"Schon 10.000 Mal auf der Playstation gespielt!"

Von Interview: Florian Regelmann
SPOX-Sportschef Florian Regelmann traf Marcel Siem in Köln
© mercedes-benz

Marcel Siem hat aufregende Wochen hinter sich. Der 32-Jährige feierte in Marokko seinen dritten Turniersieg auf der European Tour und verpasste nur ganz knapp seine erste Teilnahme am Masters in Augusta. Im SPOX-Interview spricht die aktuelle Nummer 50 der Welt über neue Ziele, den 14-jährigen Siem und das Internet-Phänomen Dufnering.

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SPOX: Herr Siem, Sie haben zuletzt bei der Trophee Hassan II Ihren dritten Sieg auf der European Tour gefeiert. Leider hat es dennoch nicht für eine Masters-Teilnahme gereicht, weil Henrik Stenson am Abend auf der US-Tour meinte, er müsse jede Menge Birdies spielen...

Marcel Siem: (lacht) Der Sack.

SPOX: Wie haben Sie den Abend und Ihr "Schicksal" verfolgt?

Siem: Mein Vater hat mir immer SMS geschrieben und mich auf dem Laufenden gehalten, wie es aussieht. Ich hatte gar keinen Bock, mich damit zu beschäftigen. Wenn es passiert wäre, dann wäre es passiert. Ich hatte alles getan, was in meiner Macht stand und konnte es nicht mehr beeinflussen.

SPOX: Danach hatten Sie noch eine letzte Chance, um nach Augusta zu kommen. Die Valero Texas Open gewinnen. Mit einer 76 an Tag 1 ging es aber erst mal sehr bescheiden los.

Siem: Es war extrem kalt am Donnerstagmorgen, dazu kannte ich den Platz auch nicht wirklich gut. Da lief am Anfang wenig zusammen. Aber wie ich mich dann in den nächsten Tage berappelt habe, war cool. Es hat Spaß gemacht.

SPOX: Wie war denn die Gefühlslage am Sonntagabend?

Siem: Klar wäre es schön gewesen, beim Masters dabei zu sein. Natürlich tut das dann weh. Aber dass ich nicht gewonnen habe, war gar nicht das Schlimmste für mich. Ich war zwar bis auf einen Schlag dran und hatte die Hoffnung, dass es eventuell tatsächlich reichen könnte, wenn ich noch ein paar Birdies nachlege. Aber viel schlimmer war, dass ich aus den Top 3 rausgeflogen bin. Damit hätte ich direkt meine Tourkarte für Amerika machen können. Auf der anderen Seite hat mein Caddy zu mir gesagt: 'Sag mal, bist Du eigentlich bescheuert? Du hast letzte Woche gewonnen, kommst nach Texas runtergeballert, knallst eine 76 hin und jeder denkt, wieder mal typisch Siem, einmal so, einmal so, und kämpfst dich dann so toll zurück. Das ist doch super.'

SPOX: Selbst das Triple-Bogey an der 12 war ja sehr unglücklich, oder?

Siem: Ja. Ich habe drei Tage lang wirklich richtig gutes Golf gespielt. Dann habe ich einen schlechten Schlag gemacht und hatte einfach richtig Pech mit der Lage, zack, schon war das Triple-Bogey auf der Karte. Aber was schön war und auch meinen Caddy beeindruckte, war die Art und Weise, wie ich darauf reagiert habe. Ich habe direkt danach ein Eisen 6 an den Stock genagelt, mich nicht aus der Ruhe bringen lassen und die Runde stark zu Ende gespielt. Das muss ich als positiven Schritt für meine Karriere nehmen.

SPOX: Eine Woche später, eine Woche zu spät, waren Sie dann auch unter den Top 50 der Welt.

Siem: (lacht) Toll.

SPOX: Die Top 50 waren immer ein großes Ziel, um eben alle großen Turniere mitspielen zu dürfen.

Siem: Es nimmt jetzt alles zum Glück Fahrt auf. Als Nächstes werde ich aufgrund meiner Platzierung in Texas bei der Zurich Classic in New Orleans aufteen dürfen - und an dem Sonntag ist, meine ich, auch der Stichtag, um in die Players Championship in Sawgrass reinzukommen. Das ist für mich auch eine Riesensache. Sawgrass ist ja inoffziell so was wie das 5. Major und sehr prestigeträchtig. Und Sawgrass und die berühmte 17 habe ich auf der Playstation 10.000 Mal gespielt. Es gibt viele Sachen, auf die ich mich jetzt freuen kann. Deshalb war das Verpassen des Masters jetzt auch nicht so tragisch, auch wenn ich es mir natürlich nicht am Fernsehen angeschaut habe. Das ging nicht.

SPOX: Eine der großen Storys beim Masters war der 14-jährige Tianlang Guan. Die Klassiker-Frage: Was haben Sie mit 14 gemacht?

Siem: Ich wäre auf jeden Fall kein Kandidat gewesen, um mit 14 das Masters zu spielen. Ich hätte in dem Alter zu viele Schläger zerbrochen. Ich habe ihn im letzten Jahr in China ein bisschen beobachtet, er ist ein Riesentalent, Tiger hält ja auch sehr viel von ihm. Meiner Meinung nach kommt es aber alles zu früh für ihn. Hoffentlich wird er nicht verheizt, das wäre schade.

SPOX: Zurück zu Ihnen: Sind Sie mittlerweile so selbstbewusst, dass Sie zu jedem Turnier fahren und wissen, dass Sie es auch gewinnen können?

