Nummer eins mit Sternchen

Von Jannik Schneider
Angelique Kerber sichert sich mit dem US-Open-Tiel ihren zweiten Grand-Slam-Titel
© getty

Angelique Kerber hat mit dem Final-Triumph bei den US Open endgültig bewiesen, dass sie sich nicht in das Regal der One-Hit-Wonder abschieben lässt. Der Kampfgeist, mit dem die neue Nummer eins der Welt den dritten Satz gegen die Überraschungs-Finalistin Karolina Pliskova umgebogen hat, beeindruckt. Der zweite Grand-Slam-Titel zeigt: Die Kielerin lernt immer schneller aus Niederlagen.

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Die Körpersprache während des Matches. Eine Thematik, die Eurosport-Moderator Matthias Stach beim kurzen Sieger-Interview um kurz nach eins mitteleuropäischer Zeit mit der frischgebackenen zweifachen Grand-Slam-Siegerin Angelique Kerber eigentlich gar nicht ankratzen wollte. Doch Kerber, umrahmt von Stach und Experte Nicolas Kiefer brachte das Thema eigenständig auf die Shortlist des bis dato launigen Gesprächs: "Es war so taff da draußen. Ich hatte Probleme damit, meine positive Körpersprache aus Satz eins wiederzufinden, um das Spiel in Satz drei noch umbiegen zu können", berichtete der US-Open Champion und Kiefer und Stach machten gleichermaßen große Augen und nickten zustimmend.

Es spricht für die Weiterentwicklung der neuen Nummer eins, dass sie das nicht mal eine Stunde nach dem verwandelten Matchball so präzise ansprechen konnte. Denn tatsächlich hätte das Auftreten in weiten Teilen des zweiten und zu Beginn des dritten Spielabschnitts Kerber fast den größten Triumph seit dem Australian-Open-Titel gekostet.

Nachdem Pliskova im siebten Spiel des zweiten Satzes mit einem Volleylob im vierten Versuch endlich ihr erstes Break holte, quittierte Kerber das mit einem ironischen Schlägerklatschen in Richtung ihrer Betreuerbox. Es war der Startschuss für einen 25-minütigen Rückfall in eigentlich bereits vergessen geglaubte Zeiten sowie Verhaltensmuster.

Kerber und ihr erfrischendes Umdenken

Verhaltensmuster, die Kerber in den vier Jahren nach ihrem sensationellen Halbfinaleinzug in New York 2011 bessere Ergebnisse bei großen Turnieren ein ums andere Male zunichte machten. Jammern, hadern, ironische Gestern, gepaart mit dem fehlenden Glauben an die eigene Stärke waren ständige Begleiter der deutschen Nummer eins, vor allem gegen andere Top-Ten-Akteurinnen.

Kerber arbeitete mit ihrem Team an dieser Problematik und bekam diese im Kalenderjahr 2015 zunehmend bei kleineren Turnieren in den Griff - vier Titel waren die Folge. Doch bei den vier Grand Slams war spätestens in Runde drei Schluss, bei den Australian Open ereilte sie das Aus sogar in Runde eins.

Danach fand ein erfrischendes Umdenken bei Kerber statt: "Ich denke, ich bin bereit, etwas Großes zu gewinnen", sagte sie gegenüber dem SID vor Jahresfrist im Dezember und ließ nach einer harten Wintervorbereitung (Kerber nahm nochmals vier Kilo ab) das beste Turnier ihre Karriere folgen. Das erstaunliche dabei: In den entscheidenden Begegnungen gegen Victoria Azarenka und Serena Williams war sie nicht nur die fittere Spielerin. Sie war die mental Stärkere.

Umso überraschender, dass sie am Sonntag nach einem mehr als ordentlichen ersten Satz und einer komfortablen Führung gegen die Überraschungs-Finalistin Karolina Pliskova diese mentale Stärke zunächst verlor. Denn Trainer Torben Beltz hatte Kerber nach der Final-Niederlage von Cincinnati vor zwei Wochen gegen die Tschechin optimal eingestellt.

Quote nach dem zweiten Aufschlag macht den Unterschied

Die Deutsche spielte etwas aggressiver und versuchte konstant mehr Länge in ihre Bälle zu bekommen, was zunächst gelang. Zudem zeigte sich die 28-Jährige nicht mehr so überrascht von den vielen Netzangriffen der Tschechin (am Sonntag 28 Punkte von 38 Versuchen). Kerber blieb geduldig und passierte die 24-Jährige das ein ums andere Mal in Satz eins.

Doch der entscheidende Faktor zu Beginn des Finals war der zweite Aufschlag der Linkshänderin. Kerber erzielte starke zehn von 15 Punkten nach ihrem zweiten Aufschlag, weil sie die Returns der Tschechin hervorragend antizipierte. Damit wehrte sie auch einige Breakmöglichkeiten ab. Pliskova wiederum hatte ihrerseits Probleme mit ihrem zweiten Versuch (4 von 14).

