"Carlsen hat sich ein Denkmal gesetzt"

Magnus Carlsen konnte sich letztlich im Stechen gegen Sergey Karjakin durchsetzen
© getty

Magnus Carlsen konnte sich nach einem spannenden sowie nervenaufreibendem Finale im Stechen gegen Herausforderer Sergey Karjakin durchsetzen. Im Gespräch mit SPOX erklärt Georgios Souleidis, seit 1999 selbst Internationaler Meister, warum an der Titelverteidigung dennoch ein kleiner Makel haftet, wie sich der Titelverteidiger trotzdem ein Denkmal setzen konnte und weshalb Karjakin die Hauptschuld an den letztlich unterbotenen Erwartungen des Duells in New York auf seine Kappe nehmen muss.

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SPOX: Herr Souleidis, der russische Ex-Weltmeister Anatoly Karpov erklärte bereits vor dem Entscheidungstag, dass ein Tie-Break "kein Schach mehr" sei und auf diese Weise maximal der "Titel in einem Hinterhof ermittelt werden" dürfe. Liegt ein Schatten auf der Titelverteidigung von Magnus Carlsen?

Georgios Souleidis: Absolut nicht. Ich denke, dass die Anzahl von zwölf Partien im Endeffekt ein sehr guter Kompromiss ist. Es ist wichtig, einen Mittelweg zu finden, der auch für die Veranstalter tragbar ist und den Fans einen überschaubaren Zeitrahmen bietet. Die Vermarktung spielt heutzutage eine sehr wichtige Rolle, die Austragung kostet nicht gerade wenig Geld. Im Endeffekt muss die WM finanzierbar bleiben. Auch sportlich würde ich dieser Aussage nicht zustimmen.

SPOX: Eine Erhöhung der Partienanzahl wäre also nicht fairer?

Souleidis: Natürlich nimmt der Glücksfaktor mit steigender Anzahl an Partien ab und der bessere Spieler würde sich mit zunehmender Wahrscheinlichkeit durchsetzen. Dennoch denke ich, dass in der Regel zwölf Partien ausreichend sind. Man schaue sich nur die letzten Titelkämpfe zwischen Magnus Carlsen und Viswanathan Anand an. Mehr Partien hätten auch mehr Langeweile bedeutet, da Carlsen zu dominant war.

SPOX: Im Jahr 1990 spielten Garry Kasparov und eben Karpov im letzten ihrer legendären WM-Duelle 24 Partien. In ihrem ersten WM-Duell sechs Jahre zuvor waren es sogar 48 Partien - über eine Dauer von fünfeinhalb Monaten. Wäre ein solcher Vergleich heute überhaupt noch realisierbar?

Souleidis: Diese enorme Dauer muss man sich vor Augen führen. Das wäre heute undenkbar. Solch einem Zeitraum würde kein Veranstalter zustimmen und es wäre wohl auch unmöglich, das Interesse bei den Zuschauern dauerhaft aufrecht zu erhalten. Am Modus würde ich deshalb nichts ändern. Dieser ist meiner Ansicht nach sehr zeitgemäß und vereint die Interessen aller Beteiligten bestmöglich.

SPOX: Die klassischen zwölf Partien konnten die hohen Erwartungen allerdings nicht ganz erfüllen.

Souleidis: Zugegeben, auch ich fand die Partien mit klassischer Bedenkzeit eher langweilig, was allerdings vor allem an der Herangehensweise Karjakins lag. Es wurde generell sehr viel taktiert, sehr technisches Schach gespielt. Aber gerade vom Herausforderer kam viel zu wenig. Er hat rein gar nichts riskiert, sich die ganze Zeit nur auf seine Verteidigung konzentriert. Vielleicht lag es aber auch nur am Zeitunterschied von sechs Stunden und ich wurde automatisch irgendwann müde nach Mitternacht zuzuschauen.

SPOX: Der Champion hatte damit allerdings so seine Schwierigkeiten.

Souleidis: Carlsen hatte in der Tat das Problem, dass er die Verteidigung des Russen praktisch nie ernsthaft in Gefahr bringen konnte. Vor allem in den Partien drei und vier, in denen er deutlich besser stand, konnte er keinen Profit aus seiner Position schlagen. Das war schon etwas enttäuschend. Hätte er eine dieser Partien gewonnen, wäre der Verlauf des Duells wohl ein anderer gewesen. Dann hätte Karjakin mehr riskieren müssen.

SPOX: Statt dem Weltmeister ging dennoch der gebürtige Ukrainer in Führung.

Souleidis: Und hat damit den Druck auf Carlsen in den verbleibenden Partien beträchtlich erhöht. Die Brechstange hat der Norweger zwar nicht unbedingt ausgepackt, er hat aber dennoch gezeigt, dass er auch ungeduldig werden kann. Beim Ausgleich hatte Carlsen dann auch ein bisschen Glück, dennoch war dieser letztlich mehr als verdient. Während des Tie-Breaks gab es dann allerdings keine zwei Meinungen, wer der bessere Spieler ist.

