"Der BVB wird der BVB bleiben"

Carsten Cramer und Stadionsprecher Norbert Dickel über den Dächern von Dortmund
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SPOX: Passen in dieser Beziehung Entwicklungen zum BVB, in denen man nicht der Vorreiter ist?

Cramer: Selbstverständlich. Man muss sich ja nicht selbst die Finger verbrennen, sondern darf auch mal der Zweite sein. Wenn wir zum Beispiel bald eine WLAN-Struktur im Stadion aufsetzen, dann haben wir nicht den Ehrgeiz, dies vor jemand anderem zu tun. Wir wollen das richtig und gut machen. Wenn man dann von der Erfahrung anderer profitieren kann, wieso sie nicht in Anspruch nehmen? Uns ist es wichtig, dass die Menschen, die sich mit Borussia Dortmund identifizieren, ein gutes und passendes Angebot bekommen. Wir wollen nicht schneller als jemand sein, sondern so schnell wie möglich. Sind wir mal schneller als die Konkurrenz, dann ist das gut, aber nicht die Triebfeder unseres Handelns.

SPOX: Hans-Joachim Watzke rät dazu, in den Rückspiegel zu schauen und Konkurrenten wie Wolfsburg, Leverkusen und bald wohl auch RB Leipzig im Blick zu behalten. Wie stehen Sie dazu?

Cramer: Egal von welcher Position aus, es lohnt sich immer zu beobachten, was hinter einem geschieht. Man muss links und rechts vom Wege schauen und wissen, dass es genug Konkurrenten gibt, die auch nach oben wollen. Woher die Gefahr letztlich kommt, ist aber für uns egal. Wichtig in der Phase, in der wir uns derzeit befinden, ist, sich nicht auszuruhen und zu glauben, das würde alles so bleiben. Wir glauben in unserer momentanen Situation, dass die Zusammenarbeit mit strategischen Partnern der nächste Schritt für eine nachhaltige Entwicklung unseres Vereins ist. Dadurch ist unser Blickwinkel nach vorne gerichtet. Man kann aber immer Gefahr laufen, trotz einer erfolgreichen Momentaufnahme an der einen oder anderen Stelle überholt zu werden.

SPOX: Wirft man einen Blick ins Ausland, so ist beispielsweise Manchester City ab 2015 mit einem Farmteam in der amerikanischen MLS vertreten. Bei Paris Saint-Germain überweist dagegen Sponsor QTA, ein Touristen-Werbebüro für Katar, jährlich 200 Millionen Euro. Wie bewerten Sie solche Dimensionen?

Cramer: Diese Gebahren sind mit größter Aufmerksamkeit zu beobachten - verbunden mit der Hoffnung, dass die UEFA das Financial Fair Play an dieser Stelle ansetzt. Solche Vereine machen einem das Leben nicht leicht. Das sind Strukturen und Rahmenbedingungen, die wir bei uns nicht haben, nicht haben wollen und auch nicht gutheißen. Dennoch gehören sie zum Wettbewerb hinzu, so dass wir in unserem Fall eine individuelle, kreative BVB-Lösung als Antwort darauf haben müssen. Es wird auf Dauer nicht reichen, sich nur darüber zu beschweren.

SPOX: Diese neue Art der Dortmunder "Außenpolitik" wird gerade von Teilen der alteingesessenen Fans, die eher traditionelle Wertvorstellungen haben, bisweilen kritisch beäugt. Ist deren Angst, dass sich das Verhältnis des Fans zu seinem Verein einer reinen Kundenbeziehung immer weiter angleicht, in Ihren Augen berechtigt?

Cramer: Ich kann diese Ängste und Sorgen durchaus verstehen. Wir nehmen das Feedback der Fans auch in dieser Sache sehr ernst. Ich wünsche mir hier einen kleinen Vertrauensvorschuss, dass wir um diese Befindlichkeiten wissen. Wenn man wettbewerbsfähig bleiben will, muss man sich wirtschaftlich weiterentwickeln. Ich glaube, dass wir bisher den Spagat zwischen diesen beiden Welten gut hinbekommen haben. Die Nähe zu den Menschen und auch das Wissen darum, welche Relevanz die Menschen für Borussia Dortmund haben, führen aus unserer Sicht dazu, dass wir bestimmte Fehler nicht machen und uns von der Basis nicht zu weit entfernen.

SPOX: Welche Fehler meinen Sie?

Cramer: Wir achten darauf, dass wir bezahlbar bleiben und keine geschlossene Gesellschaft werden. Unsere Preispolitik ist ein kleines Indiz dafür: Unser Trikot kostet in Anführungszeichen nur 74,95 Euro und nicht wie andernorts 84,95 Euro. Ein Bier kostet nach wie vor "nur" 3,70 Euro, eine Wurst 2,60 Euro. Unser Stadion hat den größten Stehplatzanteil Europas. Der Signal Iduna Park ist deutschlandweit, was die Gesamtkapazität angeht, das Stadion mit der geringsten prozentualen Hospitality-Kapazität. Wir legen großen Wert auf die Fanbetreuung, haben fünf hauptamtliche Fanbetreuer und stehen in regelmäßigem Gedankenaustausch mit unseren Anhängern. Das sind in meinen Augen Beispiele dafür, dass wir diesbezüglich keine hohlen Phrasen tätigen, sondern diese Belange sehr ernst nehmen.

