Aufstieg und Fall der größten Bayern: Die irre Meisterserie des FC Bayern München in der Analyse

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Man hatte es nicht mehr für möglich gehalten, aber die irrsinnige Meisterserie des FC Bayern München ist tatsächlich beendet. Wie sie zustande kam, warum sie zu Ende ging - und wie es nun weitergeht.

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Als der FC Bayern München letztmals den Meistertitel verpasste, regierte Barack Obama die USA, drängte eine junge Social-Media-Plattform namens Instagram auf den Weltmarkt, warf Mario Balotelli Deutschland aus der EM und Jamal Musiala feierte seinen 9. Geburtstag. 2012 war das. Lang ist's her.

Elfmal in Folge gewannen die Münchner anschließend die Bundesliga. Eine historische Leistung, die zwar für pure Langeweile stand, aus neutraler Sicht aber trotz aller finanzieller Überlegenheit des FC Bayern höchste Anerkennung verdient. Mehr als drei Meistertitel hintereinander waren zuvor keinem deutschen Klub gelungen, auch in den anderen europäischen Top-Ligen gab es noch keine derart lange Serie.

Seinen Anfang nahm der Münchner Triumphzug ausgerechnet nach einem der tiefsten Tiefpunkte der Klubgeschichte: 2012 ließ sich der FC Bayern in beiden nationalen Wettbewerben von Borussia Dortmund demütigen und verlor noch dazu das Finale dahoam in der Champions League tragisch gegen den FC Chelsea.

Bundesliga, FC Bayern
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Triple und Trainer-Coup: Der Beginn der Meisterserie

Statt in Trauer zu versinken, entsprang dem Mia-san-mia-Klub eine beachtliche Jetzt-erst-Recht-Mentalität. Die angestachelten Führungsspieler Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Arjen Robben und Franck Ribéry wollten es der Welt und vor allem sich selbst beweisen. Und die streitbaren Patrone Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge trafen richtige Entscheidungen. Sie hielten an Trainer Jupp Heynckes fest. Gehen musste stattdessen Sportdirektor Christian Nerlinger, dafür kam Matthias Sammer als neuer Sportvorstand. Gemeinsam mit Heynckes tätigte er kluge Transfers wie den von Javi Martínez. Das unmittelbare Resultat war das Triple 2013, der Beginn der Meisterserie.

Auf den Triple-Coup folgte der Trainer-Coup mit der Verpflichtung des weltweit umworbenen Pep Guardiola. Unter Heynckes' Nachfolger strahlten die Münchner in der Bundesliga eine nie zuvor dagewesene Dominanz aus. Trainer Guardiola, Sportvorstand Sammer sowie der bald verpflichtete Technische Direktor Michael Reschke standen für allerhöchste sportliche Kompetenz.

In Deutschland kaum gefordert und teilweise sogar schon im März Meister, spielte der FC Bayern phasenweise den schönsten Fußball Europas, nicht aber den erfolgreichsten. Zwischen 2014 und 2016 scheiterten die Münchner in der Champions League jeweils im Halbfinale. Anschließend verabschiedeten sich Guardiola, Sammer und Reschke innerhalb eines Jahres. Der FC Bayern schaltete, ohne es so richtig zu merken, vom Optimierungs- in den Verwaltungsmodus.

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Wie der FC Bayern vom Optimierungs- in den Verwaltungsmodus schaltete

Während sich die Klubführung neu sortierte, erlangten die erfolgsverwöhnten Führungsspieler immer mehr Macht - und hatten am frühzeitigen Aus der beiden nachfolgenden Trainer Carlo Ancelotti und Niko Kovac entscheidenden Anteil. Dass der allseits beliebte Menschenfänger Ancelotti eine Mannschaft verliert, ist ihm bis heute nur in München passiert. Mit Kovac stimmte die Chemie von Anfang an nicht.

Meister wurde der FC Bayern weiterhin, wenn auch nicht mehr ganz so souverän wie einst. Die individuelle Qualität der Spieler und die gewachsene Mannschafts-Hierarchie reichten aber noch ziemlich locker aus. Nach Kovacs Entlassung führte der im Sommer zuvor in weiser Voraussicht als Co-Trainer verpflichtete Hansi Flick den FC Bayern 2020 in der verrückten Corona-Saison unverhofft zum neuerlichen Triple. Es war das letzte Mal, dass die Münchner wahrhaftig unschlagbar wirkten.

In der darauffolgenden Spielzeit wurde der Triple-Triumph durch diverse Supercup-Siege noch zum Sextuple ausgebaut, die Pokale übertünchten die immer größer werdenden Probleme innerhalb des Klubs. Unter der neuen Führung um den zum Sportvorstand beförderten Hasan Salihamidzic sowie ab 2021 Oliver Kahn als Vorstandsvorsitzenden flammten allerorts Nebenkriegsschauplätze auf. Etwa der Streit zwischen Salihamidzic und Flick und die geräuschvollen Abgänge der jahrelangen Führungsspieler Robert Lewandowski und David Alaba. Die interne und externe Kommunikation des Klubs erwies sich als ebenso mangelhaft wie die Transferpolitik.

