Willkommen in der Hölle, Sohn Gottes

Andre Ward trifft in Las Vegas auf Sergey Kovalev
© getty

Am 19. November kommt es in Las Vegas zum Showdown zwischen Sergey Kovalev und Andre Ward (Sonntag, 3 Uhr live auf DAZN). Auf dem Spiel stehen nicht nur die Titel der WBA, WBO und IBF im Halbschwergewicht, sondern auch zwei perfekte Bilanzen sowie das spätere Vermächtnis beider Boxer. Ausgerechnet in der Stadt der Sünde will der Sohn Gottes die Höllenmaschine aus Russland stoppen, der Titelverteidiger seine Dominanz unterstreichen.

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"Jeder hat einen Plan, bis er einen Schlag in die Fresse bekommt", sagte Mike Tyson einst. Die Worte der Schwergewichts-Legende aus den USA gehören seitdem wohl zu den am meisten herangezogenen im Boxsport. Nur selten treffen sie allerdings so exakt den Punkt wie vor dem Kampf des Jahres zwischen Sergey Kovalev und Andre Ward. Ein Aufeinandertreffen, welches auf das Vermächtnis beider Kontrahenten entscheidenden Einfluss haben wird und die Fans spaltet.

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Zwar wird Ward bei einem Treffer Kovalevs nicht "wie eine Ratte vor Angst erstarren und einfrieren", wie sein Landsmann vor Jahren fortfuhr. Dennoch dürfte eben jene Reaktion auf die Power des russischen Weltmeisters aus Kopeisk, der in seiner Karriere eine Knockout-Quote von 84 Prozent vorweisen kann und nicht umsonst auf den Ringnamen "Krusher" hört, für die Erfolgsaussichten des Boxers aus den Vereinigten Staaten von entscheidender Bedeutung sein.

Beim Showdown in der Stadt der Sünde handelt es sich schließlich nicht umsonst um den ultimativen Vergleich zweier Stile. Während Kovalev einen Pfad der Zerstörung im Halbschwergewicht hinterlassen und selbst Gegner wie Nathan Cleverly und einen zugegebenermaßen in die Jahre gekommen Bernard Hopkins demontiert hat, gibt es aktuell wohl keinen Kämpfer, der über die boxerischen Fähigkeiten Wards verfügt.

Getroffen werden wird der Herausforderer aber dennoch.

Ein Treffer verändert alles

"Wenn er dich ein einziges Mal trifft, dann verändert sich alles", erklärte Kovalev-Trainer John David Jackson. "Dann weißt du: Verdammt, der Typ kann zuschlagen." Laut dem 53-Jährigen würden die Gegner seines Schützlings im Anschluss "in den Überlebensmodus schalten." Die Chance auf einen Sieg? Vergangenheit. Doch Kovalev, der selbst mit seinem Jab Niederschläge verbuchen konnte, hat deutlich mehr zu bieten als pure Gewalt. "Er hat die Power - und er kann boxen. Er hat Speed in seinen Händen, die Reichweite", erklärte etwa Hopkins nach seiner Shutout-Niederlage nach Punkten im Jahr 2014.

Der Champion versteht es zudem, seinen Gegnern im Seilgeviert den Weg abzuschneiden. Er jagt seine Kontrahenten nicht, er stellt sie. Nur um sie im Anschluss systematisch zu brechen. Spezielle Anpassungen im Vorfeld gab es für Ward deshalb nicht.

"Warum sollte ich das tun? Das, was ich bisher gemacht habe, hat mir immer viel Erfolg gebracht. Ich habe keinen Grund, etwas zu ändern. Aber ich kann sagen, dass ich ein sehr gutes Trainingslager hatte und topfit bin", erklärte Kovalev im Interview mit SPOX. "Für mich ist das nur ein weiterer Arbeitstag. Ich kenne nur ein Ziel, ich will der Beste der Welt sein. Wenn ich Ward aus dem Weg räumen muss, um dieses Ziel zu erreichen, dann werde ich das tun. So einfach ist das."

Eine Blaupause ohne Wert?

So einfach? Kovalevs Nimbus der Unantastbarkeit, der in den letzten Jahren stetig gewachsen war, erhielt im Juli zuletzt vereinzelte Risse. Isaac Chilemba könnte die Blaupause für einen Sturz des Russen geliefert haben - und das ausgerechnet in dessen Heimat. Chilemba setzte dem Weltmeister mit Nadelstichen zu und konnte über weite Strecken dessen Power negieren. Der Champion zeigte aber, dass er Wege findet, um seine Stärken auszuspielen. "Chilembas Stil war für mich sehr gewöhnungsbedürftig, ich habe mich dennoch gut gefühlt", lachte Kovalev etwaige Zweifel gegenüber HBO weg.

Das Lächeln wirkte allerdings trotz des Sieges zumindest etwas gezwungen. Und die Zuversicht im Lager Wards, die in den Wochen vor dem Kampf immer wieder der Öffentlichkeit präsentiert wurde, fußt darüber hinaus vor allem auf der Tatsache, dass Chilemba nicht der US-Amerikaner ist.

