"20 Minuten war es mucksmäuschenstill"

Von Interview: Florian Regelmann
Martin Kaymer steht zum zweiten Mal im Team Europe für den Ryder Cup
© Getty

Am Freitag beginnt im Medinah Country Club in Medinah/Illinois der Ryder Cup. Martin Kaymer ist nach seinem Debüt 2010 zum zweiten Mal für Europa am Start. Im SPOX-Interview spricht der 27-Jährige über Krisengerede, den Fall Kevin Pezzoni und unfassbar stolze Gefühle. Und er gibt Einblicke in den Team Room.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: In den letzten Monaten haben sich viele Experten und Fans Sorgen um die Form von Martin Kaymer gemacht. Gerade was den Ryder Cup angeht, so nach dem Motto: Team Europe ist top aufgestellt, das einzige Problem ist die Form von Martin Kaymer. Wie viele Sorgen hat sich Martin Kaymer selbst gemacht?

Martin Kaymer: Klar, die Ergebnisse in dieser Saison sind noch nicht so, wie ich sie mir erhofft hatte, aber ich mache mir keine Sorgen darüber, beim Ryder Cup nicht meine Topleistung abrufen zu können. Ich freue mich wahnsinnig auf den Ryder Cup und für mich ist es eine Ehre, für Deutschland und Europa antreten zu dürfen.

Blog: Team Europe in der Vorstellung

SPOX: Die beiden Wochen mit guten Ergebnissen in Holland und Italien haben Mut gemacht. Reicht das, um wieder mit Selbstvertrauen zum Ryder Cup zu fliegen?

Kaymer: Ich habe die Pause vor den KLM Open bewusst gemacht und das Gefühl, einen weiteren Schritt nach vorne gemacht zu haben. Das Gefühl auf der Runde und die Ergebnisse gehen auf jeden Fall schon einmal in die richtige Richtung.

SPOX: Dennoch: Die letzten Monate waren sicher nicht einfach. Gab es Tiefpunkte? Momente des riesigen Frusts? Geduldig sein ist ja nicht einfach...

Kaymer: Ich bin der Überzeugung, dass das Leben einem fortwährende Lernprozesse bietet und auch ich habe über dieses Jahr hinweg neue Erfahrungen gemacht. Schwierige Zeiten gehören zum Leben dazu und mich spornt so etwas eher besonders an.

Blog: Team USA in der Vorstellung

SPOX: Es ist schon viel über die Schwunganpassung geredet worden. Viele Sportfans fragen sich sicher, er gewinnt ein Major, ist die Nummer 1 der Welt... jetzt ist er aus den Top 30. Warum hat er überhaupt etwas geändert?

Kaymer: Ich habe sehr viel an Details und Minimalitäten gearbeitet, ich will mein Spiel weiter verbessern. Es gilt, sich im Leben weiterzuentwickeln und diesen Prozess habe ich vor allem in diesem Jahr angeschoben. Wichtig ist der Glaube an einen selbst und den Weg, den man bestreitet.

SPOX: Als Sie in absoluter Topform waren, sind Sie wahrscheinlich am Tee gestanden und hatten diese brutale Überzeugung. Ist es jetzt gerade mehr Arbeit?

Kaymer: Man kann in der heutigen Zeit nicht mehr jedes Turnier gewinnen, das muss man akzeptieren. Rory Mcllroy beispielsweise wurde eine Krise angedichtet, nun spielt er sensationelles Golf. Ich sehe meine Position viel unkritischer als die Medien oder einzelne "Experten". Ich habe in diesem Jahr sehr hart und konzentriert an meiner golferischen Weiterentwicklung gearbeitet und werde auch schon bald meine Früchte dafür ernten können. Ich habe ein starkes Team an meiner Seite, wir reden sehr intensiv miteinander und ich halte es für wichtig, auch im Erfolg schon an die Zukunft zu denken und die richtigen Dinge anzustoßen. Mich persönlich reizt die aktuelle Herausforderung und ich habe sie angenommen.

Das Ryder-Cup-Tippspiel in der Community

SPOX: Das verstehe ich. Kann es aber vielleicht auch sein, dass Sie nach diesen Monster-Jahren, in denen so viel auf Sie eingeprasselt ist, etwas mit einer mentalen Müdigkeit zu kämpfen hatten? Manchmal hatte man den Eindruck.

Kaymer: Nein, ich glaube nicht. Ich trainiere immer noch sehr viel, hart und gerne und bin mir sicher, schon sehr bald wieder erfolgreich Golf spielen zu können. Ich liebe weiterhin, was ich tue, und das wird sich wohl so schnell auch nicht ändern.

SPOX: Wie es so ist im Sport: Kaum läuft es nicht, kommt sofort Kritik auf. Gerade im Internet-Zeitalter werden so einige Dinge gepostet. Wie gehen Sie damit um?

Kaymer: Damit muss ich umgehen, denn das ist Teil des Spiels als Person des öffentlichen Interesses. Viele Leute bestärken mich, glauben an mich und meinen Weg und darüber freue ich mich sehr. Es steht ferner jedem frei, Kritik zu äußern, ob sie berechtigt ist und die Art und Weise auch ethisch vertretbar ist, wird sich langfristig zeigen.

SPOX: Gerade als FC-Fan werden Sie den Fall Kevin Pezzoni verfolgt haben. Ist so eine Geschichte nicht auch irgendwo beängstigend?

Kaymer: Der Fall Kevin Pezzoni hat mich erschrocken. Ich denke, dass sich alle Beteiligten Gedanken dazu machen sollten, viel mehr möchte ich hier nicht dazu sagen. Ich finde seine Reaktion beeindruckend und richtig. Ich wünsche ihm für seine Zeit in England das Beste.