Lucas Hernandez, FCB, PSG
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FC Bayern: Fehlentscheidungen auf dem Transfermarkt - und zwei Glücksgriffe

Gewissermaßen ihren Anfang nahm die immer fehlerhaftere Transferpolitik mit dem damaligen Rekordkauf von Lucas Hernández, 2019 für 80 Millionen Euro von Atletico Madrid gekommen. Zweifellos talentiert, rechtfertigte der verletzungsanfällige Innenverteidiger diese immense Summe nie. Stattdessen sprengte Hernández das jahrelang mit Bedacht gehegte Gehaltsgefüge und entpuppte sich spätestens bei seinem Abschied 2023 als Söldner.

Gerade auf Hernández' Position verbrannte der FC Bayern in den vergangenen Jahren irrsinnige Summen. Mit Matthijs de Ligt, Min-Jae Kim und Dayot Upamecano verpflichteten die Münchner weitere teure Innenverteidiger. Ein langfristig verlässliches Duo, wie es einst David Alaba und Jérôme Boateng bildeten, entstand aber bis heute nicht. Auch für die einstigen Mittelfeld-Strategen Xabi Alonso und Thiago Alcántara kamen keine adäquaten Nachfolger. Robert Lewandowski, der den FC Bayern mit seinen Torrekorden vor allem in seiner Münchner Endphase allzu oft rettete, wurde erst mit einem Jahr Verspätung durch Harry Kane ersetzt, dem ersten 100-Millionen-Euro-Transfer des FC Bayern.

Immerhin gelangen auch zwei weitsichtige Verpflichtungen von vielversprechenden Talenten aus dem Ausland: Vom FC Chelsea kam Jamal Musiala, von den Vancouver Whitecaps Alphonso Davies. Beide kosteten verhältnismäßig geringe Ablösesummen, etablierten sich als Stammspieler und multiplizierten ihre Marktwerte. Federführend verantwortlich für diese Transfers war der Technische Direktor Marco Neppe, einst von Reschke verpflichtet und kürzlich verabschiedet.

Eigene Nachwuchsspieler, die am teuer erbauten und 2017 eröffneten Campus selbst ausgebildet wurden, erhielten derweil kaum Chancen bei den Profis. Statt Angelo Stiller oder Josip Stanisic zu vertrauen, kamen Marc Roca und Bouna Sarr, der womöglich größte Transferflop der Klubgeschichte.

Echte Identifikationsfiguren brachen im Laufe der Meisterserie nach und nach weg. Die vermeintlich goldene 1995/96er-Generation um Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Serge Gnabry, den später dazugeholten Leroy Sané und den mittlerweile an Borussia Dortmund abgegebenen Niklas Süle stagnierte seit dem Sextuple von 2020.

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FC Bayern München: Viele Titel - und viele Trainer

Aufgrund des besorgniserregenden Verschleißes von (nachweislich hochkompetenten) Trainern war vor allem in der Endphase der Meisterserie kaum eine durchgängige taktische Marschroute zu erkennen. Die vergangenen acht Meistertitel holten schließlich sieben verschiedene Trainer mit unterschiedlichsten Ansätzen.

"Man kann nicht versuchen, 200 km/h auf der Autobahn zu fahren, wenn man nur 100 schafft", begründete Kovac seine eher abwartende Spielweise. Pressing-Liebhaber Flick ließ daraufhin 250 km/h fahren, Julian Nagelsmanns setzte auf wilden Spektakel-Fußball, ehe Thomas Tuchel zu einer Pep-artigen, aber nicht Pep-erfolgreichen Ballbesitz-Strategie zurückkehrte.

Noch bevor sich die Mannschaft auf einen neuen Trainer wirklich eingestellt hatte, musste er früh - zu früh? auf Betreiben der Spieler? - schon wieder gehen. Krönung dieser Entwicklung war Nagelsmanns Panik-Entlassung Ende März vergangenen Jahres, als die Mannschaft noch Chancen auf drei Titel hatte. Kurz darauf rissen die zwischenzeitlich in den Hintergrund gerückten Patrone Hoeneß und Rummenigge die Macht wieder an sich und entließen ihrerseits Kahn und Salihamidzic.

