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Der große Verlierer kann nur gewinnen

Kevin Durant
© getty

In seiner ersten Saison mit den Golden State Warriors steht Kevin Durant direkt in den Finals. Dort trifft er zum zweiten Mal in seiner Karriere auf LeBron James. KD hat bereits betont, dass seine Wechsel-Entscheidung unabhängig vom Ausgang der Finals vollkommen richtig war - für ihn persönlich. Für alle anderen wird sich nun das wahre Gesicht des MVPs von 2014 zeigen.

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"Wie fühlt es sich an?", wurde Kevin Durant nach Spiel 4 gegen die Spurs, das den Warriors den erneuten Einzug in die Finals vorzeitig garantierte, von einem Reporter gefragt. "Ich freue mich einfach auf zwei freie Tage. Ich werde essen wie ein König", entgegnete Durant mit einem schiefen Grinsen.

Blöde Frage, blöde Antwort, könnte man meinen. Die Interaktion ergibt jedoch etwas mehr Sinn, wenn man Durant im Kontext dieser Saison betrachtet, in der ihm mehr Hass, mehr Kritik entgegenschlug als zuvor in seiner gesamten Karriere. Mit seinem Wechsel hat er es sich zum persönlichen Mantra gemacht, mehr im Moment zu leben und mehr auf sich selbst zu hören.

"Er wirkt nicht überglücklich, euphorisch oder so", sagte Draymond Green am Montag nach Spiel 4 zum San Francisco Chronicle. "Er freut sich auf die Finals, aber er weiß gleichzeitig auch, dass er nicht hierhergekommen ist, um die Finals zu erreichen. Er hat die Entscheidung in erster Linie für sein Leben getroffen, Basketball kam nicht an erster Stelle."

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Diese Aussage ist durchaus faszinierend, zumal Green als einer von Durants besten Freunden weiß, wovon er spricht. In Oklahoma City wird man dies nicht akzeptieren, auch nicht auf Twitter, wo man ihm (zu Recht) vorwirft, dass er die NBA noch vorhersehbarer gemacht hat, und (zu Unrecht) dass er ein Feigling ist. Aber KD definiert sich nicht mehr nur über Basketball - und daher war die Entscheidung pro Golden State für ihn persönlich vollkommen richtig.

Der erste Test lässt auf sich warten

Nicht, dass sie basketballerisch falsch gewesen wäre - Durant findet sich bei den Dubs herausragend zurecht. Hätte er sich nicht verletzt, aus dem Vier-Mann-Rennen um den MVP-Award mit seinen Leistungen wäre locker ein Fünf-Mann-Rennen geworden. Seine Effizienz im Warriors-Ökosystem ist fast schon unfair, zudem spielt der viermalige Scoring-Champ in Golden State die beste Defense seiner Karriere.

Vieles davon war zu erwarten, auch der Durchmarsch der Dubs in den Playoffs kam nicht von ungefähr. Zwölf Siege am Stück, ein Net-Rating von 16,8 - beides sind NBA-Rekorde in der Postseason. Wobei man es durchaus bedauern darf, dass die Spurs ohne Kawhi Leonard auch nicht mehr als ein Sparringspartner für das Überteam der letzten drei Jahre waren.

Bisher waren die Warriors ihren Gegnern so überlegen, dass sich kaum beurteilen lässt, ob Golden State Durant wirklich "gebraucht" hat. Natürlich hat KD in einigen Spielen bereits übernommen und war sowohl gegen Utah als auch San Antonio teilweise der spielentscheidende Mann, sein Team war indes noch kein einziges Mal in einer wirklich brenzligen Lage. Wenn es nach den Buchmachern in Las Vegas geht, wird dies womöglich auch in den Finals gegen Cleveland nicht der Fall sein.

Spaß schlägt bitteren Ernst

Dass Durant sein erklärtes Ziel beim Wechsel - als Mensch zu wachsen und seine Komfortzone zu verlassen - erreicht hat, konnte man über die Saison aber schon öfter beobachten. Nach acht Jahren in OKC, wo die Spieler traditionell von den Medien ferngehalten werden, hat Durant sich in Oakland zu einem der interessanteren Interview-Partner entwickelt.