Die Antwort gab Pliskova im zweiten Durchgang darauf mit einer Wahnsinnsquote beim ersten Aufschlag - hier machte die Weltranglisten-Elfte zu 89 Prozent den Punkt, was auch an einigen herausragenden Winnern lag. Mit denen traf sich nicht nur das ein ums andere Mal die Linie, sondern bohrte sich scheinbar ebenfalls in die Gedanken Kerbers.

Das verflixte siebte Spiel leitet die Wende ein

Was Auswirkungen auf die angesprochene Körpersprache der Deutschen hatte. In dieser Phase machte es wenig Spaß, der Deutschen zuzuschauen, das Spiel drohte im dritten Durchgang endgültig zu kippen, als Pliskova erneut ein Break gelang. Kerber hatte dafür während des Seitenwechsels nur ein ironisches Lächeln übrig. Ein ähnliches Lächeln hatte sie auch vor zwei Wochen in Cincinnati gezeigt.

Doch Kerber hat in 2016 schon mehrmals gezeigt, dass sie aus Niederlagen und Fehlern rasch lernt. Am Sonntag blieb sie dran, kassierte kein weiteres Break, stabilisierte sich bei eigenem Service und schaffte das Break zum 3:3-Ausgleich. Das siebte Spiel wurde zum Schlüsselspiel des Finals. Kerber erspielte sich mit einem Vorhand-Longline-Winner und einem erlaufenen Netzroller der Tschechin den Spielgewinn und quittierte das mit einem lauten "Come On!" - das Selbstvertrauen war nun endgültig zurück. Zwar hielt auch Pliskova den Aufschlag, doch Kerber setzte die Final-Debütantin mit einem glatten Aufschlagsspiel unter Druck.

Die servierte jetzt gegen den Matchgewinn und bekam das, was Tennisspieler in Drucksituationen gerne mal als "Eisenarm" beziffern. Mit den Unforced Errors 45 und 46 ermöglichte sie der Deutschen gleich drei Matchbälle. "Ich hatte so ein spezielles Kribbeln vor dem ersten Matchball im Bauch", gab Kerber bei den Kollegen von Eurosport später Preis. "Ich wollte unbedingt den ersten Ball verwandeln. Karolina kann mit ein, zwei Service-Winner ganz schnell wieder zurück sein", sinnierte der Champion. Doch nach einem langen Grundlinienschlag verzog die Tschechin eine weitere Rückhand und Kerber sank zu Boden.

Erfolg, dank stetigem Lernprozess

"Ich weiß auch nicht mehr, was ich in diesem Moment gedacht oder gefühlt habe. Ich bin einfach nur immens glücklich bewiesen zu haben, nicht zu unrecht da oben zu stehen", erklärte Kerber und ergänzte angesprochen auf den neuen Nummer-Eins-Status: "Das ist etwas, was ich immer erreichen wollte. Das jetzt mit meinem Team und meinen Fans teilen zu dürfen, macht mich sehr glücklich."

Dass sie das darf, hat sie einem stetigen Lernprozess zu verdanken. Kerber hat im Übergang von 2015 zur Saison 2016 im Kopf endgültig den Schritt vollzogen, die Großen nicht nur ärgern zu können, sondern wirklich schlagen zu wollen. Die Australian Open gaben ihr dabei endgültige Gewissheit.

Gelernt hat sie danach auch, mit dem gestiegenen Druck und Interesse an ihrer Person umzugehen. Nach den Erstrundenpleiten im Frühjahr dünnte sie ihre Turnierplanung aus.

Fed-Cup-Chefin Barbara Rittner indes sieht im verlorenen Wimbledon-Finale 2016 gegen Serena Williams den Schlüsselmoment in der veränderten Denkweise ihrer Nummer eins: "An diesem Tag hat sie gemerkt, dass sie selbst wenn Serena ihr bestes Tennis spielt, mit ihr mithalten kann. Das hat sie innerlich befreit für alle großen und kleinen Ziele."

Doch Angelique Kerber hat nicht zuletzt in den vergangenen zweieinhalb Wochen gezeigt, dass sie auch am Ende einer langen Saison noch kleinere Fehler rasch beheben kann. Am Sonntag stoppte sie die negativen Gedanken im Gegensatz zu Cincinnati noch rechtzeitig, um nach Wimbledon, Olympia und eben Cincinnati nicht das vierte Finale in Folge zu verlieren.

"Ich habe jetzt wieder einen echten Marathon vor mir, aber das nehme ich gerne in Kauf", sagte sie am Ende der fünf Minuten auf Eurosport zu Matthias Stach und meinte damit die zahlreichen internationalen Interviews, die nun noch folgen würden. Gut möglich, dass sie bei jedem Einzelnen auf ihre Probleme bei der Körpersprache eingegangen ist - von sich aus versteht sich.

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