"Hoffentlich meldet sich der mit dem Turban"

Von Interview: Alexander Schlüter
Moritz Fürste wurde zwei Mal Olympiasieger
© getty

Die World Hockey League steht vor der Tür (ab Donnerstag Live auf DAZN). Vor dem Start des Turnieres spricht Hockey-Legende und DAZN-Experte Moritz Fürste im Interview über den Zustand der deutschen Mannschaft. Zudem äußert sich der 32-jährige Olympiasieger von 2008 und 2012 zu Tennis-Matches mit den Zverev-Brüdern, Erlebnisse in Indien und seine ganz eigene Meinung zum WM-Wirbel um Eishockey-Nationaltorhüter Thomas Greiss.

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SPOX: Herr Fürste, haben Sie sich eigentlich jemals gedacht: Wenn ich Fußballer geworden wäre und ein ähnliches Niveau wie im Hockey erreicht hätte, wäre ich ein absoluter Superstar?

Moritz Fürste: Von diesem Gedanken habe ich mich immer frei gemacht. Das hätte ohnehin nicht funktioniert, ich bin nicht beidfüßig. (lacht) Im Ernst: Ich bin sehr glücklich darüber, wie es bei mir gelaufen ist. Eher gab es mal den Gedanken, was denn gewesen wäre, wenn ich weiter Tennis gespielt hätte.

SPOX: Waren Sie darin so gut?

Fürste: Bis ich 16 war, habe ich jedenfalls sehr intensiv Tennis gespielt. Unter anderem war der Vater der Zverev-Brüder mal in Hamburg mein Trainer. Mit Mischa spielte ich beispielsweise lange gemeinsam Doppel. Ihm habe ich in unserem letzten Match einen Satz abgenommen. Und gegen Sascha habe ich sogar gewonnen - wobei der damals sechs Jahre alt gewesen sein muss. (lacht) Ich hoffe trotzdem, dass sich die beiden noch daran erinnern. Bevor ein falscher Eindruck entsteht, möchte ich an dieser Stelle aber ganz deutlich sagen: Eine Profi-Karriere war nicht denkbar.

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SPOX: Ganz im Gegensatz zum Hockey. Sie sind im vergangenen Jahr nach einer grandiosen Laufbahn aus der Nationalmannschaft zurückgetreten, wirken sehr relaxed. Ist in Ihrem Leben derzeit Füße hochlegen angesagt?

Fürste: Nein, das würde ich nicht sagen. Meine internationale Karriere habe ich nach Olympia in Rio beendet. Aber ich spielte noch die ganze Saison Bundesliga und war in der Champions League aktiv. Außerdem habe ich mich beruflich selbstständig gemacht und bekomme eine zweite Tochter.

SPOX: Was waren letztlich die Gründe für das Ende der Nationalmannschaftskarriere?

Fürste: Es war ein Mix. Mir war bereits früh klar, dass ich nach Rio zumindest darüber nachdenken werde, aufzuhören. Im Hockey rechnet man extrem in Abschnitten von vier oder zwei Jahren, von Weltmeisterschaft zu Olympischen Spielen. Vor Rio war mir klar, dass es eng wird für Tokio 2020. Da wäre ich schließlich fast 36 Jahre alt. Dass der Abschied aber nach dem Spiel um Bronze kam, hat sich erst in Rio endgültig ergeben. Ich hatte noch einmal eine emotionale Achterbahnfahrt, privat und sportlich. Meine Tochter und meine Frau waren dabei, das waren unglaubliche Momente. Nach dem verlorenen Halbfinale war für mich plötzlich glasklar: Das funktioniert nicht noch einmal mit dem Aufwand, dem ganzen Training, dem ständig von zu Hause weg sein. Ich habe für mich eine relativ radikale Entscheidung getroffen.

SPOX: Immerhin spielten Sie bis zuletzt auf ganz hohem Niveau. Sie waren beispielsweise wieder einmal in Indien aktiv. Können Sie uns erklären, wie das System mit Indien und den europäischen Spielern funktioniert?

