NBA

Totgesagte leben länger

Von Für SPOX in Miami: Jan-Hendrik Böhmer
Hassan Whiteside legte gegen die Chicago Bulls ein unglaubliches Triple-Double auf
© getty

Nach einer unglaublichen Reise durchs Basketball-Niemandsland hat Hassan Whiteside in dieser Saison bei den Miami Heat den Durchbruch geschafft. SPOX hat den Center getroffen und erzählt seine Geschichte.

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Wenn man derzeit die American Airlines Arena betritt, fühlt man sich wie in einer Parallelwelt. Alles sieht aus wie immer, doch irgendetwas stimmt nicht.

Wie immer hat sich eine lange Schlange im Fanshop gebildet. Doch diesmal nicht etwa vor den Shirts von Dwyane Wade oder Chris Bosh. Nein. Das Trikot mit der Nummer 21 hängt derzeit ganz vorne im Regal: Das Trikot von Hassan Whiteside.

Als wenig später auf dem Court feierlich die Starter vorgestellt werden, gibt es von den Rängen den ritualisierten Applaus. Bei Wade und Bosh wird er lauter, wie immer, doch als Hallensprecher Michael Baiamonte bei Whiteside angelangt ist, steht plötzlich die ganze Halle. Standing Ovations beim vierten Karriere-Start, das ist dann doch eher selten.

Der neue Shootingstar

Auch in der Kabine beschleicht einen nach wenigen Minuten ein komisches Gefühl. Wie immer schieben sich die anwesenden Journalisten vorwiegend in die linke hintere Ecke, die Ecke von Chris Bosh. Doch an dem sind heute nur die Wenigsten interessiert. Sie wollen zu Whiteside, der direkt neben Bosh sitzt, lächelt und bedächtig wartet.

Seit Miami den 25-Jährigen Ende November unter Vertrag genommen hat, hat er das gewohnte Gefüge der Heat gehörig durcheinander gewirbelt. Spätestens seit seinem Triple-Double gegen Chicago (14 Punkte, 13 Rebounds, 12 Blocks), mit dem er Alonozo Mourning's Franchise-Rekord für Blocks brach, ist er auf der großen NBA-Bühne angekommen. Fans, Fernsehen, Zeitungen - alle reden über "den Großen".

"Nach oben sind Hassan keine Grenzen gesetzt", sagt selbst Dwyane Wade anerkennend. Und nicht nur er sieht Whiteside als wichtigen Bestandteil des Teams. Bei vielen Fans und Experten gilt der 2,13-Meter Center bereits als große Hoffnung auf einen Playoff-Run, als fehlendes Stück zum Heat-Puzzle, als legitimer Nachfolger von Mourning.

Nachfolger einer Legende? Ist das nach weniger als 20 Spielen nicht viel zu hoch gegriffen? Vielleicht. Doch im Team ist man sich sicher, dass Whitesides aktueller Erfolg kein Zufall ist. Dass er die Leistung konstant über die Saison halten kann.

Mourning als Mentor

Um das sicherzustellen, trifft sich Whiteside regelmäßig mit Mourning. Er ist eine Art Mentor geworden. Assistant-Coach Juwan Howard wurde zudem speziell damit beauftragt, sich um das Post-Spiel des noch immer etwas rohen Centers zu kümmern. Whiteside sei fast den ganzen Tag in der Halle, heißt es aus dem Team. Wenn er nicht trainiert, paukt er Taktik. Die letzten Resultate seien kein Zufall.

Alonzo Mourning: Der ultimative Kämpfer

"Er hat ganz spezielle Fähigkeiten", lobt Wade weiter. "Er ist ganz wichtig für uns. Er setzt den Gegner alleine mit seiner Erscheinung unter Druck. Das ist etwas, was man als Spieler hat - oder eben nicht. Er hat es. Sobald der Gegner einen Fehler macht, ist er da und schnappt sich den Ball. Er ist aggressiv. Das macht es für uns deutlich einfacher. So jemanden wie ihn hatten wir selbst in unseren Titel-Jahren nicht."

Von solchen Lobeshymnen will Whiteside selbst allerdings nichts wissen. Noch nicht. Viel zu unwirklich erscheint ihm sein rasanter Aufstieg. "Das ist doch verrückt", sagt er zu SPOX. "Manchmal denke ich, ich sollte gar nicht hier sein. Das alles ist surreal." Und wenn man sich seine Geschichte so anschaut, dann versteht man, warum.

In den vergangenen zwei Jahren pendelte Whiteside regelmäßig zwischen D-League, unterschiedlichen Teams im Libanon und zwei Stationen in China. Immer im Gepäck: Die Hoffnung, doch irgendwann wieder in der NBA zu landen, wo er als ehemaliger Zweitrunden-Pick nach nur 19 Spielen mit Sacramento bereits gescheitert zu sein schien.

