MLB

Zeitenwende in Cooperstown

Barry Bonds gilt als größter Power-Hitter der Steroid-Ära
© getty

Die Baseball Hall of Fame hat ihre Klasse von 2017 ernannt. Erneut nicht dabei sind die zwei größten Namen aus dem Kandidatenkreis - Barry Bonds und Roger Clemens. Aber die schillerndsten Figuren der Steroid-Ära kamen der Aufnahme so nah wie nie. Was führte zu dieser Entwicklung, nachdem dies vor kurzem noch undenkbar war?

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Seit 2012 stehen Barry Bonds und Roger Clemens zur Wahl für die Aufnahme in die Baseball Hall of Fame in Cooperston. Sie gelten als größte Spieler ihrer Ära, jedoch liegt hierin die Krux: Ihre Ära ist die berüchtigte Steroid-Ära und beide wurden öffentlich mit Doping in Verbindung gebracht - auch wenn ihnen selbst vor (Bundes-)Gerichten nichts nachgewiesen wurde und sie auch nie in bei einem offiziellen Test erwischt wurden. Dennoch blieb das Ressentiment ihnen gegenüber bei zahlreichen wahlberechtigten Journalisten groß, sodass es nicht so aussah, dass sie jemals rein kämen. Bis jetzt.

Die Lage hat sich gegenüber den letzten Jahren grundsätzlich geändert. Hatten Bonds und Clemens im letzten Jahr noch rund 44 respektive 45 Prozent der Stimmen, sind es nun rund 54 Prozent. Und das ist signifikant, denn in der Geschichte der Major League Baseball gab es nur drei Spieler, die in einem Jahr mehr als 50 Prozent der Stimmen erhielten und nicht letztlich in Cooperstown landeten.

Doch wie kam es zu dieser Trendwende, diesem scheinbar grundlegenden Umdenken bei den Wählern? Die Antwort ist mannigfaltig und von einigen Faktoren abhängig. Da wäre etwa die Tatsache, dass es die Hall of Fame bzw. die Baseball Writers Association of America (BBWAA) schwieriger gemacht hat für Mitglieder, eine Stimme zu haben und zu halten. Insbesondere die ehemaligen Journalisten, die schon seit Jahren nicht mehr aktiv sind, fallen sukzessive raus.

Das sind größtenteils die alten Traditionalisten, die grundsätzlich die Meinung vertreten, dass Dopingtäter und -verdächtige nichts in der Hall of Fame zu suchen haben. Ironischerweise sind unter jenen aber auch genügend Leute, die Mitte, Ende der 90er Jahre mit ihrer Ignoranz dem Thema gegenüber mitgeholfen haben, die Steroid-Ära wachsen zu lassen. Oder man hat gleich die damaligen Stars wie Mark McGwire und Sammy Sosa oder später auch Bonds hochgejubelt für ihre Home-Run-Derbys in Saisonlänge.

Null-Toleranz schon bei Verdacht

Hinzu kommt, dass jene, die diese Null-Toleranz gegenüber Doping-Tätern an den Tag legen, auch bei schieren Verdachtsfällen keine Gnade kennen, losgelöst davon, wie belastbar die Quellen für mögliche Vergehen sind. Diese Haltung, wenn sie denn konsequent durchgezogen würde, müsste indes ohnehin zur Folge haben, dass grundsätzlich gar niemand aus dieser Ära den Weg nach Cooperstown findet. Denn nach heutigem Kenntnisstand muss man leider davon ausgehen, dass nahezu jeder Spieler in irgendeiner Form gedopt hat - und sei es nur durch Amphetamine, die weit verbreitet waren und heute auch verboten sind.

Diese Art von Voter stirbt nun gewissermaßen aus. Ein weiterer Meilenstein für die Aufnahme von Bonds, Clemens und wer sonst noch aus der Ära in Zukunft nachkommen mag - in diesem Jahr stand etwa Manny Ramirez (23,8 Prozent) erstmals auf dem Stimmzettel - ist sicherlich die Aufnahme von Commissioner Allan H. "Bud" Selig, der vom Veterans Committee gewählt wurde. Er ist jener Commissioner, der das Oberhaupt der Liga in der Blütezeit der Steroid-Ära war. Und es gibt nicht wenige, die ihm nachsagen, die ganze Sache wissentlich ignoriert und gewissermaßen mit beiden Augen weggeschaut zu haben.

Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass Seligs erfolgreiche Amtszeit, die offiziell von 1998 bis 2015 ging, deshalb so erfolgreich startete, weil er die Steroid-Ära zu seinem Vorteil genutzt habe. Darüber hinaus war er schon von 1992 bis 1998 quasi im Amt, nachdem Vorgänger Fay Vincent gestürzt und nach einem Nachfolger gesucht wurde. Selig war also derjenige, der infolge des großen Streiks 1994 mithilfe des Homerun-Spektakels die Fans wieder zurückholte und Baseball über Jahre hinweg profitabel machte. Wirtschaftlich gesehen übergab er dann eine Liga an seinen Nachfolger Rob Manfred, die nie besser dastand.

Sicher war es auch Selig, der dann die Jagd auf Steroidnutzer anführte, aber erst, nachdem ihm der US-Kongress und die geballte Öffentlichkeit im Nacken saßen. Doch die Tatsache, dass nun auch er seinen Platz in der Hall of Fame gefunden hat, sendet nun ein klares Signal: Die Steroid-Ära wird nicht länger ignoriert, sondern von der Hall of Fame anerkannt - schließlich ist selbige ein Museum, in dem man nicht einfach bestimmte Epochen ignorieren kann.

Kein weiterer Fall 2013

Hinzu kommt sicherlich auch, dass ein weiteres Jahr 2013 verhindert werden soll. Damals schaffte es nämlich keiner in die Hall of Fame, niemand übertraf die erforderliche 75-Prozent-Hürde, folglich blieb die Klasse leer. Ein Umstand, der besonders der Hall of Fame nicht gefallen kann. Denn wenn im Extremfall niemand aufgenommen wird, gibt es auch speziell im Sommer keinen Grund, die Hall of Fame zu besuchen. Was wiederum keiner will.

Und da liegt die Vermutung nahe, dass auch die Verantwortlichen in Cooperstown selbst Druck auf die BBWAA ausüben könnten, um einen solchen Fall tunlichst zu verhindern. Wahrscheinlich war auch dies ein Faktor beim Entschluss, ehemalige Autoren und Reporter nach und nach herauszufiltern. Auch um jüngere, weltoffenere Wähler zu bekommen.

Nicht ganz so wegweisend, aber auch erwähnenswert ist natürlich die Aufnahme von Catcher Mike Piazza im Vorjahr. Auch er wurde des Öfteren mit Doping in Verbindung gebracht, obwohl auch ihm nie irgendwas nachgewiesen wurde. Der Verdacht aber blieb, was dazu führte, dass er auch erst im vierten Anlauf den Sprung nach Cooperstown geschafft hat. Ohne diese Zweifel hätte er es nach menschlichem Ermessen wohl deutlich früher geschafft, als für viele bester Offensiv-Catcher in der Geschichte des Sports.

Fokus aufs Sportliche

Im konkreten Fall geht es nun darum, ob der unzweifelhaft beste Offensivspieler und der beste Rechtshänder seiner Ära - wenn nicht sogar aller Zeiten im Fall von Bonds - in die Hall of Fame aufgenommen werden sollen. 15 Jahre hat man insgesamt Zeit, um reinzukommen, wenn es nicht über das Veterans Committee gehen soll.

Sollte der Fall eintreten, würde die Diskussion von der Frage, ob Stars der Steroid-Ära in die Hall of Fame gehören, übergehen zur Frage, wer es sportlich verdient hat, aufgenommen zu werden. Auch hier sind deutliche Abstufungen möglich und erforderlich, öffnen aber die Tür für Spieler, die eben ihre jeweilige Ära dominiert haben. Das wiederum wäre aus sportlicher Sicht eine Diskussion, die dem Thema deutlich zuträglicher wäre, zumal es dann wieder um die sportliche Leistung ginge, nicht um die simple Frage, ob "wir" glauben, ob jemand eventuell gedopt habe - oder eben nicht.

Die MLB im Überblick

Artikel und Videos zum Thema