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Der Auserwählte ist angekommen

LeBron James prägte das Jahr 2016 wie kein anderer Sportler
© getty

Kein Sportler hat das Jahr 2016 so geprägt und bestimmt wie LeBron James. Der Superstar erfüllte sich seinen größten Traum gegen seine Nemesis und gewann auch abseits des Courts an Einfluss. Nun hat er nur noch einen echten Rivalen.

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Was sich innerhalb von einem Jahr so alles tun kann.

Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass Golden State die Cavaliers nach Strich und Faden auseinandernahm und die Kritiker mit neuer Munition fütterte. Cleveland werde niemals eine Meisterschaft gewinnen. LeBron James habe sich mit seiner Rückkehr verzockt und werde ohne Pat Riley und Dwyane Wade sowieso keinen Titel mehr holen, hieß es teilweise.

Als einige Wochen später dann auch noch David Blatt entlassen wurde, wurden nicht nur James' Fähigkeiten als "de facto-GM", sondern auch - wieder einmal - sein Charakter in Frage gestellt. "In Israel war er zu dieser Zeit so beliebt wie die Hamas", wie es der Journalist Sharon Davidovitch ausdrückte.

Wie eingangs erwähnt: Seitdem hat sich einiges getan. Und selbst wenn das in Israel womöglich anders ist, sind die allermeisten Kritiker in der Zwischenzeit entweder verstummt oder zu Supportern geworden - Skip Bayless mal ausgenommen. Der Donald Trump der Sportreporter ist der Meinung, dass LeBron nicht einmal der MVP der Cavaliers ist, weil er manchmal Kyrie Irving den letzten Wurf überlässt.

Anders als früher finden dermaßen undifferenzierte Aussagen aber keinen großen Anklang mehr. James wird nie ausschließlich Fans haben. Aber in diesem Jahr wurde endlich von fast allen verstanden, dass wir Zeugen einer der größten und faszinierendsten Sportlerkarrieren der Geschichte sind. Genau so, wie es uns bereits vor vielen Jahren angekündigt worden war.

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Wir sind alle Zeugen

"We are all witnesses" war der Slogan, den Nike im Jahr 2007 im Rahmen einer neuen Marketing-Kampagne für LeBron prägte. Und es sollte sich bewahrheiten: Wir bezeugten unheimliche individuelle Leistungen, die James bis heute vier MVP-Awards einbrachten - derzeit hat er die Chance auf Nummer fünf, womit er mit Michael Jordan gleichziehen würde.

Wir bezeugten den Wechsel nach Miami, die verlorenen Finals gegen Dallas, die beiden Titel mit den Heat, die Rückehr nach Cleveland, sechs Finals-Teilnahmen in Folge. Wir bezeugten einen Typen, der so regelmäßig 28-7-7 auflegte und sein Team zum Gewinner machte, dass es nichts Besonderes mehr zu sein schien - es war halt LeBron, der Mann unter Kindern, der seit vielen Jahren unangefochten beste Spieler der Welt.

Wir schätzten diese Leistungen gering, weil sie gewissermaßen immer von etwas anderem begleitet wurden. Abgesehen von der natürlich bescheuerten "Decision" leistete sich LeBron nie Kontroversen, dennoch rief er in Fans und Experten stärkere Emotionen hervor als alle anderen NBA-Spieler.

Viele Akteure, die über einen langen Zeitraum exzellent sind und entsprechend inszeniert werden, polarisieren irgendwann - das jüngste Beispiel ist Stephen Curry. Allerdings wurde weder Steph noch sonst irgendjemand schon an der Highschool als "Auserwählter" bezeichnet und nahezu seit der Ankunft in der Liga an den allerhöchsten Standards gemessen.

The Block

Lange wurde kaum wahrgenommen, dass LeBron diese Standards sogar übertroffen hat. Es gab schlichtweg noch nie einen Spieler wie ihn, einen Hybriden aus Magic Johnson, Karl Malone und Michael Jordan, einen Typen, der an einem Tag der beste Passer der Welt ist und am nächsten 45 Punkte auflegt, der jede Position auf dem Feld spielen und verteidigen kann.

Im Jahr 2016 hat sich dies endlich geändert - und hier kommen die Warriors und vor allem Curry erneut ins Spiel. In den Finals wuchs LeBron nicht nur in einer Form über sich selbst hinaus, die man noch nie gesehen hatte (zweimal 41 Punkte und ein Triple-Double in drei aufeinanderfolgenden Elimination Games), er lieferte mit dem Block gegen Andre Iguodala auch noch das ikonische Play, das seiner Karriere bis dahin fehlte. Und noch besser: Er tat es als Underdog.

"... weil man ja Goliath hat"

Cavs-GM David Griffin sagte nach den Finals zwar: "Wenn man LeBron James hat, hat man nie Angst, auch nicht bei einem 1-3-Rückstand. Man kann nicht David gegen Goliath sein, weil man ja Goliath hat. Deswegen existiert einfach keine Angst. Man hat mit ihm das Gefühl, dass man jede Situation meistern kann."

Das mag intern vielleicht stimmen - aber natürlich war Cleveland gegen Golden State der Underdog und das auch nicht erst seit dem 1-3-Rückstand. Diese Wirkung hatten 73 Siege und der unheimliche Hype, der die Dubs begleitete, ganz egal, wer da auf der anderen Seite stand. Kaum ein Experte traute den Cavaliers zu, diese Serie zu gewinnen.

