"Nachdenken macht es zur Qual"

Von Christoph Köckeis
Thomas Diethart geht als Titelverteidiger in die anstehende Vierschanzentournee
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SPOX: Inwiefern spielte das Kopfkino verrückt, als Sie schließlich auf den Zitterbalken rutschten - im Wissen, ein Sprung und es ist vollbracht?

Diethart: Gar nicht - ich kann mich an Nichts erinnern. Es war genau der Flow-Effekt, der mir dabei geholfen hat. Ich dachte nicht nach und ließ es geschehen. Noch vor dem Wettbewerb rief ich mir in Erinnerung, dass ich lediglich zugreifen muss. Ich war so vollgepumpt, dass es kein Problem war, den Sprung runterzuknallen.

SPOX: Keine Nervosität, keine Angst vor dem Versagen?

Diethart: Überhaupt nicht! Mir sind nie solche Gedanken gekommen. Diese Fan-Massen spornten mich an. Es erfüllte mich, vor ihnen abzuliefern. Ich war in einem Tunnel. Realisieren konnte ich den Erfolg erst nach der Saison, als ich mal Zeit hatte, darüber nachzudenken. Was in der kurzen Zeit passiert ist, war verrückt. Es dauert, um das zu verarbeiten. Vieles, das dort passiert ist, habe ich nicht wahrgenommen. Es war wie in Trance. Als ich mir erstmals eine DVD von den Sprüngen und Interviews angesehen habe, kam es mir vor wie ein neuer Film.

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SPOX: Einer voller Leichtigkeit und Glücksgefühle. Von Ihnen erwartete niemand etwas - fehlt die Scheiß-Drauf-Mentalität mittlerweile?

Diethart: Auf das Interesse von den Medien, den Fans kann man sich nicht einstellen. Es prasselt auf dich ein und du musst lernen, damit umzugehen. Andere tun sich schwerer, wenn man einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hat und ein Pressetermin den nächsten jagt. Für mich war das anstrengend, nebenbei musste ich der eigentlichen Arbeit, dem Springen, nachgehen. Beides zu verbinden, ist die Schwierigkeit.

SPOX: Was meinen Sie damit?

Diethart: Du musst aufpassen, dass es dir nicht über den Kopf wächst und lernen, "nein" zu sagen. Letztlich ist es eine Zwickmühle: Einerseits ist es wichtig, präsent zu sein. Andererseits kann es zu viel werden und nach hinten losgehen. Wird das Training vernachlässigt, läuft es nicht mehr. Ich gehe, denke ich, gut damit um. Unser Pressesprecher hilft mir sehr. Er weiß, wann es besser ist, sich auf das Training zu konzentrieren, und welche Termine wir wahrnehmen sollten.

SPOX: Vielen stieg das zu Kopf.

Diethart: Mein Glück ist, dass sehr viele Leute hinter mir stehen. Allen voran meine Familie. Das ist lässig und macht mich stolz. Wenn ich irgendwann abhebe, werden sie mich sicher zurückholen auf den Boden.

SPOX: Ihre Familie unterstützte Sie mit reichlich Herzblut bei der Passion Skispringen. Wie verliefen einst normale Winter-Wochenenden im Hause Diethart?

Diethart: (lacht) Ein typisches Wochenende begann schon vor dem Schulende. Wir sind frühzeitig zu meiner Heimschanze in Hinzenbach aufgebrochen. Dort übernachteten wir oft in der Schanzen-Hütte. Für mich war das nie ein Problem. Speziell meine Schwester zog häufig den Kürzeren. Sie musste mitfahren, weil sie zu jung war, um alleine daheim zu bleiben. Sie, Mama und Papa haben mich jedoch überall unterstützt. Ich habe eine Familie, die darauf bedacht ist, mir mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Sie haben viel investiert.

SPOX: Der Tournee-Traum trieb sie an - und wirkte Wochen später unwirklich: "Die Realität ist wie ein Traum. Ich habe eher öfter die Angst, dass ich aufwache." Wie schlimm ist es, aufzuwachen?

Diethart: (lacht) Schlimm ist es nicht. Aber es ist schöner, in dem Traum weiterzuleben. Ich habe so eine Situation wie im letzten Jahr davor nie erlebt.

SPOX: Befürchten Sie, als One-Hit-Wonder zu enden?

Diethart: Nein, ich bin kein One-Hit-Wonder. Als Sportler kann es nicht ständig bergauf gehen. Mit der Situation bin ich gerade konfrontiert. Es lief zum Start nicht, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich sehe das als Herausforderung und nehme sie an. Solche Krisen prägen dich und bringen dich weiter. Was mich nicht umbringt, macht mich stärker. Trotzdem weiß ich, wie schnell man in der Versenkung verschwinden kann.

SPOX: Und wann feiern Sie Ihr Comeback in der Elite - vielleicht in Oberstdorf?

Diethart: Ich bin realistisch und habe nicht darüber nachgedacht. Für mich kann der erneute Sieg bei der Tournee nicht das Ziel sein. Ich habe momentan genügend andere Baustellen, an denen ich herumdoktorn muss. Sollte es nicht laufen, habe ich nichts verloren. Der Adler steht daheim. Wenn ein zweiter irgendwann hinzu kommt, wäre es schön. Sonst ist es nicht schlimm.

SPOX: Ihr Weg dahin war von Entbehrungen geprägt. Was kauften Sie sich mit dem Preisgeld?

Diethart: Es wurde zu großen Teilen angelegt. Mein Papa wünschte sich in einem Interview ja eine neue Küche. Die hat er bekommen (lacht).

SPOX: Und ging der Wunsch vom Lamborghini-Fahren bereits in Erfüllung?

Diethart: Es war kein Lamborghini, allerdings ein McLaren - auch nicht so schlecht (lacht). Es ist ein völlig anderes Autofahren. Ich durfte es eine Stunde genießen, das war eine geile Angelegenheit.

Seite 1: Diethart über seine Krise, den Tournee-Sieg und Neid

Seite 2: Diethart über die Scheiß-Drauf-Mentalität, das One-Hit-Wonder & Lamborghini

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