Fürste: Zum Verständnis: Indien ist im Hockey Rekord-Olympiasieger. Die waren in den 60er und 70er Jahren die Hockeynation schlechthin. Mitte der 80er sind sie dann in ein Tal gefallen. Genau in dem Moment, als man begann, Hockey auf Plätzen zu spielen, wie sie heute üblich sind. Es wurde von Rasen auf Kunstrasen gewechselt, die Inder verloren komplett den Anschluss. Das Spiel wurde ihnen zu schnell, zu taktisch, war nicht mehr alleine auf individuelle Fähigkeiten ausgelegt, worin sie sehr, sehr gut sind. Irgendwann überlegten sie, wie sie aus dieser Krise herauskommen.

SPOX: Nämlich?

Fürste: Ihnen war klar: Niemand würde aus Europa nach Indien wechseln, um dort ganz normal in der Liga zu spielen. Also erfanden sie ein Kunstprodukt, ein Franchisesystem. Das ist ein bisschen mit dem System im US-Sport zu vergleichen. Es wurden sieben Franchises gegründet und sie sagten sich: Wir zahlen für einen kurzen Zeitraum in der Winterpause der europäischen Ligen Spielern verhältnismäßig sehr viel Geld, um nach Indien zu kommen und für einen Zeitraum von sechs bis sieben Wochen dort Hockey zu spielen.

SPOX: Wie sieht das konkret aus?

Fürste: Die Teams sind so zusammengestellt, dass es pro Mannschaft acht Ausländer und 12 Inder gibt. Die Spieler werden auf einer klassischen Auktion versteigert. Es gibt eine Liste mit Spielern drauf, jedes Team hat einen Salary Cap, also gleich viel Geld zur Verfügung. Daraus ergibt sich ein Ligasystem mit relativ ausgeglichenen Mannschaften. Das Ergebnis ist spektakulär, weil es die Inder innerhalb weniger Jahre geschafft haben, aus der Versenkung in die Top 6 der Welt zurückzukehren.

SPOX: Sie waren jetzt zum vierten Mal dabei. Wie haben Sie das ganze System persönlich erlebt?

Fürste: Die Auktion läuft wirklich so ab, wie man sich das vorstellt. Es wird ein Name vorgelesen und dann melden sich die Teams bei Interesse so lange, bis sie den gewünschten Spieler haben. Das Geld, für das man ersteigert wird, ist am Ende auch dein Gehalt. Man hofft also die ganze Zeit, dass sich der nette Herr mit dem Turban nochmal meldet, damit das Gehalt nach oben geht. (lacht)

SPOX: Und dann kommt man zu einer Mannschaft, von der man nichts weiß?

Fürste: So ungefähr ist das. In meinem Fall war es so, dass mir die Mannschaft einen Monat vor Beginn mitgeteilt hat, dass sie mich zum Kapitän machen wollen. Dann kommst du da an. Die meisten Spieler kennst du, aber sechs, sieben junge Inder hast du nie zuvor gesehen. Der Prozess vom ersten Mal Händeschütteln, wenn sie dich gar nicht anschauen und Angst davor haben, auch nur in deiner Nähe zu sein, bis hin zu nach drei Wochen zusammen im Zimmer liegen und Fußball zu schauen und den Mannschaftssport zu genießen, der ist extrem spannend.

SPOX: Es ist also nicht nur Business as usual für Sie?

Fürste: Bei den Mannschaften, bei denen ich in Indien war, haben wir immer sehr viel Wert auf den Teamprozess gelegt. Drei Mal von den vier Mal war ich mit meinen Teams im Finale, zwei Mal haben wir gewonnen. Der Erfolg hat uns also Recht gegeben. Gerade in diesem Jahr hatten wir von der individuellen Klasse her das wohl zweitschlechteste Team und wurden Meister. Wir haben es geschafft, als Team in den entscheidenden Momenten perfekt zu funktionieren.

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