Siem: Generall ja, wobei die Majors noch mal eine andere Nummer sind. Man darf auch nicht unterschätzen, wie groß der Vorteil ist, wenn man die Plätze schon kennt. Das merkt man auch, wenn man mit Leuten spricht wie Bernhard Langer, Colin Montgomerie oder Padraig Harrington, die die Major-Plätze, die ja immer wieder kommen, 20 Jahre oder länger schon gespielt haben. Das ist ein Riesenvorteil. Aber was mir jetzt viel Selbstvertrauen gegeben hat, war eben die Woche in Texas. Da habe ich gemerkt, dass ich auf US-Boden ganz vorne mitspielen kann.

SPOX: Vor Ihrem Sieg in Marokko waren die Ergebnisse durchweg ordentlich, es fehlte aber das Top-Resultat. Was hat in Marokko klick gemacht?

Siem: Ich habe im Prinzip seit meinem Sieg bei der Open de France im letzten Jahr bis jetzt zur Woche in Marokko überhaupt nicht im Siem-Style gespielt. Ich war brutal konstant, so immer zwischen Rang 25 und 40. Ich habe einfach nicht gut geputtet - und wenn du vorne sein willst, dann musst du die Dinger nun mal lochen. Ich habe dann seit Doral einen neuen Putter ausprobiert - und damit läuft es ganz gut. Dazu sind meine Eisenschläge noch mal ein Stück besser geworden. Mein Coach Günter Kessler ist auch zu mir nach Boca Raton gekommen und hat mir wieder viel geholfen. Ich habe im Winter extrem viel Techniktraining gemacht und hatte viel zu viele Schwunggedanken im Kopf. Ich habe wirklich vier, fünf Monate lang nur daran gedacht, was mein rechter Ellenbogen macht. Das haben wir aus meinem Kopf bekommen und jetzt kann ich einfach draufhauen.

SPOX: Sehen wir aktuell also den besten Marcel Siem aller Zeiten?

Siem: Ehrlich gesagt hatte ich noch gar nicht die Zeit, um zu reflektieren, was in den letzten Wochen passiert ist. Ich bin angekommen, war beim Geburtstag meiner Oma, die 87 geworden ist, und bin von Termin zu Termin gehetzt. Ich konnte es noch gar nicht genießen und mit meinen Kumpels ein Bierchen trinken. Meine Buddys schreiben mir die ganze Zeit: 'Geil, geil, geil.' Aber ich habe es noch gar nicht so richtig gecheckt. (lacht)

SPOX: Tiger Woods hat vor dem Masters gesagt, wie überragend er es findet, dass eine Karriere für Golfer so lange geht. Er ist 37 und fühlt sich, als sei er gerade erst in der Mitte angekommen. Sind Sie auch jemand, der "ewig" spielen wird?

Siem: So sehe ich mich auf jeden Fall auch. Ich sehe mich auch auf der Champions Tour irgendwann. Im Moment komme ich jetzt in meine beste Zeit, das ist auch klar. Ich bin ruhiger geworden, meine Technik ist so gut wie nie, ich bin fitter denn je. Ich freue mich einfach auf die Zeit, die kommt.

SPOX: Sie sprechen es an, dass Sie ruhiger geworden sind. Trotzdem werden Sie immer ein extrem emotionaler Spieler bleiben. Wie schaffen Sie es, die Emotionen besser im Griff zu haben?

Siem: Ich kann mit den negativen Dingen viel besser umgehen. Ich habe mit Mentaltrainer Bruno Hambüchen ein paar Geschichten gemacht, je mehr ich diese Dinge übe, desto besser wird es. Meine kleine Tochter ist sicher auch ein Faktor, weil ich auf dem Platz auch viel an sie denke.

SPOX: Sie müssen ja nicht gleich so werden wie Jason Dufner. Stichwort: Internet-Phänomen Dufnering.

Siem: Ich habe es natürlich gesehen. Ein Wort: unglaublich.

SPOX: "Sieming" würde sicher anders aussehen.

Siem: (lacht) Das steht mal fest.

SPOX: Noch mal zurück zur US-Tour. Nach Texas spielen Sie jetzt wie erwähnt in New Orleans. In den USA liegt weiterhin klar Ihre Zukunft, oder?

Siem: Die US-Tour ist wirklich wie gemacht für mich. Die harten, schnellen Grüns, um die Grüns herum sind viele Lobshots gefragt - alles Dinge, die mir liegen. Und vor allem stehen die Zuschauer auch drauf, wenn du Emotionen zeigst. Das wird in Europa ja nicht so gerne gesehen. Aber in den USA bekomme ich High-Fives von allen Seiten, das macht Spaß. Bei uns in Europa geht es zweifellos familiärer zu, reisen, Proberunden spielen, Abendessen, das ist alles schöner in Europa. Aber wenn das Turnier anfängt, gibt es nichts Geileres als die US-Tour.

SPOX: Abschließend: Mit welcher Marschroute gehen Sie in die nächsten Monate?

Siem: Ich muss mir neue Ziele setzen. Ich wollte mindestens ein Turnier gewinnen und die Top 50 knacken - beides habe ich nach sieben Turnieren schon geschafft. Ich werde mich mit meinem Trainer und meinem Vater hinsetzen und eines neue Paket an Zielen schnüren. Ich muss das machen. Wenn du dir keine Ziele setzt, geht es auch wieder ganz schnell nach hinten.

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