch. Aber die Anzahl der Leute ist gut. Ansonsten ist alles drumherum super organisiert. Ich denke, es ist eine Mischung aus College und professionellem Basketball. Die Spieler wohnen alle in Wohnungen, werden aber in einem Bus von den Praktikanten zum Training und wieder zurückgefahren, weil die Spieler gar kein Auto haben. Wenige haben Geld. Der Spagat ist der, dass du dann doch ein paar Spieler hast, die ein wenig mehr haben. Mein Point Guard Nate Wolters, der letztes Jahr bei Roter Stern Belgrad gespielt hat, hat schon ein wenig Geld und sein eigenes Auto. Das heißt, du versuchst alle ein wenig zusammenzubringen: eine Horde von Leuten, die sehr inhomogen sind. Das ist ein großer Unterschied.

basketball.de: Jeff Van Gundy hat in diesem Sommer Team USA bestehend aus G-League-Spielern beim AmeriCup trainiert. In einem Podcast bei Zach Lowe meinte er, die G-League Coaches müssen bewundert werden - weil keiner der Spieler eigentlich in der Liga sein möchte. Inwieweit sehen Sie es als Herausforderung an, mit solchen Spielern zu arbeiten?

Schiller: Das ist eine riesige Herausforderung. Es nicht so: "Ihr seid das Team und jetzt acht Monate zusammen." Sondern mehr so: "Hier ist das Team, und in drei Wochen sieht es ganz anders aus, und in vier Wochen wieder anders." Trotzdem muss man irgendwie einen Zusammenhalt schaffen. Das ist gar nicht leicht. Aber da müssten wir in vier Wochen nochmal miteinander sprechen.

basketball.de: Gehen wir noch einmal zurück: Wie ist der Kontakt zu den Stars zustandegekommen?

Schiller: Das kam aus dem Nichts. Die Stars haben einen Head Coach gesucht, relativ spät. Ich hatte ein Angebot aus Ludwigsburg, um zu verlängern. Das hätte ich auch gerne gemacht. Ludwigsburg war eine tolle und erfolgreiche Zeit. Es hat Spaß gemacht, mit John Patrick zusammenzuarbeiten. Aber dann kam das Angebot von den Stars. Der Kontakt kam durch Alex Jensen zustande, der meinen Namen ins Spiel gebracht hat. Dann gab es ein Telefoninterview mit zehn Kandidaten. Daraus wurden drei Leute eingeflogen. Ich habe im Pre-Draft-Mini-Camp gearbeitet, vor Ort gab es nochmal Interviews. Und dann habe ich den Job bekommen. Es war ein relativ langer Prozess.

basketball.de: Jensen war wie Sie Co-Trainer des DBB-Teams bei der EM 2015. Haben Sie sich damals schon über Utah und die G-League ausgetauscht?

Schiller: Nein, gar nicht. Wir waren halt zusammen "im Krieg", nenne ich es immer, in echten Wettkämpfen. Da merkt man sehr schnell, wer wie ist. Wir haben einfach viel und intensiv zusammengearbeitet. Das war es eigentlich.

basketball.de: Unabhängig von den Stars. Inwieweit hatten Sie sich in der Offseason Gedanken gemacht, auf den Head-Coach-Posten zu wechseln? Welche Situationen hätten Sie sich vorstellen können?

Schiller: Das war absolut ein Thema. Es gibt Wege, die logisch sind. In der ersten Liga in Deutschland ist es nicht leicht. Ich war bei einem BBL-Team der letzte Kandidat, habe den Job aber letztlich nicht bekommen. Manche trauen sich vielleicht nicht rüber, als Co-Trainer, der noch nicht die Erfahrung eines Head Coaches hatte. Es gibt verschiedene Szenarien: zweite Liga, kleineres Ausland. Ich habe mir über alles Gedanken gemacht. Aber am Ende muss es einen Job geben, und jemand muss einem einen Job anbieten. Ich bin da ganz offen gewesen. Mit der G-League ging das ganz schnell. Ich bin hier, um zu coachen. Es ist alles anders, das ist mir schon klar. Es ist nicht "normal" in dem Sinne von dem, was wir in Europa kennen. Aber es ist trotzdem Coachen, trotzdem Basketball. Ich kann in einer Saison 50 Spiele unter meinen Gürtel bringen. Das ist eine gute Sache, so kann ich besser werden.

basketball.de: In der vergangenen Saison gab es zweimal die Gelegenheit für Sie, als Head Coach zu übernehmen: im fünften Playoff-Viertelfinale gegen Ulm, als John Patrick zwei technische Fouls kassiert hast. Und in der Pokal-Quali, als Sie das komplette Spiel gecoacht haben und Sie als erstes Team Ulm besiegen konnten. Haben diese Erfahrungen in Ihnen noch mehr das Bedürfnis geweckt, Head Coach werden zu wollen?

Schiller: Auf jeden Fall. Diese Erlebnisse haben bestimmt auch nochmal gepusht. Aber ich war sieben Jahre lang in der BBL Co-Trainer, dann es ist normal zu überlegen, was man noch machen kann - als Herausforderung. Das Leben ist zu kurz, um sich nicht zu entwickeln. Es ist nicht mehr und nicht weniger. Das wollte ich schon immer machen, das war schon immer mein Ziel. Und jetzt habe ich die Chance.

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