"Ich weiß oft selbst nicht, wer ich bin"

Andrea Petkovic ist eine der spannendsten Persönlichkeiten im deutschen Sport
© getty

SPOX-Sports-Chef Florian Regelmann traf Andrea Petkovic in Ihrer Heimat in Darmstadt zum Interview. Herausgekommen ist ein Gespräch über Gott und die Welt. Das Hinterfragen ihrer Identität, eine geraubte Illusion, Hass auf Tennis - Petkovic erzählte offen über ihr Selbst und erklärte, warum sie es ärgert, guter Durchschnitt zu sein. Außerdem: Was macht die 27-Jährige eigentlich nach der Tenniskarriere? Spinnereien hat Petkovic schon im Kopf.

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SPOX: Wir sitzen hier gemütlich in Ihrer Heimat in Darmstadt zusammen, wo Sie als Gegensatz zum hektischen Tourleben einen Zwischenstopp einlegen. Was bedeutet es Ihnen, immer wieder nach Hause zu kommen?

Andrea Petkovic: Für mich ist Heimat sehr stark mit den Menschen verbunden, die ich mein Leben lang kenne. Viele fragen mich auch: Warum wohnst Du in Darmstadt von allen Städten auf dieser Welt? (lacht) Aber ich bin hier aufgewachsen, meine engsten Freunde kommen aus Darmstadt. Viele habe ich hier im Tennisclub kennengelernt. Mit vielen habe ich Abi gemacht. Vieles erinnert mich an meine wahnsinnig schöne Jugend, die ich hier verbracht habe. Diese Erinnerungen möchte ich nicht missen. Dazu ist meine Familie hier. Ich stamme ja ursprünglich aus Serbien, wo die Familienbande noch ein Stück ausgeprägter ist. Wenn ich nach Hause komme, ist es für mich sofort die pure Entspannung. Hier kann ich so sein, wie ich bin und muss nicht versuchen, irgendwelche Fassaden von der taffen Ollen aufrechtzuerhalten, die durch das Tourleben prescht und da versucht, die anderen Mädels fertig zu machen. Hier bin ich ganz ich selbst.

SPOX: Einer Ihrer Darmstädter Freunde ist Johnny Heimes, der seit seiner Jugend an Krebs erkrankt ist. Gemeinsam haben Sie die Aktion "Du musst kämpfen!" gegründet. Wie hat die enge Berührung mit so einem schwierigen Thema Ihr Leben verändert?

Petkovic: Meine Einstellung zum Leben hat sich auf jeden Fall verändert. Es ist zwar ein Klischee, aber als junger Mensch vergisst man ab und zu, dass das Leben endlich ist und der Tod irgendwann auf dich wartet. Auch wenn keiner weiß, ob es morgen, übermorgen oder in 100 Jahren soweit ist. Die Konfrontation mit extremen Krankheitsfällen und das Zusammensein mit Kindern, die schon so früh damit zu tun haben, hilft mir einerseits, den Moment sehr viel mehr zu genießen und dankbarer zu sein für das, was man hat. Auf der anderen Seite weckt es zumindest bei mir auch ein Gefühl der Verantwortung. Auch ein Gewissen. Ich will nicht sagen, ein schlechtes Gewissen, aber ein Gewissen dafür, was das Leben mir alles geschenkt hat und wie viel Glück ich eigentlich hatte. Davon will ich etwas zurückgeben. Ich merke, wie mir der Sport geholfen hat, als Persönlichkeit zu reifen und stärker zu werden, oder mit Rückschlägen besser umgehen zu können. Johnny war ja selbst ein super Tennisspieler in der Jugend. Ich glaube, dass auch ihm der Sport sehr geholfen und ihn stark gemacht hat - der Sport hat ihm diese Willensstärke gegeben, die er ausstrahlt. Deshalb ist Sport auf seine Art und Weise schon wichtig, er hat aber eben auch nicht die höchste Priorität. Das wird mir durch die Verbindung zu unserem Projekt immer wieder vor Augen geführt.

SPOX: Der Sport verleiht Stärke, er kann aber auch zur Qual werden. Tennis gehört mental sicher zu den anspruchsvollsten Sportarten überhaupt. Wenn wie bei Ihnen in der Vergangenheit auch noch schwierige Verletzungsphasen hinzukommen, wird es doppelt schwierig. Was ist für Sie mental gesehen die größte Herausforderung?

Petkovic: Für mich ist die größte mentale Herausforderung, dass es Tage gibt, an denen ich das, was ich am meisten liebe, nämlich Tennis, hasse. Ich bin so ehrgeizig und habe so unheimlich hohe Ansprüche an mich und mein Umfeld, dass die manchmal gar nicht zu erfüllen sind. Ich bin sehr perfektionistisch veranlagt und erwarte perfekte Ergebnisse, was im Tennis nun mal absolut nicht möglich ist. (lacht) Vielleicht bin ich auch deswegen in den Sport gegangen, weil es mich herausfordert und ich nicht alles perfekt machen kann. Wenn ich eine Hausarbeit schreibe, ist es leichter, alles unter Kontrolle zu halten. Das ist für mich als kleiner Kontroll-Freak spitze. Aber im Tennis ist es anders. Sobald die Gegnerin dazu kommt, sobald die Umstände schwierig werden, kann ich es nicht mehr kontrollieren. Das ist einerseits der Reiz, aber andererseits kommt es deshalb immer wieder zu Phasen, in denen es nicht so läuft und ich beginne, alles zu hinterfragen.

SPOX: Ob Sie komplett was anderes machen sollten?