SPOX: Zum Ryder Cup: Wenn ich Celtic Manor 2010 sage, welche Bilder schießen Ihnen sofort in den Kopf?

Kaymer: 2010, Celtic Manor, ich erinnere mich noch gerne an das unfassbar stolze Gefühl zurück, das ich während der Eröffnungsfeier hatte. Die Nationalhymne, die gehisste deutsche Flagge und die wahnsinnige Stimmung im Team. Das I-Tüpfelchen war am Sonntag das überwältigende Gefühl des Sieges.

SPOX: Vor dem ersten Abschlag am Freitagmorgen: Auf einer Skala von 1 bis 10, wie nervös waren Sie?

Kaymer: Ich muss zugeben, ich war schon nervös, auf einer Skala von 1 bis 10 irgendwo am oberen Ende. Zu Beginn habe ich mich sehr unter Druck gesetzt und musste mir größte Mühe geben zu entspannen und frei aufzuspielen.

SPOX: Dieser besondere Zusammenhalt im Team ist ja wirklich speziell. Vieles spielt sich im Team Room ab. Geben Sie doch bitte mal einen Einblick: Was passiert im Team Room? Was geht da ab?

Kaymer: Im Jahr 2010 hatten wir als europäisches Team gemeinsam sehr viel Spaß im Team Room. Wir haben Playstation gespielt oder uns einfach nur unterhalten, auch über Dinge abseits des Golfplatzes oder die Atmosphäre. Das Beeindruckendste war jedoch ein Anruf von Seve Ballesteros, der von Colin Montgomerie auf Lautsprecher gestellt wurde und 20 Minuten über Passion, Siegeswille und den Ryder Cup gesprochen hat. Diese 20 Minuten war es mucksmäuschenstill.

SPOX: Captain Colin Montgomerie hat das Team in Wales einmal heiß gemacht, als es nicht so gut lief. Was war seine Message?

Kaymer: Richtig - er hat uns mit einfachen Worten vermittelt, dass dieses Turnier bis Sonntagnachmittag läuft und wir in keinem Fall auch bei einer deutlichen Führung schon früher den Wind aus den Segeln nehmen dürfen. Er hat uns angewiesen, bis zum allerletzten Loch konzentriert und sauberes Golf zu spielen. Wie wir heute wissen, lag er richtig, die Amerikaner haben gekämpft bis zum Schluss.

SPOX: Es ist das erste Mal, dass Sie den Ryder Cup in den USA spielen. Also als "Feind". Sie waren aber schon mal als Zuschauer in den USA dabei. Kann man das auch für sich nutzen, dass alle gegen einen sind?

Kaymer: Das stimmt. 2008 war ich in den USA als Zuschauer dabei, das war auch schon ein unfassbares Gefühl. Ich denke, dass der Ryder Cup in Medinah in diesem Jahr noch mal ganz anders sein wird als in Celtic Manor 2010. 80, 90 Prozent der Fans werden für die USA und gegen uns sein, das wird sicherlich nicht einfach. Trotzdem freue ich mich ungemein auf die Herausforderung und es wäre natürlich auch ein Wahnsinnserlebnis, auf US-Boden gegen das amerikanische Team zu gewinnen.

SPOX: Wie sehen Sie die Ausgangslage: Europa hat 4 der letzten 5 Duelle gewonnen, Team USA wird brutal stark sein, aber als Titelverteidiger kann man eigentlich nicht Außenseiter sein, oder doch?

Kaymer: Das amerikanische Team sehe ich aufgrund des Heimvorteils in diesem Jahr leicht in der Favoritenrolle, aber natürlich fahren wir auch nicht nur hin, um den USA entspannte Tage zu bereiten. Wir verfügen über ein sehr ausgeglichenes und junges Team - ich traue uns die Titelverteidigung mit ein wenig Glück zu.

SPOX: Was die Pairings angeht: Mit Lee Westwood hat es gut funktioniert, gehen Sie davon aus, dass ihr wieder zusammen spielt? Vielleicht auch mit Sergio Garcia? Was würde gut passen?

Kaymer: Ja, ich kann mit einigen spielen, aber natürlich hat man auch seine Vorlieben. Sergio Garcia beispielsweise ist ein absoluter Top-Spieler, der auch schon seit vielen Jahren in den USA lebt und spielt, für ihn wäre es natürlich besonders schön, auf US-Boden zu gewinnen. Mit Lee Westwood habe ich 2010 gepunktet und wir haben gut harmoniert. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, an der Seite von Nicolas Colsaerts zu spielen, mit dem ich mich auf und auch neben dem Platz gut verstehe.

SPOX: Gut für Europa: Rory McIlroy ist momentan der dominierende Spieler. Dabei hatte er, wie Sie vorhin schon mal erwähnt haben, in diesem Jahr auch eine Phase, in der schon von großer Krise die Rede war. Kann sich jetzt niemand mehr dran erinnern. So schnell geht es...

Kaymer: Das ist ja genau das, was ich meine, viele sind in der heutigen Zeit viel zu schnell mit einem Urteil. Man kann, wie ich vorhin schon gesagt habe, nicht mehr jedes Turnier gewinnen und verpasst auch ab und zu mal den Cut, wenn es schlecht läuft. Es gibt einfach viele Begleiterscheinungen, die dabei eine Rolle spielen, die aber nur der Spieler einschätzen und beurteilen kann. Rory hat mit seinen 23 Jahren ein unglaubliches Jahr hingelegt. Ich freue mich für ihn und bin froh, dass er in unserem Team ist.

Die Golf-Weltrangliste in der Übersicht

Artikel und Videos zum Thema