SPOX: Vor allem die letzten beiden Spiele des Stechens am Mittwoch werden in Erinnerung bleiben. War das der Carlsen, den viele Fans so erwartet hatten?

Souleidis: Auf jeden Fall. Carlsen hat bewiesen, dass er die Nerven hat. Er hat keinen Fehler gemacht, wahnsinnig gut sowie schnell gespielt. Das letzte Spiel mit dem Damenopfer war zudem etwas für die Geschichtsbücher, da hat er sich ein Denkmal gesetzt.

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SPOX: Zuvor musste er sich allerdings für das Remis im zwölften Duell ordentlich Kritik gefallen lassen.

Souleidis: Die Kritik fand ich persönlich mehr als lächerlich, das muss ich ganz ehrlich zugeben. Vor allem, da er in den klassischen Partien der einzige Akteur war, der zumindest versucht hat, offensiv zu spielen und zu gewinnen. Wenn er sich dann bei einer Partie ein schnelles Remis leistet, geht das doch völlig in Ordnung. Besonders im Hinblick auf die Chance, seinen Titel zu verteidigen.

SPOX: Und dies nicht an irgendeinem Mittwoch, sondern ausgerechnet an seinem 26. Geburtstag.

Souleidis: Das mag sicher auch eine Rolle gespielt haben, wenngleich wohl nicht die entscheidende. Dennoch ist es für Carlsen natürlich ein schöner Bonus, an seinem Geburtstag den Titel zu verteidigen. Das ist eine schöne Story für die Geschichtsbücher und etwas, das man sehr gut vermarkten kann. Speziell durch die Art, wie er letztlich Karjakin in die Schranken verwiesen hat.

SPOX: War die Darbietung eine kleine Wiedergutmachung?

Souleidis: Der Tie-Break hat eindeutig gezeigt, dass die Partien mit verkürzter Bedenkzeit für den normalen Zuschauer deutlich interessanter sind. Es gab viel mehr Spannung und generell liefen die entscheidenden Partien deutlich dramatischer ab. Die Spieler machen durch die geringere Zeit mehr Fehler, können sich nicht mit jeder Position so lange vertraut machen. Daraus ergeben sich auch Chancen. Carlsen hat allerdings keinen einzigen Fehler gemacht und konnte vielmehr zeigen, dass er vor allem in dieser Disziplin der klar bessere Spieler ist. Er hat Karjakin komplett dominiert und das Duell so zu seinen Gunsten entschieden. Das war schon eine beeindruckende Vorstellung.

SPOX: Hat Carlsen aber nicht auch Federn gelassen?

Souleidis: Das ist schwierig zu sagen. Auf eine gewisse Art hat er schon ein paar Federn gelassen, allerdings war im Gegenzug das Finale doch sehr beeindruckend. Dennoch hat man gesehen, dass er verwundbar ist und Spiele verlieren kann. Karjakin ist eigentlich nicht unbedingt der Spieler, der Carlsen wirklich gefährlich werden kann. Da gibt es andere Gegner, die in Zukunft auf ihn warten.

SPOX: Hat der Herausforderer nicht das Maximum aus seinen Möglichkeiten herausgeholt?

Souleidis: Er hat verteidigt, ansonsten hat er nichts gemacht. Natürlich hatte er den Außenseiterbonus, aber er war der Herausforderer. Und normalerweise sollte eben dieser mehr versuchen als der Weltmeister, wenn er ihn entthronen möchte. Um einen Vergleich zu ziehen: Im Boxen steht etwa der Sportler deutlich mehr im Fokus, der den Champion bezwingen möchte. Er muss folglich mehr leisten, um sich den Titel seines Gegners zu sichern. Da reicht auch kein Unentschieden. Beim Schach ist das etwas anders.

SPOX: Also ist der Sieg Carlsens ein Segen für den gesamten Schachsport?

Souleidis: Er ist auf jeden Fall positiv. Carlsen ist ein sehr präsenter Weltmeister, der sehr viel unterwegs ist und eine große Anzahl an Turnieren spielt. Ein absolutes Zugpferd. Zudem ist er natürlich auch ein Typ, der aus der Masse heraussticht und viele Pressetermine auf unterschiedlichen Kontinenten wahrnimmt. Er vermarktet sich und den Sport sehr professionell.

SPOX: Die Aufmerksamkeit während der WM war enorm. Was muss der nächste Schritt sein, um bis zum nächsten Titelkampf davon zu profitieren?

Souleidis: Prinzipiell ist man auf einem guten Weg. Die WM ist natürlich das absolute Zugpferd. Das war sie immer und wird sie wohl auch immer sein. Und über das Internet wird sie sehr gut präsentiert und einem Millionenpublikum zugänglich gemacht. Ein großer Schritt wäre natürlich, Schach ins Fernsehen zu bringen. Allerdings ist neben König Fußball bereits jetzt kaum Platz für andere Sportarten. Die Situation ist sehr schwierig, weshalb ich glaube, dass aktuell kaum mehr möglich ist.

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