Bayer Leverkusen, FC Bayern München
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Das Ende der Meisterserie: Es brauchte nur einen echten Herausforderer

Fans und Experten nahmen die Münchner Trainer zunehmend in Schutz, während sich die Kritik auf die Klubführung und Mannschaft fokussierte. Bei etlichen Spielern wurden akute Motivationsprobleme immer offensichtlicher, was ob der irrsinnigen Erfolgsserie aber auch nur menschlich ist. Anders sind die eklatanten Leistungsschwankungen nicht zu erklären. In den Pokal-Wettbewerben scheiterte der FC Bayern regelmäßig blamabel (Holstein Kiel, FC Villarreal, 1. FC Saarbrücken) und wartet seit 2020 auf einen Titel, aber auch in der Bundesliga leistete er sich unerklärliche Aussetzer.

Dennoch setzte sich die Meisterserie weiter und immer weiter fort, zurückzuführen mittlerweile aber eher auf Schwäche der Konkurrenz als Münchner Stärke. Das neureiche RB Leipzig wuchs trotz der finanziellen Möglichkeiten zu keinem ernsthaften Titelkandidaten heran, der traditionelle Hauptrivale aus Dortmund scheiterte wiederholt an sich selbst. Am eindrücklichsten in der vergangenen Saison, als der BVB am letzten Spieltag patzte und sich die Münchner dank eines späten Treffers von Musiala doch noch den elften Titel in Serie sicherten.

Der FC Bayern gab viele Chancen, für den Machtwechsel brauchte es nur einen echten Herausforderer. Dass diese Rolle ausgerechnet dem lange als Vizekusen verhöhnten Bayer Leverkusen unter dem ehemaligen Bayern-Spieler Xabi Alonso als Trainer zukam, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Leverkusen ist den Münchnern fünf Spieltage vor dem Saisonende uneinholbar enteilt. Die jetzt schon gesammelte Ausbeute von 79 Punkten hätte in den vergangenen drei Spielzeiten auch am Saisonende zum Titel gereicht. Man mag es kaum glauben, aber der FC Bayern hat aktuell sogar vier Zähler mehr auf dem Konto als zum gleichen Zeitpunkt vor einem Jahr.

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Wie geht es weiter? Komplizierter Umbruch und die Trainersuche

Die als Münchner Eigentum angesehene Meisterschale ist somit vorerst verloren, was aus Sicht des FC Bayern aber auch als Befreiung angesehen werden kann. Bei den erfolgsverwöhnten Fans dürfte der nächste Titelgewinn mehr Euphorie auslösen, als es der zwölfte in Folge getan hätte. Die von Hoeneß und Rummenigge neu installierte Führung um Sportvorstand Max Eberl und Sportdirektor Christoph Freund hat nun ein noch umfassenderes Mandat, den lange überfälligen Umbruch durchzuführen. Obwohl der Klub wirtschaftlich hervorragend aufgestellt ist, erscheint diese Aufgabe unter den aktuellen Bedingungen aber nicht einfach.

Mögliche Verkaufskandidaten wie Goretzka oder Gnabry haben hochdotierte Verträge und streben keinen Abschied an. Bei Sané, Kimmich und Davies steht der FC Bayern aufgrund ihrer 2025 auslaufenden Verträge unter Druck. Die Spieler könnten sich mit potenziellen neuen Arbeitgebern auf einen ablösefreien Wechsel im kommenden Sommer verständigen und dafür Handgelder einstreichen, dem FC Bayern entgingen so Transfereinnahmen. Wohl spätestens in zwei Jahren werden mit Müller und Neuer zwei in jeglicher Hinsicht tragende Säulen ihre Karriere beenden - die einzigen, die bei allen elf Titeln dabei waren.

Wunschspieler dürften aufgrund der generellen Transfermarkt-Entwicklungen und des Wissens der Konkurrenz über die Münchner Not unterdessen kostspielig werden. Hoffnung auf eine erfolgreiche Zukunft macht immerhin ein junges, hochveranlagtes Trio bestehend aus Musiala, Eigengewächs Aleksandar Pavlovic und Mathys Tel.

Ehe der künftige Kader geplant wird, muss aber zunächst die Trainerfrage geklärt werden. Tunlichst sollten sich die Münchner etwas langfristiger als zuletzt und vor allem mit voller Überzeugung auf einen Trainer und dessen Philosophie festlegen. Dass sich dieses Vorgehen lohnt, zeigen viele Beispiele. Am wohl eindrücklichsten der Viertelfinal-Gegner in der Champions League: Mikel Arteta wurde mit dem FC Arsenal zweimal nur Achter, ehe er durchstartete.

Nach etlichen Absagen bei der Trainersuche erscheint Tuchels Vorgänger mittlerweile tatsächlich als naheliegendste Option auf seine Nachfolge. Eine Rückkehr Nagelsmanns würde zwar ein kolossales Fehler-Eingeständnis und Finanz-Fiasko darstellen, mangels Alternativen aber durchaus Sinn ergeben.

Die Wende zum Guten nach dem Tiefpunkt von 2012 und somit den Beginn der nun zu Ende gegangenen Meisterserie schaffte mit Heynckes übrigens auch ein Trainer-Rückkehrer.