WM

Glücklich mit dem Kopf im Sand

Ein Bild mit Symbolcharakter: Der mächtige russische Präsident Wladimir Putin vor einem riesigen FIFA-Emblem
© getty

Gastgeber Russland hat vor der Auslosung am Freitag (ab 16 Uhr im LIVETICKER) hinter der Fassade seiner pompösen WM 2018 viel zu verbergen. Menschenrechtsverletzungen und Korruption werden getoppt von einem riesigen Dopingskandal. Gegenüber SPOX skizzieren die Dopingexperten Thomas Kistner und Jonathan Sachse ein düsteres Bild. Denn trotz erdrückender Beweislast und einem redseligen Whistleblower klappt das Vertuschen weiterhin hervorragend. Das liegt vor allem an der FIFA.

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Wer auf Ironie steht, der kommt rund um die WM-Auslosung im prunkvollen Kremlpalast von Moskau voll auf seine Kosten. Laut Ablaufplan trifft Wladimir Putin auf Diego Armando Maradona und Fabio Cannavaro. Im Dopingsprech müsste hinzugefügt werden: ausgerechnet auf Maradona und Cannavaro.

Der exzentrische Argentinier, zweifellos der beste Spieler seiner Zeit, wurde als bislang letzter Spieler während einer WM positiv auf eine verbotene Substanz getestet - 1994, fünf Tage nach dem Vorrundensieg gegen Nigeria und einige Tage mehr nach seinem Traumtor gegen Griechenland und dem von den TV-Kameras eingefangenen, legendären und fast schon Angst einflößenden Torjubel. Maradona hatte das früher unter Asthmatikern beliebte Aufputschmittel Ephedrin benutzt.

Viel weniger öffentlich, nämlich zunächst gar nicht, hat sich der junge und naive Cannavaro selbst dabei gefilmt, wie ihn der Arzt und die Betreuer vor dem UEFA-Cup-Finale seines AC Parma gegen Marseille im Jahre 1999 in aller Gründlichkeit wohl mit Epo versorgten. Fast schon legendär ist der im Video festgehaltene Ausspruch des späteren Weltmeisters: "Hau die Nadel rein, Doktor!"

Das Bild, das Putin heute mit den beiden ehemaligen Weltklasse-Fußballern abgeben wird, passt ungewollt wunderbar in die momentane Diskussion rund um das offensichtliche Dopingproblem in der russischen Fußball-Nationalmannschaft.

Bereits seit vergangenen Dezember liegen der FIFA die durch die Weltantidopingagentur (WADA) anerkannten fußballspezifischen Untersuchungsergebnisse des unabhängigen Sonderermittlers Richard McLaren vor, der nachweislich ein ganzes Vertuschungssystem im russischen Sport mit dem Höhepunkt bei den olympischen Winterspielen im heimischen Sotschi aufdeckte. Demnach wurde nicht nur für Olympia flächendeckend ein "staatlich gesponsortes Doping-System" (Zitat McLaren) betrieben. In dem Report sind auch 34 russische Fußballer als stark dopingverdächtig erwähnt - darunter der komplette WM-Kader von 2014. Jetzt verstärkt ein Whistleblower die Beweislast weiter.

Proben sind A-Nationalspielern zuzuordnen - Junioren betroffen

Die nicht analysierten insgesamt 155 "höchst verdächtigen" Proben aus dem russischen Fußball wurden von der WADA beschlagnahmt. McLaren und sein Team hatten das der FIFA damals umgehend gemeldet. Diese Proben stammen offensichtlich aus einem zweiten, separaten Vertuschungssystem. Im Sommer gab McLaren gegenüber der ARD zu Protokoll: "Es gab offenbar eine Bank mit sauberem Urin, und diese Bank wurde offenbar für Fußball genutzt."

Den Verdacht stützte der Chefermittler auf seiner Kommission vorliegenden Aussagen russischer Funktionäre. Im McLaren-Report ist beispielsweise eine Mail aus 2015 verschriftlicht, in der es über Fußballerproben heisst: "deutlich über dem Grenzwert." Das verbotene Stimulans Dexamethason sei im Urin eines Profis der ersten russischen Liga gefunden worden. Laut ARD gehörte diese Probe, versehen mit entsprechender Codierung, einem Nationalspieler.

Ebenfalls Ende 2016 deckte WDR Sport Inside mit Hilfe des McLaren Reports positive und später vertuschte Dopingtests bei der russischen U-17-Nationalmannschaft aus dem Jahr 2014 auf. Einige Spieler klopfen mittlerweile im dopingumwehten A-Team an. Im großen SPOX-Interview vor elf Monaten hatte der langjährige Dopingexperte der SZ, Thomas Kistner, bereits vorhergesagt, dass es "utopisch ist, dass die FIFA nach Vorlage der Report-Ergebnisse etwas unternimmt, weil der Wille bei den maßgeblichen Sportfunktionären einfach nicht da ist".

