Olympic Moments: Tonya Harding und das Eisenstangen-Attentat auf Nancy Kerrigan

Rivalinnen auf dem Eis: Nancy Kerrigan (r.) und Tonya Harding 1994 in Hamar
© imago

In den Olympic Moments blickt SPOX auf die legendärsten Momente der Olympischen Spiele zurück. In Teil acht: Das Eisenstangen-Attentat, das 1994 vor den Spielen in Lillehammer die Sportwelt entsetzte - und die Eiskunstläuferinnen Nancy Kerrigan und Tonya Harding für immer miteinander verbinden sollte.

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Americas Sweetheart auf der einen, die eifersüchtige Rivalin auf der anderen Seite: Vor den Olympischen Spielen in Lillehammer 1994 ereignet sich im US-Team der Eiskunstläuferinnen eine Kriminalgeschichte, die sich Hollywoods Dramaturgen nicht besser hätten ausdenken können - und der im Film "I, Tonya" 2017 tatsächlich verfilmt wurde.

Nach Kristi Yamaguchis Rücktritt mit dem Olympiasieg 1992 gelten Nancy Kerrigan und Tonya Harding als deren Kronprinzessinnen, machten die US-Girls doch bereits das WM-Podest in München 1991 unter sich aus: Yamaguchi vor Harding und Kerrigan.

Harding hat zweifellos das größere sportliche Talent. Schon mit zwölf Jahren steht sie den dreifachen Lutz. Mit knapp 17 Jahren ist sie weltweit die erste Läuferin, der in einem internationalen Wettkampf, der Skate America 1987, der dreifache Axel gelingt - zwei Jahre, bevor Midori Ito mit dem Dreieinhalbfachen bei der WM 1989 Weltruhm erlangt.

Trotz all ihrer Sprunggewalt fehlt Harding bei ihren Darbietungen das gewisse Etwas. Immer ein wenig zu athletisch, zu blass, roh und schlicht. Es fehlen die Emotionen. Und so verliert sie nach ihrer WM-Silbermedaille 1991 zunehmend den Anschluss an ihre große Konkurrentin.

Nancy Kerrigan überzeugt Preisrichter und Fans mehr mit ihrer Eleganz und Ausdrucksstärke als mit technischen Elementen oder Nervenstärke. Kerrigan weiß zu berühren, strahlt Klasse aus. Nach WM-Bronze 1991 holt sie im Jahr darauf schon Silber. Harding bleibt nur Rang sechs.

Tonya Harding: Letzte Chance Lillehammer 1994?

Während Kerrigan 1993 US-Meisterin wird, verliert Harding als Vierte gar ihren internationalen Startplatz - und sieht Richtung Lillehammer ihre Felle davonschwimmen. Dabei hat die inzwischen 23-Jährige Olympiagold als ihr Sprungbrett in ein besseres Leben auserkoren.

Aus der Unterschicht Portlands hatte sich Harding in die schillernde Eislaufwelt emporgearbeitet - und wirkte dort zuweilen wie ein Fremdkörper. Die Highschool brach sie ab und setzte ganz auf die Eislaufkarte. Ihre Mutter erarbeitete sich an der Bande schnell einen zweifelhaften Ruf, schrie ihre Tochter an und belegte sie mit übelsten Schimpfworten, wenn es im Training einmal nicht lief.

Zwar stammte auch Kerrigan nicht aus wohlhabenden Verhältnissen - ihre Familie finanzierte das teure Training nur dank zahlreicher Nebenjobs - doch ihre Ausstrahlung verhalf der hübschen, ruhigen Brünetten mit den ersten Erfolgen zu einträglichen Werbeverträgen. Kerrigan war ihrer finanziellen Sorgen schnell ledig, sie konnte ihrer Familie deren Entbehrungen zurückzahlen - und Harding sah in die Röhre. Und zu allem Überfluss hatte sie seit 1991 keinen dreifachen Axel mehr gestanden. Ihre Bitterkeit wuchs.

War sie deshalb bereit, die Olympiavorbereitung ihrer großen Konkurrentin zu sabotieren?

Das Eisenstangen-Attentat auf Nancy Kerrigan

Fakt ist: Nancy Kerrigan wird am 6. Januar 1994, einen Tag vor dem Start der US-Meisterschaften, in Detroit angegriffen. Die Topfavoritin ist nach einer Trainingssession auf dem Weg aus der Cobo Arena, als ein Unbekannter sie mit einer Eisenstange attackiert.

"Bevor sie etwas sagen konnte, kam ein Kerl angerannt, beugte sich zu ihr, schlug auf ihr Knie ein und rannte davon", erinnert sich ein Augenzeuge. "Nancy fiel hin, schrie und schluchzte."

"Warum, warum ich?" seien ihre ersten Worte gewesen. Kerrigan erleidet eine schwere Prellung oberhalb des rechten Knies und muss die Meisterschaft, die ihr die Olympia-Qualifikation bringen sollte, absagen. Kerrigans Manager und späterer Ehemann Jerry Solomon äußert sich besorgt: "Das ist für Nancy körperlich und seelisch ein herber Schlag. Dieser Angriff könnte ihre mentale Verfassung ernsthaft gefährden, und mentale Stärke ist so wichtig auf dem Eis."

Zwei Tage später ist Tonya Harding zum zweiten Mal nach 1991 US-Meisterin und als eine von zwei Läuferinnen für die Spiele in Lillehammer qualifiziert. Statt jedoch das zweite Olympiaticket direkt an die Zweitplatzierte Michelle Kwan zu vergeben, lässt der Verband die Tür für Nancy Kerrigan offen.

Hardings Ehemann überführt - was wusste Tonya?

Diese äußert sich am Kürtag erstmals öffentlich zu dem hinterhältigen Angriff. "Ich bin okay. Aber ich bin äußerst wütend, dass jemand zu so etwas fähig ist." Das Ausmaß der Verschwörung ahnt die 24-Jährige da noch gar nicht.

Die Geschichte schlägt nur acht Monate nach dem Messerattentat auf Monica Seles in den Medien große Wellen. Die Ermittlungen sind in vollem Gang: Der Angreifer soll Kerrigans Training gefilmt haben, bevor er zuschlug. Er trug offenbar eine Akkreditierung, identifiziert wird er dennoch erst acht Tage nach dem Vorfall.

Die Polizei nimmt am 14. Januar drei Männer fest, fünf Tage danach wird auch Hardings Ex-Ehemann in Gewahrsam genommen: Jeff Gillooly soll mit Hardings Bodyguard Shawn Eckardt einem Bekannten den Auftrag erteilt haben, Kerrigan zu attackieren. Dieser Strohmann überredet schließlich seinen Neffen, Shane Stant, den Angriff in die Tat umzusetzen. Was Gillooly nicht ahnte: Die drei Mittäter ließen ein Aufnahmegerät mitlaufen, als sie mit Gillooly den Plan ausheckten, Kerrigan das Bein zu brechen. Hardings Ehemann ist schnell überführt. Was aber wusste Tonya?