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Ward ist schneller, präziser, klüger als Chilemba. Er ist schlichtweg besser. Rein boxerisch gibt es auf dem Planeten zurzeit wohl keinen Fighter der dem 32-Jährigen das Wasser reichen kann. Vor allem nicht in den höheren Gewichtsklassen. "Ich habe meine Kindheit geopfert, um das hier zu tun", erklärte Ward, der bereits im Alter von neun Jahren im Ring stand. "Es gab viele Dinge, die ich nicht tun oder erleben konnte, weil ich in einem Gym stand."

Seine Fähigkeiten sind jedoch nicht nur das Ergebnis harten Trainings, ein Großteil davon ist nicht antrainierbar. Sie sind viel mehr ein Geschenk Gottes.

Gegen Kovalev soll deshalb der bisher größte Sieg seiner Karriere folgen. An Selbstvertrauen mangelt es dem Herausforderer, der neben einer Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen vor allem mit dem Sieg beim Super-Six-Turnier die Boxfans begeistern konnte, jedenfalls nicht. "Jeder Mann kann gebrochen werden, Champions finden einen Weg", sagte Ward, der auch bei DAZN-Kommentator Uli Hebel leicht die Nase vorn hat. "Mein Gefühl sagt Ward, aber ganz knapp mit 51 zu 49", erklärte dieser gegenüber SPOX.

Entscheidung fällt im Kopf

Ward wird auf seinem Weg Richtung Box-Olymp aber nicht nur auf seine Defensive bauen, auch in der Offensive kann er auf ein großartiges Arsenal setzen - seinen schnellen Händen sei Dank. Vor allem der linke Haken sorgte in der Vergangenheit dafür, dass der US-Amerikaner seit seinem 12. Lebensjahr ungeschlagen ist. Ob dieser jedoch ausreicht, um Kovalev in Bedrängnis oder gar an den Rand eines Knockouts zu bringen, muss bezweifelt werden. Der Russe ist von seinen Genern zwar zu erwischen, hat aber mehrfach bewiesen, dass sein Kinn mit seiner Power und seinem Fokus mithalten kann.

Dieses Umstands ist sich auch Ward bewusst. Entscheidend seien laut dem 32-Jährigen deshalb die mentale Verfassung und der Plan, Kovalevs größte Stärke bestmöglich auszugleichen. "Der Schlüssel ist es, die Treffer so gering wie möglich zu halten. Wer mich treffen will, der muss es sich verdienen", so Ward. In der Tat hatte Kovalev nie einen Gegner wie Ward, dem auch Hopkins "alle Fähigkeiten, jeden Gegner in ernsthafte Probleme zu bringen", attestiert. In der Vergangenheit präsentierte der US-Amerikaner mit seinem Coach Virgil Hunter je nach Gegner immer wieder spezielle Herangehensweisen.

Einen festgefahrenen Plan, den Kovalev in Tyson-Manier mit einem Treffer einfach durchkreuzen kann, wird es nicht geben, da der Son of God, so der Spitzname des gläubigen Boxers aus Oakland, durch seine Ring-Intelligenz und seine technischen Fähigkeiten dazu in der Lage ist, sehr variabel zu agieren und Anpassungen auch während eines Duells vorzunehmen. Ein Detail, das zusätzlich für Spannung sorgt.

Verschiedene Ziele, ein Showdown

Neben Kovalevs Titeln der WBA, WBO und IBF im Halbschwergewicht hat Ward in Las Vegas zudem ein noch größeres Ziel im Visier: "Ich war bisher maximal auf Rang zwei des Pound-for-Pound-Ranking. Deshalb werde ich alles in meiner Macht tun, um ganz oben zu stehen. Das bedeutet mir alles."

Der Sieger des Duells hat in der Tat gute Chancen, den Platz an der Spitze zu besetzen, auch wenn es für Kovalev eher eine Nebensache ist. "Das interessiert mich nicht. Ich kümmere mich jetzt nicht darum, was nach dem Kampf passiert, sondern nur auf die Action im Ring. Ich weiß, was ich tun muss, um Ward zu zerstören. Das ist alles, was zählt", sagte der Russe, der Vegas für Ward zur Hölle werden lassen will.

Was auch immer Kovalev und Ward in der T-Mobile Arena antreiben wird, der Gewinner sind die Fans.

In einer Zeit, in der Mega-Fights nicht mehr üblich sind, sich viele Boxer aus dem Weg gehen oder das Unvermeidliche wie Canelo Alvarez im Falle von Gennady Golovkin hinauszögern, stehen sich in Las Vegas zwei Boxer gegenüber, die alles mitbringen. Beide sind in ihrer Prime, ungeschlagen und liefern boxerisch ein Matchup, das auch bei den Fans der jeweiligen Kontrahenten Raum für Zweifel lässt.

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