Dopingexperte Kistner: "So hat die FIFA Probleme schon immer gehandhabt"

Tatsächlich wendet der Weltverband seitdem beharrlich eine Art Taktik des Aussitzens an. In dieser Woche resümiert Kistner exklusiv gegenüber SPOX das Vorgehen der FIFA: "So kennt man die FIFA, so hat sie Probleme immer gehandhabt und unter der Führung von Gianni Infantino hat das eher noch zu genommen." Tatsächlich scheint die FIFA nur dann zu reagieren, wenn Sie durch die Institutionen, die Öffentlichkeit und die konkreten Sachverhalte unter Druck gesetzt wird.

Genau dieser Fall ist in den vergangenen Tagen eingetreten. Am Wochenende erklärte der Anwalt des russischen Whistleblowers Grigorij Rodtschenkow der Mail on Sunday: "Mein Mandant hat Beweise für die Verwicklung russischer Fußballer, auch Nationalspieler, in die Affäre. Die FIFA hat meine Mailadresse und meine Telefonnummer." Gemeldet habe sich bisher niemand. "Sie sind mit ihrem Kopf im Sand glücklich", sagt der Anwalt.

Rodtschenkow ist in Moskau eine hochbrisante Personalie. Er ist ehemaliger Chef des Moskauer Dopinglabors und war damit lange Zeit Drahtzieher von Doping und Vertuschung im Vorfeld von Sotschi 2014. Als der Druck ob mehrerer positiver Fälle vor allem im Biathlon zu groß wurde, wurde Rodtschenkow geschasst. Einem breiteren Publikum wurde er in der Netflix-Dokumentation Ikarus bekannt. Seitdem hält er sich an einem unbekannten Aufenthaltsort in den USA auf. Und obwohl seine Familie weiter in Moskau weilt, ist klar: Rodtschenkow will auspacken. Und tut dies auch fast täglich über nichtrussische Medien.

Whistleblower Rodtschenkow setzt FIFA unter Druck

Am Dienstag publizierte die mit ihm schon länger in Kontakt stehende New York Times lange, brisante Auszüge aus seinem Tagebuch. Diese belasten nicht nur Fußballer schwer, sondern entlarven Witali Mutko als zentrale Figur der Manipulationen bei den olympischen Spielen 2014 in Sotschi. Mutko ist nicht nur Vize-Premierminister Russlands, sondern gleichzeitig Vorsitzender des russischen WM-Organisationskomitees und Präsident des russischen Fußballverbandes (RFS). Bis vor kurzem war er sogar Exekutiv-Mitglied der FIFA - was per Satzung eigentlich verboten ist.

Von russischer Seite kommen seit Monaten ungeachtet der von McLaren sauber dokumentierten, erdrückenden Beweislast hartnäckige Dementis, die sich diese Woche wiederholten. Mutko sprach von einem "geplanten Angriff auf den russischen Sport".

Unterstützung von Seiten der FIFA-Lautsprecher und Entscheider im Hintergrund kann sich Russland wohl sicher sein, obwohl es mit Rodtschenkow nun einen weiteren, lautstarken Kritiker im WM-Vorfeld gibt. Schließlich geht es um das milliardenschwere Premiumprodukt der FIFA, die Weltmeisterschaft. Der Druck wird dennoch sicherlich größer und größer, gerade wenn Rodtschenkow weiter auspackt.

Aussagen der FIFA-Generalsekretärin lassen Taktik erkennen

Die neuesten Aussagen der FIFA-Generalsekretärin Fatma Samoura in dieser Woche lassen jedoch tief blicken: "Von der Informationslage, die uns vorliegt, können wir nicht von weit verbreitetem Doping im russischen Fußball sprechen." Sie verweist auf die Verantwortung der WADA.

Diese Aussagen kamen für Jonathan Sachse, der mit dem Recherchezentrum correctiv regelmäßig über Dopingpraktiken im Fußball aufklärt, nicht überraschend. Gegenüber SPOX sagt er: "Die Strategie der FIFA ist in diesen Sätzen klar erkennbar. Sie schiebt alle Verantwortung auf die WADA, hat aber gleichzeitig bis heute nicht mit Rodtschenkow gesprochen. Wenn die FIFA mit ihm nicht das Gespräch sucht, ist jeder Ruf nach Aufklärung reine PR des Weltverbands." Rodtschenkow und seine Aufzeichnungen wurden in diesen Tagen vom IOC etwa als höchst glaubwürdig eingestuft.

Natürlich ist die WADA selbst gefordert, aber man könnte als FIFA die Sache auch an sich reißen. "Das ist eine Frage des politischen Willens. Denn es geht momentan nicht um einzelne Fälle, sondern um die Frage, ob das komplette russische Team vor der WM 2014 gedopt gewesen ist. Und da, denke ich, gibt es von Seiten der FIFA nicht den Hauch von Aufklärungswillen", ergänzt Kistner.

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