"Der Fußball explodiert förmlich"

Von Stefan Rommel
Mio "Löwe" Nielsen ist verantwortlich für den Nachwuchs beim FC Kopenhagen
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SPOX: Was macht den letztlich den Unterschied, ob es ein Spieler im Profigeschäft packt oder nicht?

Nielsen: Es sind so genannte Sekundärtugenden - die für mich aber eigentlich Primärtugenden sind. Natürlich wird die fußballerische Komponente immer die wichtigste sein. Gleich dahinter kommen aber Dinge, die auf den ersten Blick mit dem Spiel auf dem Rasen nichts zu tun haben: Neugier, Perfektionismus, Wissbegierde.

SPOX: Das klingt einigermaßen streberhaft.

Nielsen: Wir hatten Spieler - und es waren unsere Besten - die uns Trainer regelrecht auf den Geist gegangen sind mit ihrem Wissensdurst. Sie waren so fordernd, wollten immer noch mehr lernen, Dinge hinterfragen. Die waren geradezu verrückt nach ständigem Feedback. "Wie war das nochmal mit der Übung?", "Was hätte ich da besser machen können?", "Wie ist Ihre Meinung dazu?" und so weiter. Das ist auch ein Talent: Sich nie mit dem Status Quo zufrieden zu geben.

SPOX: Kann man so etwas einem jungen Menschen beibringen oder steckt das im jeweiligen Charakter längst drin?

Nielsen: Grundsätzlich kann man alles lernen. Aber einige sind in diese Dingen von Grund auf fordernder als andere. Sie wollen nicht aufhören, sich zu entwickeln. Um das zu beurteilen, gehen wir im Trainerteam die entscheidenden Fragen durch: Wie gut kann ein Spieler Dinge aufnehmen? Wie offen ist er für Kritik? Ist er in der Aufarbeitung seiner Fehler selbst aktiv oder muss er ständig angetrieben werden? Wie schnell kann er mit dem neuen Input die gewünschten Fortschritte erzielen? Das sind entscheidende Fragen, die in Zukunft noch wichtiger werden. Alle Spieler, die sich beim FC Kopenhagen aus der Jugend bei den Profis durchgesetzt haben, waren ihren Altersgenossen in genau diesen Punkten voraus.

SPOX: Muss man die Jugendlichen auch im Umgang mit den neuen Medien schulen?

Nielsen: Wir versuchen das zumindest. Wir müssen den Spielern klarmachen, dass sie in der Öffentlichkeit immer als Spieler des FC Kopenhagen wahrgenommen werden. Entsprechend fordern wir eine gewisse Zurückhaltung ein. Der Klub trägt diese Linie voll mit und handelt entsprechend.

SPOX: Wie äußert sich das?

Nielsen: Zum Beispiel verzichten wir darauf, unsere Spieler in Spielberichten besonders herauszustellen. Und wir bieten keine Stenogramme von den Partien an, in denen die Torschützen explizit erwähnt werden. Es gibt Bewegtbild-Zusammenfassungen der Partien, auf eine weiterreichende Berichterstattung verzichten wir aber. Und Vertragsverlängerungen kommunizieren wir gar nicht. Es ist nicht gut, wenn junge Spieler schon zu sehr ausgestellt werden.

SPOX: Ist das Drumherum zu schädlich für die Entwicklung eines Spielers?

Nielsen: Ich wiederhole mich, wenn ich auf den Faktor Geduld verweise. Es ist ein Problem unserer Gesellschaft, dass niemand mehr Geduld aufbringen mag. Die sozialen Netzwerke, falsche Freund oder Berater und noch schlimmer: die eigenen Eltern, vernebeln den Blick auf die Realität. Dann kommt ein Vater an und verlangt tatsächlich einen Stammplatz für seinen 18-jährigen Jungen in der Profimannschaft. Wer zum Teufel kann so etwas allen Ernstes fordern?

SPOX: Dänemark ist ein vergleichsweise kleines Land mit wenigen aktiven Fußballspielern. Wie wichtig sind gerade deshalb schlaue Lösungen im Jugendbereich?

Nielsen: Wir sind nicht Deutschland oder Frankreich, wo es zehnmal so viele aktive Spieler gibt wie bei uns in Dänemark. Deshalb darf uns kein einziges Talent durch die Lappen gehen. Keines! Jeder Spieler, den wir übersehen, tut uns unheimlich weh. Und wir müssen ständig kreative Lösungen finden, um unsere natürlichen Nachteile einigermaßen zu kompensieren. Das gelingt mal gut, dann wieder nicht so gut. Die Nationalmannschaft ist derzeit leider weit weg von der Weltspitze. Wir müssen uns wieder verbessern, aber das dauert. Die anderen Nationen haben aufgeholt und uns teilweise überholt.

SPOX: Wie hat sich der Markt für junge Spieler verändert?

Nielsen: Der Markt hat sich in den letzten Jahren nochmal extrem gewandelt, manchmal spürt man eine regelrechte Goldgräberstimmung. Die großen Klubs zocken, wenn sie eine zweistellige Millionensumme für einen 19-Jährigen ausgeben, dem der ganz große Durchbruch zugetraut wird, der diesen aber noch nicht geschafft hat. Nur können sich das die wenigsten Klubs leisten.

SPOX: Können Sie sich gegen diese Übermacht denn wehren?

Nielsen: Wir stehen ständig unter dem Druck der großen Klubs in Europa. Wir müssen unseren Spielern deshalb klarmachen, dass auch dort nicht anders gearbeitet wird als hier. Vielleicht mit etwas mehr Geld im Hintergrund, aber inhaltlich? Nein! Warum sollte ein Spieler also sein gewohntes Umfeld verlassen? Außerdem zeigt die Erfahrung der letzten Jahre, dass gleich eine ganze Reihe von Spielern, die es doch versucht haben, schnell wieder zu uns zurückgekehrt ist.

SPOX: Herr Nielsen, wie sieht die Zukunft des Fußballs aus?

Nielsen: Es gibt nichts anderes auf der Welt, das man so toll zur Schau stellen kann. Der Fußball explodiert förmlich. Er ist omnipräsent. Das führt natürlich auch dazu, dass er auf gewisse Weise auch missbraucht wird, zumeist für wirtschaftliche Interessen. Ich glaube aber nicht, dass wir hier einer typischen Blase auf den Leim gehen, die irgendwann mit einem lauten Knall platzt. Wir als Klubs haben deshalb die Verantwortung dafür, dass das System nicht ausartet! Die Spirale wird sich weiterdrehen, das steht fest. Aber wir müssen das Tempo im Griff haben.

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