"Machtwechsel" vollzogen: Ovtcharov neue Nummer eins der Tischtennis-Welt

SID
Dimitrij Ovtcharov wird ab Janaur die Tischtennis-Weltrangliste als Nummer eins anführen
© getty

Dimitrij Ovtcharov riss die Arme in die Luft, Ehefrau Jenny klatschte mit Tränen in den Augen Beifall, und Coach Jörg Roßkopf sprang jubelnd in die Höhe: Weltcupsieger Ovtcharov hat beim World-Tour-Jahresfinale in Astana nach einem Krimi an der Platte den Sprung an die Spitze der Tischtennis-Weltrangliste geschafft. 15 Jahre nach Timo Boll wird der zweimalige Europameister in der Januar-Wertung des Weltverbandes ITTF als zweiter Deutscher zur Nummer eins. SPOX führte im Sommer ein Doppelinterview mit Ovtcharov und Boll.

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"Ich bin wunschlos glücklich, es ist unfassbar, eine Riesenlast ist von mir abgefallen", sagte Ovtcharov nach seinem Viertelfinaleinzug durch das schwer erkämpfte 4:3 gegen den Weltranglistenachten Koki Niwa (Japan). Den Tränen der Rührung nahe und mit brüchiger Stimme sagte er dem SID: "Ich danke meiner Mama und meinem Papa, die mir das Tischtennis beigebracht haben, meiner Frau, meinen Trainern, die immer für mich da sind. Das ist unser gemeinsamer Moment. Glücklicher kann man nicht sein."

Die Ablösung vom Chinas Olympiasieger und Weltmeister Ma Long nach fast dreijähriger Regentschaft bedeutet nicht nur für das deutsche Tischtennis eine beinahe historische Zäsur: Ovtcharov wird als erster nicht-chinesischer Spieler seit gut sieben Jahren das Ranking anführen. Als bislang letzter Spieler hatte Rekordeuropameister Boll nach seiner insgesamt dritten Eroberung der Spitzenposition im März 2011 vor allen Weltmeistern aus dem Reich der Mitte gestanden.

Timo Boll gehört zu den ersten Gratulanten

Boll gehörte auch zu den ersten Gratulanten seines Freundes und langjährigen Trainingspartners: "Für das Welttischtennis ist es toll, aber ganz besonders natürlich für unseren Sport in Deutschland", sagte der frühere WM-Dritte. Ungeachtet seiner eigenen Wahl zum "Weltspieler des Jahres" vom Vortag fügte der Düsseldorfer Weltranglistenfünfte voller Anerkennung hinzu: "'Dima' hat es nach seinem so tollen Jahr wirklich verdient."

Tatsächlich ist Ovtcharov 2017 der überragende Spieler der Szene. Zusammen mit dem wiedererstarkten Boll verschob der Star von Champions-League-Sieger Fakel Orenburg die Kräfteverhältnisse zu Ungunsten der lange unangefochten dominierenden Chinesen. Bei vier World-Tour-Turnieren sowie beim Europe Top 16 Cup und vor allem beim Weltcup trumpfte er unwiderstehlich auf. Einzig sein Aus im Achtelfinale der Heim-WM in Düsseldorf gegen Niwa trübte die Erfolgsbilanz.

Ovtcharov: Erfolgsquote über 90 Prozent

Bei seiner Inthronisierung Anfang 2018 profitiert Ovtcharov, der im ausklingenden Jahr als Einziger eine Erfolgsquote von über 90 Prozent erreichte, von der Weltranglistenreform: Künftig zählen ähnlich wie im Tennis nur noch die acht besten Turnierergebnisse der jeweils zurückliegenden zwölf Monate und bringen frühe Niederlagen keine Punktabzüge mehr.

Unabhängig davon ist Ovtcharovs Coup für Bundestrainer Roßkopf folgerichtig: "Momentan ist 'Dima' einfach der stärkste Spieler der Welt", sagte "Rossi" dem SID. "Das ist eine historische Leistung", sagte DTTB-Chef Michael Geiger dem SID.

Traum vom Weltmeister- und Olympiatitel

In der Stunde der Erfüllung seines Kindheitstraumes dürfte Ovtcharov für einige Augenblicke auch an seine schwerste Zeit als Profi gedacht haben: 2010 geriet der Aufschlag-Virtuose nach einem Turnier in China unter Dopingverdacht, kämpfte aber um den Beweis seiner Unschuld. Schließlich konnte er den positiven Befund durch den Verzehr von kontaminiertem Fleisch nachweisen.

Astana soll für Ovtcharov nur ein weiterer Meilenstein sein. Sein Ehrgeiz ist der stärkste Antrieb des Olympiadritten von 2012. Im Frühling steht für die Mannschafts-WM zusammen mit Boll der Angriff auf den wankenden Weltmeister China auf der Agenda und anschließend sein dritter EM-Titel, doch die großen Ziele sind andere: "Einmal Weltmeister oder Olympiasieger zu werden, gehört zu meinen größten Träumen."

Wie Träume wahr werden, weiß Ovtcharov seit Freitag immerhin schon.

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