Von Memphis abgeschoben

Zuletzt war Whiteside von den Memphis Grizzlies, ohne ein einziges Spiel absolviert zu haben, zu den Iowa Energy abgeschoben worden. Die vorerst letzte Station seiner scheinbar nie enden wollenden Tour durchs Basketball-Niemandsland. Bilanz: Vier Jahre, drei Länder, 14 Stationen - und ein umfassendes Repertoire an haarsträubenden Geschichten.

Wie etwa damals in China, als er kurz vor einem Spiel versehentlich Schafs-Innereien gegessen hatte, weil das Team das komplette Tier gegrillt hatte. Oder wie ihn im Libanon regelmäßig ein Sicherheitsbeamter samt Team-eigener Kalashnikov begleitete, nachdem er mal einen Bus verpasst hatte und dieser dann in einen Anschlag verwickelt wurde.

Andere hätten den Traum vom Profi-Basketball angesichts solcher Strapazen vermutlich längst begraben. Für Whiteside kam das nicht in Frage. "Für mich ist das alles ein Geschenk", sagt er - und erzählt wenig später, wie er als Kind von einem Auto angefahren wurde und mehrfach wiederbelebt werden musste. Dann sieht man es eben lockerer, wenn die Karriere auch etwas "Starthilfe" bräuchte, scherzt Whiteside und lächelt dabei schüchtern wie ein kleiner Junge beim ersten Date.

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Perspektive. Das ist ein Wort, dass Whiteside häufig benutzt. Man müsse das einfach nur aus einem anderen Winkel betrachten, sagt er. Es sei "manchmal ganz gut, wenn man mehrere Anläufe braucht", meint er. Und weiter: "Das macht einen besser. Mich hat jedenfalls jede Erfahrung, die ich gemacht habe, weitergebracht."

Schon lange auf Miamis Zettel

Das sieht auch Heat-Boss Pat Riley so. Der hatte Whiteside nämlich bereits beim Draft 2010 auf dem Zettel, entschied sich dann aber für Dexter Pittman. "Damals hatte Hassan noch keine Ahnung von Basketball. Keine Spielintelligenz", erinnert sich Riley. "Er war groß und hatte Talent, doch wie man taktisch verteidigt, wusste er nicht."

Dennoch behielt Miami den Center auf dem Zettel. Und das wortwörtlich. Denn in regelmäßigen Abständen bekommt Riley von seinen Scouts eine Liste mit den fünf vielversprechendsten Talenten auf jeder Position zugesteckt. Ein Name stand hier in der zweiten Hälfte von 2014 regelmäßig ganz weit oben: Hassan Whiteside.

"Er hat seine letzten Stationen dominiert", so Riley. Zuletzt kam Whiteside bei seinem Kurzauftritt in Des Moines, Iowa (3 Spiele), im Durchschnitt auf 22 Punkte, 15 Rebounds und 5 Blocks. Zudem übernahm er Verantwortung, wirkte viel entschlossener. "Seine Reise um die Welt hat Hassan nicht nur bescheiden und hungriger gemacht, sie hat ihm auch geholfen, Basketball als Sport vollständiger zu begreifen", sagt Riley.

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Dennoch sah es bis zur letzten Sekunde nicht so aus, als würde Whiteside tatsächlich bei den Heat landen. Mehrere Teams luden ihn zum Workout ein, Memphis schlug als Erstes zu. Allerdings nur, wie sich später herausstellte, um kurzfristig das Roster zu füllen. Schon wenige Tage später war Whiteside zurück in der D-League.

Rettung durch Will Smith

"Natürlich stimmt einen so etwas ärgerlich", sagt Whiteside. "Aber manchmal soll es eben einfach nicht sein. Es braucht das richtige Team, den richtigen Moment, den richtigen Coach. Und ich war bereit, genau darauf zu warten."

Und so hatte er sich in seiner Wohnung in Iowa gerade auf eine längere Saison eingestellt, als plötzlich das Telefon klingelte. "Ich stand gerade in der Küche und habe mir ein Sandwich gemacht", erinnert er sich. Auf dem Display seines abgewetzten iPhones leuchtete die Nummer seines Agenten Sean Kennedy auf. Doch anstatt dessen Stimme zu hören, schallte Will Smith aus dem Hörer: "Party in the city where the heat is on. All night on the beach til the break of dawn. Welcome to Miami!" Die Heat hatten Whiteside ein Angebot gemacht.

"Es hat ein paar Sekunden gedauert, bis ich verstanden hatte, was da gerade passiert war", sagt Whiteside. "Doch dann wusste ich es: Ich hatte endlich mein Team gefunden. Ich wusste einfach, dass es mit den Heat anders wird, dass sie mir wirklich eine Chance geben wollen." Noch immer muss er lächeln, wenn er an diesen Moment denkt. An das Ende einer langen Reise. "Einer extrem langen Reise", sagt er. "Doch besser spät als nie!"

Der Kader der Miami Heat

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