"Mit diesem Druck konnte ich nicht umgehen"

Paris 1989: Michael Chang ist noch immer jüngster Grand-Slam-Champion aller Zeiten
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SPOX: Sie haben Ihren Glauben bereits angesprochen. Sie sind Christ und gehen damit sehr offen um. Hat das Ihre Karriere irgendwie beeinflusst, zum Beispiel in Sachen Werbeverträge oder dergleichen? Heutzutage wird das ja eher als persönliche Angelegenheit angesehen, die man für sich behalten sollte.

Chang: Ich glaube dass mein Christsein die meiste Zeit von allen respektiert wurde. Was mir wichtig ist: Obwohl ich viel über Gott spreche, versuche ich nie, meinen Glauben anderen aufzuzwingen. Das ist nicht meine Aufgabe als Christ. Christ zu werden ist eine persönliche Entscheidung. Wenn ich davon spreche, dann vor allem deswegen, weil ich mich in so vielen Dingen gesegnet fühle, weil ich weiß, wo mein Talent eigentlich herkommt. Und ich möchte, dass auch andere diesen Segen erfahren können. Meine Werbeverträge oder dergleichen hat es ganz sicher nicht beeinflusst.

SPOX: Und auf dem Platz?

Chang: Meine Karriere hat es natürlich beeinflusst, weil es meine Perspektive auf den Sport geprägt hat. Ich wollte jedes Turnier gewinnen - aber gleichzeitig sollte Christus auch in mir zu sehen sein. Das heißt: fair spielen, nach Siegen bescheiden bleiben, nach Niederlagen kein schlechter Verlierer sein, gute Leistungen entsprechend würdigen. Ich habe mein Talent aus einem ganz bestimmten Grund bekommen und will damit so viele Menschen wie möglich positiv beeinflussen. Es gibt Athleten, die sehr egoistisch sind und nur an ihren Ruhm und ihren Trophäenschrank denken. Aber in meinen Augen vergessen sie darüber manchmal, dass es im Sport eigentlich darum geht, Menschen zusammenzubringen und andere zu ermutigen und zu inspirieren. Vor allem junge Menschen. Das ist mir persönlich sehr viel wichtiger, als alle Titel der Welt zu gewinnen, aber darüber hinaus nichts zu bewirken.

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SPOX: War Ihr Glaube bei anderen Spielern manchmal ein Thema? Gab es andere Christen auf der Tour? In der NFL zum Beispiel sind Bibelkreise gang und gäbe.

Chang: Es gibt sehr wenige Christen auf der ATP Tour. Interessanterweise gibt es im Golf auch jede Woche einen Bibelkreis - Bernhard Langer geht zum Beispiel auch sehr offen mit seinem Glauben um. Oder Stephen Curry bei den Golden State Warriors. Ich wünschte, es wäre im Tennis auch so. Aber es gab sehr wenige, mit denen ich wegen meines Glaubens Probleme hatte. Der einzige Spieler an den ich mich erinnern kann, war sogar selbst Christ, wenn auch noch nicht lange. Er sagte immer: "Ich bin auch Christ, aber ich rede nicht immer auf meinen Pressekonferenzen darüber. Ich behalte es für mich, das sollte Michael auch tun." Lustigerweise ging er im Laufe der Zeit dann selbst immer offener damit um. Und heute hat er seine eigene - christliche - Sports Talk Show im Radio. Das finde ich großartig. Ich glaube, es ist allgemein einfach schwierig nicht über Dinge zu reden, die dein Leben positiv beeinflussen. Und so geht es mir eben mit meinem Glauben.

SPOX: Auch deshalb haben Sie eine Stiftung gegründet. Die Einzelheiten können wir auf der Website nachlesen, aber vielleicht können Sie uns Projekt beschreiben, aus dem deutlich wird, worum es Ihnen geht?

Chang: Eines unserer größten Projekte ist ein Tennisturnier, das zu den größten USTA-Turnieren in ganz Kalifornien gehört. Wir haben über drei Tage ungefähr 1.000 Teilnehmer, von High-School-Spielern über Ranglistenspieler bis hin zu Gelegenheitsspielern. Damit bringen wir nicht nur die Tennisgemeinde zusammen, sondern spenden auch einen großen Teil der Einnahmen. In den letzten zwei Jahren haben wir so dabei geholfen, Unterkünfte für Obdachlose zu bauen. Tennis ist unsere Leidenschaft, aber anderen zu helfen ist auch für uns persönlich sehr bereichernd.

