Die Last eines ganzen Königreichs

Von Marcus Blumberg
Andy Murray gewann den Titel vor zwei Jahren in Wimbledon
© getty

Zum dritten Mal in diesem Jahr blickt SPOX durch das Hawk-Eye und beleuchtet nun das bedeutendste Turnier des Jahres, die All England Tennis Championships - Wimbledon! Bei den Herren ist ein Brite im Fokus, während der Titelverteidiger Frust schiebt. Die beste Perspektive hat der Mann ohne Badehose. Und: Ein Rückblick auf revolutionäre Anfänge.

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Der Top-Favorit: Andy Murray ist der erste Brite, dem es seit Beginn der Open-Ära gelang, die All England Tennis Championships zu gewinnen. Zudem ist er der erste Brite, dem es seit 1936 (Fred Perry) insgesamt vergönnt war. Schon vor den French Open befand er sich in sehr guter Verfassung und gewann, um die starke Form zu untermauern, nun auch noch am Queen's Club in London. Er ist die Hoffnung des Königreichs und sollte in diesem Jahr wieder voll angreifen.

Leicht wird es für die Nummer drei der Setzliste aber nicht, denn auf dem Weg ins Finale muss er wohl Rafael Nadal im Viertel- sowie Wimbledon-König Roger Federer im Halbfinale ausschalten. Und dann wartet da immer noch Novak Djokovic in einem möglichen Finale.

Den darf man bei aller Heimspiel-für-Murray-Argumentation beim besten Willen natürlich nicht vergessen - trotz Niederlage in Paris. Aber Wimbledon ist ja auch kein Kindergeburtstag.

Der Titelverteidiger: Die Geschichten waren schon in der Schublade, die plakative Frage in aller Munde: "Macht Novak Djokovic nach dem Nole-Slam auch gleich noch den Grand Slam 2015 perfekt?" Doch Stan Wawrinka hielt wenig von beidem und schredderte die vorgefertigten Geschichten mit seiner starken Final-Leistung in Roland Garros. Die Enttäuschung beim Djoker dürfte groß sein und es wird spannend zu sehen, wie schnell der Becker-Schützling diesen Rückschlag verkraftet, um an der Church Road wieder voll anzugreifen, nachdem er dort im Vorjahr gegen Roger Federer seinen zweiten Triumph eingetütet hatte. Bemerkenswert: Djokovic hat in diesem Jahr auf eine Vorbereitung auf Rasen gänzlich verzichtet.

Angesichts des überschaubaren Draws kann es der Serbe aber auch locker angehen lassen und die ersten Runden zum Einspielen nutzen. Der einzige Spieler, dem es 2015 überhaupt gelang, den Djoker in einem Masters-1000-Event oder einem Grand Slam zu schlagen, Stan Wawrinka, kann erst im Halbfinale zum Problem werden. Der Weg für Djokovic zu einer möglichen Titelverteidigung ist also geebnet.

Beste Vorbereitung: Auch Federer weiß ein Lied davon zu singen, was durch Wawrinka zerstörte Träume angeht. Er unterlag dem späteren Sieger im Viertelfinale von Paris. Doch der Schweizer blies kein Trübsal, reiste in sein kleines Wohnzimmer nach Halle und gab dort auf dem Weg zum achten Titel bei den Gerry Weber Open nur einen einzigen Satz ab - an Philipp Kohlschreiber in Runde eins. Der Rekord-Grand-Slam-Champion ist also gerüstet für das wichtigste aller (Rasen-)Tennisturniere. Und in seinem Wohnzimmer ist es immer schwer, ihn zu schlagen. Den 33-Jährigen muss man auf dem Zettel haben.

Auch für ihn gilt: Den richtig dicken Brocken - Murray oder Nadal - wird es vor dem Halbfinale nicht geben. Der große Vorteil, unter den zwei Topgesetzten zu sein, zahlt sich hier mal so richtig aus.

Letztes Jahr: Denkt man an 2014 zurück, denkt man zwangsläufig an dieses epische Finale zwischen dem Djoker und Federer. In einem dramatischen Fünf-Satz-Krimi mit Höhen und Tiefen hatte Federer den ersten Satz im Tiebreak gewonnen, der Djoker schlug zurück, gewann die folgenden beiden, davon den dritten ebenfalls im Tiebreak. Der Vierte ging wieder an den Schweizer dank spätem Break. Doch am Ende hatte der Serbe den längeren Atem und gewann den Schlusssatz mit 6:4. So ein Finale wünscht man sich eigentlich in jedem Jahr.

Abgesehen vom Endspiel der Big Guns hatte das Turnier aber auch viele Überraschungen und frische Gesichter parat. Da wäre etwa der Kanadier Milos Raonic, der für Furore sorgte und bis ins Halbfinale vordrang, wo er allerdings gegen Federer wenig Land sah. Djokovic wiederum schaltete im Halbfinale Grigor Dimitrov aus, der zuvor Titelverteidiger Andy Murray eliminiert hatte.

Und dann war da noch ein 19-jähriger Australier...

Dark Horse: Nick Kyrgios! Mit einer Wildcard angetreten gab der Aussie sein Debüt auf dem Heiligen Rasen. Und er zahlte das Vertrauen der Veranstalter mit hohen Zinsen zurück: Schon in Runde zwei rang er Richard Gasquet über die volle Distanz nieder, gewann den finalen Satz mit 10:8. Sein Karriere-Highlight folgte im Achtelfinale, als er Sandplatz-Gott Rafael Nadal in vier Sätzen die Grenzen aufzeigte. Danach war zwar gegen Raonic Schluss, doch für Aufsehen hatte er gesorgt. Dadurch avancierte er im Übrigen zum ersten Wimbledon-Debütanten, der seit Florian Mayer 2004 das Viertelfinale erreichte.

Seine mögliche Encore-Vorstellung beginnt er gegen Diego Schwartzman und sollte er sich keine Blöße geben, kommt es in Runde drei zum Youngster-Kracher mit dem altbekannten Raonic. Auch gegen den Kanadier ist etwas drin, weshalb angesichts der machbaren Viertelfinalgegner sogar der Traum vom Halbfinale keine Utopie sein muss. Kyrgios kann auf dem Heiligen Rasen erneut für Furore sorgen.

Geschichtsstunde: Wimbledon gilt nicht nur als Wiege des Tennis-Sports - es ist der älteste Grand Slam - es ist auch seit jeher die Premieren-Bühne zahlreicher Innovationen, die sich heute noch wiederfinden. Das ging schon im ersten Jahr der Veranstaltung 1877 los: Der erste Sieger, der Brite Spencer Gore, hatte die Idee, ans Netz zu kommen und den Ball dann aus der Luft zu schnellen Punkten zu verwerten. Ein Konzept, auf das zuvor keiner gekommen war. Und ein Mittel, das keiner zu verteidigen wusste, da alle lediglich von der Grundlinie spielten.

Ein Jahr später jedoch war das Gegenmittel gefunden: Frank Hadow, der Sieger von 1878 nämlich, erfand den Lob und neutralisierte damit die Netzangriffe von Gore im Finale - verrückt! Beides gehört heute natürlich zur Grundrepertoire eines jeden Spitzenspielers.

Seite 1: Murray, die Rache des Djokers und Frank Hadow

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