Man muss längst nicht immer seiner Meinung sein, aber in Gesprächen mit beispielsweise Bill Simmons sprach KD offener über das Leben eines NBA-Stars, als man es in Zeiten von Medienschulungen gewohnt ist. Auch scheut er nicht davor zurück, die Heuchlerei offen anzuprangern, die sich sowohl bei Spielern, als auch bei Medien, Franchises und Fans bisweilen breitmacht. Seine "Fehde" mit Lakers-Legende James Worthy war da nur eins von vielen Beispielen.

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Auch deswegen fühlt er sich in Golden State so wohl: "Es ist einfach Basketball. Die Leute hier verstehen, dass Basketball an allererster Stelle ein Spiel ist. Man hat Spaß. Wichtig ist, dass man nicht alles so ernst nimmt", erklärte KD gegenüber The Undefeated. "Es gibt eine Grenze zwischen 'leidenschaftlich sein' und 'zu ernst sein'. Wir bewegen uns da oft eher im nicht ganz so ernsten Bereich und auch das sorgt unter anderem dafür, dass wir so viel Spaß haben."

Entweder Versager oder Ring-Chaser

Dass diese Einstellung einen großen Kontrast zu seinem früheren Partner Russell Westbrook darstellt, sollte jedem klar sein. Green und Stephen Curry stehen für beißenden Ehrgeiz, aber auch Spaß am Spiel - bei Westbrook hingegen ist Basketball Krieg, lachen kann man in der Freizeit. KD fühlte sich zu etwas anderem hingezogen. Eigentlich kann man ihm das nicht verübeln.

Eigentlich. In der Praxis ist natürlich jedem klar, allen voran Durant selbst, dass er in den Finals in der Ansicht vieler Zuschauer nicht wirklich gewinnen kann. Verlieren die Warriors, ist er ein Versager, ein Choker, welches Klischee auch immer gerade am besten "passt". Wenn die Dubs gewinnen und er Finals-MVP wird, ist er trotzdem ein "Ring-Chaser" (wobei Chaser nett ausgedrückt ist), der seine Seele verkauft hat.

"Es wird immer geredet werden", sagte Durant. "Niemand wird jemals komplett einverstanden damit sein, was du tust. Irgendjemand wird es immer herabwürdigen, wenn einem Anderen etwas Gutes widerfährt. So ist das Leben einfach. Niemand wird jemals zu 100 Prozent einverstanden sein. Das muss ich einfach akzeptieren."

KD ist bei weitem nicht der erste, der zu dieser Erkenntnis gelangt ist. Sein Gegenüber LeBron James brauchte gewissermaßen auch den Shitstorm 2011, um nach NBA-Begriffen "erwachsen" zu werden. James ist ein besserer Spieler, seitdem er realisiert hat, dass er es nicht jedem Menschen recht machen muss - oder kann.

Genug von LeBrons Blaupause?

In der Vergangenheit suchte Durant noch gelegentlich den Rat des besten Spielers der Welt, das hat er sich mittlerweile aber ebenfalls abgewöhnt: "Ich habe immer eine offene Tür, aber wenn die Jungs sich wohl fühlen und meinen, dass sie genug von meiner Blaupause haben, sagen sie sich: 'Okay, das reicht, ich bin fertig mit dir.' Durant hat diesen Punkt erreicht", sagte James am Wochenende. "Er war sowieso schon einer der gefährlichsten Spieler der Welt. Dass er nun dieses Talent um sich herum hat, hat ihn natürlich noch gefährlicher gemacht."

Vielleicht ist Durant auch - ähnlich wie James damals - deshalb gefährlicher, weil er mehr mit sich im Reinen ist als jemals zuvor. Wenn er heute sagt, dass er die "zu 100 Prozent" richtige Entscheidung getroffen hat, kann man ihm das glauben. Und das nicht nur, weil sein Team als Favorit in die Finals geht, sondern auch, weil er persönlich in Oakland mehr Spaß hat als in Oklahoma City. So simpel kann es manchmal sein.

Nach seiner Ansicht ist KD bereits ein Gewinner, ganz unabhängig vom Ausgang der Finals. "Wir wollen mehr erreichen als den Conference-Titel, wir wollen Meister werden", sagte Durant. "Aber wir dürfen nie vergessen, dass wir das alles genießen müssen, jeden einzelnen Schritt. Wenn wir zurückblicken, ist das alles im Kontext unseres gesamten Lebens nur ein kleiner Punkt auf dem Radar."

Kevin Durant im Steckbrief

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