SPOX: Seit einiger Zeit sind Sie darüber hinaus Coach von Kei Nishikori. Hatten Sie nach Ihrem Karriereende 2003 schon mit dem Gedanken gespielt, Coach zu werden?

Chang: Nein, überhaupt nicht. Keis Agent rief mich im Sommer 2013 an, als er einen sehr schwachen Sommer hatte und in der ersten Runde der US Open gegen einen Qualifikanten verlor. Wenn mich irgendjemand anders gefragt hätte, hätte ich wahrscheinlich abgesagt, weil das Reisen anstrengend ist und ich mittlerweile drei Kinder habe, das älteste ist gerade fünf Jahre alt. Aber es war eine einmalige Gelegenheit. Kei ist unheimlich talentiert und dazu noch ein junger Spieler aus Asien. Es gab bisher sehr wenige Spieler aus Asien, die sich auf der ATP Tour gut geschlagen haben. Für mich war es die Möglichkeit, in der Karriere eines jungen Mannes einen Unterschied zu machen. Oder es zumindest zu versuchen.

SPOX: Wie muss man sich ihre Arbeit mit ihm vorstellen?

Chang: In den letzten Jahren war ich etwa 25 Wochen pro Jahr mit ihm unterwegs. Er hat mit Dante Bottini noch einen Coach, der mit ihm Vollzeit reist. Ich reise mit zu den Grand Slams und einigen ausgewählten Turnieren. Dazu kommen die Trainingseinheiten in der Offseaon und vor der Hartplatz- oder Sandplatzsaison.

SPOX: Was können wir von Kei Nishikori erwarten?

Chang: Sein Spiel entwickelt sich in die richtige Richtung. Er hat keine großen Schwächen und ist als Spieler und Persönlichkeit reifer geworden. Er hat schon alle großen Spieler geschlagen, kann sich aber immer noch weiter verbessern, was ich als Coach spannend und ermutigend finde. Ich hoffe, dass er den Durchbruch schafft und den nächsten Level erreicht, also die "Big Four" durchbricht. Er war die letzten eineinhalb Jahre konstant die Nummer 4-6 der Welt. Wenn er ein paar große Siege einfahren kann, wird ihm das noch mehr Selbstvertrauen geben. Ich bin gespannt auf seine Zukunft.

SPOX: Es gab zuletzt einige Spieler Ihrer Generation, die als Coach tätig waren. Können Sie sich das erklären?

Chang: Ich bin nicht sicher. Andy Murray hatte großen Erfolg mit Ivan Lendl. Stefan Edberg mag das Reisen auch nicht, aber die Möglichkeit mit Roger konnte er sich nicht entgehen lassen. Boris natürlich. Und dann gab es ja auch noch Milos Raonic, der in Wimbledon mit John McEnroe zusammengearbeitet hat. Es fühlt sich fast an wie in alten Zeiten. (lacht) Jetzt sehe ich alle in der Kabine, die ich sonst nur bei Champion's Events treffe. Ich bin ziemlich sicher, dass die meisten von uns nicht auf der Suche nach einem Trainerjob waren. Aber es ist schwer, einen Coach zu finden, der viel von dem erlebt hat, was die Spieler durchmachen. Es gibt sicherlich großartige Coaches da draußen, die einen tollen Job machen. Aber wenn ein Spieler fragt: "Wie gehe ich damit um, im Halbfinale eines Grand Slams zu stehen? Wie gehe ich mit meinen Nerven um, oder mit den Erwartungen?", können es die meisten Coaches nicht beantworten, weil sie es selbst nicht erlebt haben. Aber Erfolg hat unterschiedliche Gesichter: Es gibt Coaches mit Spielerkarrieren, die teilweise Erfolg haben, teilweise auch nicht. Und es gibt Coaches, die erfolgreich sind, obwohl sie nie auf der Tour gespielt haben.