Handball - DHB-Team nach EM-Aus: Sad Boys! Eine Schülermannschaft unter Schock

Das DHB-Team ist bei der EM in Kroatien in der Hauptrunde ausgeschieden
© getty

Das DHB-Team hat bei der EM in Kroatien zum Abschied eine schallende Ohrfeige von Spanien erhalten. Vor allem Torhüter Andreas Wolff findet deutliche Worte. Und: Die Kritik an Bundestrainer Christian Prokop nimmt weiter zu.

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Es war ein bisschen ein Gefühl wie an Aschermittwoch, was sich in der Stunde nach dem deutschen EM-Knockout in Varazdin abspielte. Umgehend begannen Helfer, allerlei Gegenstände aus der Arena zu karren. Tische, Garderoben und Getränke, alles musste raus. Schließlich ist das Turnier für die Stadt im Norden des Landes beendet - genauso wie für die deutsche Mannschaft.

Der einzige, aber gewichtige Unterschied zu Aschermittwoch: Für gewöhnlich gehen diesem Tag rauschende Feste voraus. Das DHB-Team hingegen trat in Kroatien fast die ganze Zeit über so auf, als wäre der Kater von Beginn an da gewesen. Gehemmt, fahrig, einfach nicht voll da.

Die ernüchternde Bilanz aus DHB-Sicht: Sechs Spiele, zwei Siege, zwei Unentschieden, zwei Niederlagen und damit Platz fünf in der Hauptrundengruppe II. Beispielsweise hinter Tschechien, das als großartiges Team auftritt, von der individuellen Qualität aber biedere Zweitklassigkeit verkörpert.

"Man muss ehrlich sein: Mit dieser Bilanz hat man im Halbfinale nichts zu suchen", sagte Torhüter Silvio Heinevetter. "Wir haben unser Ziel verpasst. Es sind bei diesem Turnier viele Sachen nicht am Optimum gelaufen", erklärte Bundestrainer Christian Prokop: "Aber ich konnte wichtige Erfahrungen sammeln und glaube, dass man das in Zukunft sehen wird."

Andreas Wolff: "Wir haben uns aufgegeben"

Verbesserungen müssen allerdings nicht in Zukunft, sondern sofort eintreten. Was die teilweise schon als "Sad Boys" verspottete DHB-Auswahl in der zweiten Halbzeit gegen Spanien zeigte, war der Tiefpunkt eines schlechten Turniers, bei dem der Wille der Mannschaft zwar zu erkennen war, die Überzeugung allerdings stets fehlte.

In der 34. Minute hatte es noch 15:15 gestanden, ziemlich exakt zehn Minuten später 15:23. Acht Treffer in Folge gelangen den Spaniern, Deutschland blieb dagegen knapp zwölf Minuten ohne eigenes Tor. Alle Verunsicherung, die während des Turnierverlaufs bereits immer wieder zu spüren war, trat nun in geballter Form auf. Ein technischer Fehler jagte den nächsten.

"Wir haben in der zweiten Halbzeit ein katastrophales Spiel abgeliefert", nahm Andreas Wolff kein Blatt vor den Mund: "Die Körpersprache war schlecht, wir haben uns aufgegeben. Wir haben keinen kühlen Kopf bewahrt und wie eine Schülermannschaft vorne die Bälle ins Aus geworfen."

"Wir haben den Spaniern den Sieg geschenkt", ergänzte Prokop: "Ich habe versucht, mit dem siebten Feldspieler zu agieren, damit wir noch einmal rankommen. Aber auch diese Maßnahme ist verpufft, weil wir drei Treffer auf das leere Tor bekommen haben."

Christian Prokop in der Kritik

Der 39-Jährige war die ganze EM über Misstrauen ausgesetzt. In den kommenden Tagen und Wochen werden die kritischen Stimmen gegen seine Person sicherlich nicht weniger werden.

"Soll ich jetzt etwas gegen den Trainer sagen? Das ist doch Schwachsinn! Wir haben zu viele Fehler gemacht. Was will man da jetzt den Trainer vor den Karren spannen? Da muss sich jeder an die eigene Nase fassen", stellte Heinevetter klar und lag damit richtig. Zumindest wäre es viel zu einfach, lediglich Prokop die ganze Schuld für das Scheitern in die Schuhe zu schieben.

DHB-Vizepräsident Bob Hanning brachte dennoch im Interview in der Mixed Zone eindeutig zum Ausdruck, dass sich auch der Bundestrainer hinterfragen muss: "Der Trainer ist Teil der Mannschaft. Er ist genauso Teil der Truppe, wie ich es bin und wie es jeder einzelne Spieler ist. Deshalb muss der Trainer seine Entscheidungen genauso wie ich meine und die Spieler ihre seriös aufarbeiten. Um dann zu Lösungen zu kommen, wie man es in Zukunft besser machen kann."

Finn Lemke: "Alles muss besser werden"

Anzeichen, wonach der Mann aus Sachsen-Anhalt, der beim DHB noch bis 2022 unter Vertrag steht, bereits nach seinem ersten Turnier um seinen Job bangen muss, gibt es bisher aber nicht. Dies wiederum könnte sich bald ändern, wenn sich nicht schnell ein klarer Aufwärtstrend abzeichnet.

Schließlich richtet Deutschland gemeinsam mit Dänemark 2019 die Weltmeisterschaft aus. Und vor den eigenen Fans kann es sich der größte Handballverband der Welt erst recht nicht erlauben, erfolglos abzuschneiden oder gar desaströs aufzutreten.

"Alles", antwortete Finn Lemke, für dessen anfängliche Nichtnominierung Prokop besonders heftig Prügel bezogen hatte, auf die Frage, was bis zur WM besser werden müsse: "Wir haben einen langen Weg vor uns. So, wie wir in Kroatien aufgetreten sind, dürfen wir uns bei der Heim-WM auf keinen Fall präsentieren."

Die schonungslose Analyse, das kündigte Hanning an, wird in den kommenden drei Wochen stattfinden. Bis dahin bleibt Trainer, Funktionären und Spielern Zeit, einen klaren Kopf zu bekommen. "Wir müssen diesen Schock erst einmal verdauen. Dann sieht man weiter", sagte Heinevetter und schlich mit gesenktem Kopf aus der Arena von Varazdin.

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