Petkovic: Genau. Dann frage ich mich: Soll ich das noch machen? Warum studierst du nicht? Du solltest lieber etwas anderes machen. Dieses ständige Hinterfragen seiner Identität ist für mich unglaublich anstrengend. Es gibt immer wieder Phasen, in denen ich gut spiele und ich weiß: Ja, hier gehöre ich hin, das ist meins, das füllt mich aus. Aber wenn es weniger gut läuft, geht es schnell in die andere Richtung. Wahrscheinlich liegt das in meiner Natur und es wäre vielleicht in einem BWL-Studium auch nicht anders gewesen, aber im Tennis kommt es emotional stärker an mich heran. Da fühle ich mich wie entblößt auf dem Platz, wenn jeder in meinem Gesicht sieht, was sich gerade in mir abspielt. Aber für mich ist es gleichzeitig die Herausforderung, mich immer wieder zu motivieren und weiterzumachen, weil ich weiß, dass am Ende des Tunnels auch wieder Licht kommen wird. Ich muss nur durch diesen Tunnel durch.

SPOX: Sie erleben auf dem Tennisplatz so viele Emotionen, sowohl positiv als auch negativ. Brauchen Sie abseits des Courts dann mehr Ruhe, oder gab es da auch schon verrückte Sachen, die Sie gemacht haben?

Petkovic: Ich bin tatsächlich nicht so der Adrenalin-Freak. Ich brauche keine Achterbahnfahrten, dafür bin ich nicht so zu haben. Ich lasse es außerhalb des Platzes eher ruhig angehen und habe eigentlich noch nicht wirklich was Verrücktes gemacht. Mal abgesehen von dem obligatorischen mit den Freunden mit dem Taxi nach Paris fahren.

SPOX: Mit dem Taxi?

Petkovic: (lacht) Okay, vielleicht eher mit dem Zug nach Paris, weil da am Abend eine coole Party war. Solche Geschichten habe ich schon gemacht, aber ansonsten nichts, das zeitungswert wäre. Ein guter Freund hat die Strecke nach Paris tatsächlich mal mit dem Taxi zurückgelegt - er hatte keine Wahl, es war sein Junggesellenabschied.

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SPOX: Viele würden jemanden wie Sie, der sich in seiner Freizeit Horrorserien wie Penny Dreadful reinzieht, gleichzeitig aber Tolstoi liest, ohnehin als etwas verrückt bezeichnen. Wie würden Sie sich denn selbst beschreiben?

Petkovic: Ich weiß oft selbst nicht so genau, wer ich bin. Es gibt immer wieder Phasen, da meine ich, es herausgefunden zu haben. Aber dann überrasche ich mich auch immer wieder selbst. Wenn ich denke, eine Sache könnte sehr emotional für mich werden, reagiere ich ganz kühl. Dann gibt es Fälle, bei denen ich denke, dass sie mich nicht so berühren, ich aber total emotional reagiere. Mich überrascht auch manchmal selbst, was mich interessiert. Ich hätte niemals gedacht, dass mich so etwas wie Penny Dreadful interessiert. Hätte mir das jemand gesagt, hätte ich geantwortet: Das schaue ich mir nie im Leben an. Ich muss aber an der Stelle auch mal sagen, dass ich auch liebend gerne total sinnlose Sachen anschaue. Friends ist zum Beispiel eine meiner absoluten Lieblingsserien. Viele Reporter lassen das dann weg und picken sich nur die Kirschen auf der Torte heraus. So entsteht dann der Eindruck: Oh, die Andrea liest nur Tolstoi und schaut nur französische Chanson-Movies. So ist es aber nicht. Ich schaue auch genauso gerne amerikanische Liebeskomödien, aber das wird nie geschrieben. Ob zu meinem Vor- oder Nachteil weiß ich nicht so richtig. Aber Leute, die mich kennenlernen, denken am Ende noch, dass ich nur intellektuelle Weisheiten und literarische Zitate von mir geben müsste, da fühle ich mich manchmal etwas unter Druck gesetzt. (lacht)

SPOX: Fakt ist, dass Sie unglaublich vielseitig interessiert sind. Ein Freund von Ihnen hat einen "Online-Shop" für kuriose Sachen entwickelt, dort gibt es unter anderem ein Kriegsquartett oder Nordic Stalking Stöcke im Angebot. Hinter dieser Geschichte steht aber eine bestimmte Message.

Petkovic: Genau. Sobald du wirklich was bestellen willst, bekommst Du eine Message: Wenn du gerade 20 Minuten damit verbracht hast, so einen sinnlosen Scheiß kaufen zu wollen, dann könntest du auch dein Geld an diese oder jene Organisation spenden. Ich finde die Idee super, weil es dein Gehirn fordert, ein bisschen um die Ecke zu denken. Außerdem zeigt es, wie wenig man eigentlich hinterfragt. Ich bin da ja selbst draufgegangen und habe versucht, Sachen zu bestellen.

SPOX: Ich auch.

Petkovic: Eben. Im ersten Moment fühlst du dich schlecht, dass du jetzt deine Zeit damit verplempert hast, anstatt etwas Sinnvolles zu machen. Ich habe mir schon überlegt, ob ich es mit meiner Charity irgendwie kombinieren kann. Vielleicht mache ich mal ein typisches Video der Generation YouTube, wo gezeigt wird, wie man sich schminkt oder so. Das wäre ja genau der gleiche Fall: Wenn Ihr die Zeit hattet, Euch diesen Quatsch anzuschauen, dann könnt Ihr in der Zeit doch auch was Sinnvolles und Gutes tun.

Seite 1: Petkovic über das Hinterfragen der Identität, Heimatgefühle und Tennis-Hass

Seite 2: Petkovic über den Grand-Slam-Traum, Serena-Wahnsinn und ein Leben in NY

Seite 3: Petkovic über Olympia, Traditionalismus und die Karriere danach

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