Dass James und die Cavs es dennoch auf diese Weise schafften und dabei gleichzeitig auch noch den 52-jährigen Cleveland-Fluch brachen, wurde daher umso mehr zelebriert. Wobei dabei natürlich auch wieder die Diskussion aufkam: Freuten sich die Leute, dass James sein Versprechen erfüllen konnte, oder freuten sie sich über das "Choken" der Warriors? Es spielt im Endeffekt keine Rolle. LeBron konzentriert sich ohnehin schon längst auf ganz andere Diskussionen.

Zum einen wäre da die GOAT-Diskussion - James gab vor dieser Saison erstmals offen zu, dass er den "Geist" von Michael Jordan jage, wenngleich er nicht der Meinung sei, dass man diese beiden Karrieren wirklich vergleichen könnte. Das tun natürlich trotzdem längst alle möglichen Leute.

Tatsache ist, dass LeBron, ähnlich wie Jordan vor ihm, in der aktuellen NBA keinen adäquaten Vergleich, keinen echten Rivalen vorfindet. Curry verlor die letzten Finals gegen ihn, Durant hat seit 2014 kein einziges Spiel mehr gegen ihn gewonnen. Würde jemand die beiden als bessere Spieler ansehen, wenn sie gemeinsam einen Titel gegen LeBron holen sollten? Nein.

James ist längst ein All-Timer. Nicht erst seit seinem dritten Ring, aber geschadet hat dieser seiner "Legacy" sicher nicht. Und wie auch immer man zum MJ-Thema steht - dass LeBron so langsam aber sicher in der gleichen Sphäre wandelt, sollte jedem klar sein, der kein "Früher war alles besser"-Tattoo auf dem Rücken hat.

Zumal seine Karriere noch lange nicht beendet ist und es bisher kaum Anzeichen gibt, dass seine Produktivität in signifikanter Form sinkt. Er wird eher besser, so komisch das bei einem heute 32-Jährigen klingen mag.

Support für Hillary

Was das Engagement abseits des Courts angeht, hat er Jordan derweil längst überflügelt. Seit Jahren investiert er Unsummen in Infrastruktur und die Jugend in Ohio, gemeinsam mit seinen Buddies Chris Paul und Carmelo Anthony leitet er die NBPA an der Seite von Michelle Roberts. Und im Gegensatz zu vielen anderen Sportstars bezieht er auch politisch beziehungsweise gesellschaftlich regelmäßig Stellung, wenn ihm etwas nicht passt oder er denkt, dass er etwas verändern könnte.

Im Jahr 2016 fiel er unter anderem durch seine Rede bei den ESPY Awards auf, als er mit "Team Banana Boat", Paul, Anthony und Dwyane Wade, für ein friedlicheres Miteinander plädierte, und natürlich durch seinen Support für Hillary Clinton.

Gemeinsam mit J.R. Smith (!) hielt er eine Rede, um das Pendel in Ohio noch in Richtung der Demokratin ausschlagen zu lassen. Der Staat ging am Ende doch an Donald Trump, aber allein der Gedanke, dass der Support eines Athleten derartigen Einfluss auf die Präsidentschaftswahl haben könnte, zeigt LeBrons einzigartigen Status in Ohio. Was er sagt, wird wahrgenommen.

Nachkomme von Russell und Kareem

"James hat in diesem Jahr an vielen schweren Diskussionen teilgenommen, die wir teilweise seit 1968 nicht mehr hatten. Seine Stimme war nicht die einzige und sicher nicht die lauteste, aber eine sehr wichtige", sagte Chris Stone von der Sports Illustrated. "Ich will ihn nicht direkt mit Bill Russell, Jim Brown oder Kareem Abdul-Jabbar vergleichen, aber in gewisser Weise ist er ihr Nachkomme."

LeBron selbst würde sich gegen den Vergleich mit größten Bürgerrechtlern unter den Sportlegenden vermutlich wehren, aber es war in hohem Maße auch sein Engagement abseits des Courts, das ihm kürzlich den renommierten "Sportsperson of the Year"-Award der SI und den "Male Athlete of the Year"-Award der Associated Press einbrachte. Als hätte dieses für ihn so erfolgreiche Jahr noch einer Krönung bedurft.

Ein bisschen wie Garnett

Der Auserwählte sitzt auf dem Thron - und auch wenn er langsam nicht mehr der Allerjüngste ist, sollte man nicht davon ausgehen, dass er seinen Platz allzu schnell hergeben wird. Bisher gelten für ihn ohnehin keine Naturgesetze; in 14 Saisons war er noch nie ernsthaft verletzt und hat noch kein einziges Playoff-Spiel verpasst. Seine Konstanz ist ebenso beeindruckend wie sein Spiel an sich. Genau wie seine Verbissenheit.

"LeBron erinnert mich manchmal an Kevin Garnett", sagte sein Trainer Tyronn Lue vor der Saison. "KG war so im Spiel drin, dass er es nie richtig genießen konnte. Ich hoffe, dass LeBron, nachdem er jetzt einen Titel in Cleveland gewonnen hat, ohne Druck einfach mal genießen kann, der beste Spieler der Welt zu sein."

Lue weiß aber auch, dass diese Hoffnung unrealistisch ist. "Ich werde Frieden haben, wenn meine Karriere vorbei ist", war LeBron James' Antwort gegenüber Lee Jenkins von der Sports Illustrated. Er hat schließlich noch einen Geist zu jagen.

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