SPOX: Andererseits gibt es mittlerweile kaum noch eine funktionierende Alternative, sich gerade dem internationalen Wettbewerb mit Investoren-Klubs zu stellen. Deshalb ist der Verein quasi dazu gezwungen, Mittel der Umsatzsteigerung zu finden, die vielleicht nicht jedem Anhänger zusagen. Muss man diesbezüglich womöglich noch mehr Aufklärungsarbeit an der Basis verrichten?

Cramer: Wir müssen sicherlich immer im Dialog und transparent bleiben. Wir wollen die Menschen mitnehmen und eine Nähe zur Basis sicherstellen. Am Ende sind die überzeugendsten Argumente immer die, die vom Rasen aus kommen. Solche Sternstunden, die wir in der Champions League gegen Real Madrid oder den FC Malaga erlebt haben, wären ohne eine gewisse wirtschaftliche Potenz jedoch komplett ausgeschlossen. Vielleicht müssen wir künftig die Prozesse in diesem Bereich noch offensiver und proaktiver erklären. Es wird aber nie dazu führen, dass wir alle Menschen gleichzeitig glücklich machen.

SPOX: Gibt es ein Regulativ, mit dem Sie arbeiten, um einschätzen zu können, das Rad bei allem kaufmännischen Interesse nicht zu überdrehen?

Cramer: Sehr viele der Menschen, die derzeit für den Verein arbeiten, haben ihn in anderer Rolle kennen gelernt: Nämlich als es ihm ziemlich schlecht ging. Wenn man diese Situation miterlebt hat, geht man mit dem Erfolg anders um. Hans-Joachim Watzke hat auf der Pressekonferenz, als die zweite Kapitalerhöhung verkündet wurde, erneut zum Ausdruck gebracht, dass für sportlichen Erfolg keine Schulden gemacht werden sollen. Das ist eine klare Botschaft, die zeigt, wie wir mit dem hohen Gut Borussia Dortmund umgehen. Wir drehen alle Thematiken mehrfach um, bevor wir etwas absegnen. Ich hoffe daher, die Fans erkennen, dass die Fehlerquote bei uns überschaubar ist.

SPOX: Besteht durch die enorme Bindungsfähigkeit der Marke BVB und den damit einhergehenden Zuwachs an Fans und Sympathisanten nicht auch die Gefahr, sich ein Modepublikum ins Haus zu holen, welches dem Kerngeschäft Fußball gar nicht das größte Interesse beimisst?

Cramer: Das glaube ich nicht. Der BVB wird der BVB bleiben. Wir verkaufen für viele Partien nach wie vor unsere Karten nur an Mitglieder. Wir haben 55.000 Dauerkartenbesitzer, die Kündigungsquote liegt weiterhin bei unter einem Prozent. Wir werden das Stadion bald WLAN-fähig machen, gehen aber extrem sensibel damit um, wie wir das einsetzen. Wir wollen, dass die Menschen während der 90 Minuten Fußball schauen, Fußball atmen, Fußball leben - und nicht auf ihre persönlichen Bildschirme starren. Natürlich wollen wir neue Menschen gewinnen und mitnehmen, aber wir tun alles dafür, dass das Erlebnis bei uns im Stadion jenes bleibt, wofür wir weltweit bekannt sind.

SPOX: "Mia san mia", das Leitbild des FC Bayern, bedeutet ja nichts anderes als "Wir sind wir" - mit allen Stärken und Schwächen. Auch der BVB will auf seine Art und Weise mit Ecken und Kanten einzigartig sein. Wie viel des "Mia san mia"-Konzepts steckt denn dann auch im BVB?

Cramer: Bei uns bringt die "Echte Liebe" die Bodenhaftung, die Verbundenheit und Intensität zum Ausdruck. Alles, was wir machen, muss immer zu den Menschen und unserem Verein passen. Wir müssen schauen, dass wir nicht abheben und künstlich werden. Wir wollen die Menschen in der Herz-Region, in ihrer Emotionalität ansprechen. Daher ist das eine völlig andere Positionierung als das "Mia san mia".

SPOX: Sie persönlich sind für die BVB-Fans längst kein Unbekannter mehr. Bei den Spielen im Signal Iduna Park sieht man Sie neben Hans-Joachim Watzke sitzen. Was glauben Sie, wie Sie die Anhänger wahrnehmen?

Cramer: Ich habe Kraft meiner Aufgabengebiete sicherlich ein kontroverses Standing. Meine Arbeit mit den klassischen Marketingthemen erfährt eine andere Wertschätzung als der Sport. Ich stehe im Austausch mit unseren Anhängern, kann aber nachvollziehen, dass ich auf deren Beliebtheitsskala nicht ganz oben stehe. Aber auch ich habe eine emotionale Verbundenheit zu unserem Verein. Ich hoffe, die Fans nehmen mir ab, dass wir und ich alle zusammen im Sinne und Wohle Borussia Dortmunds handeln.

SPOX: Wie würden Sie Ihre Aufgabe kurz und prägnant auf den Punkt bringen?

Cramer: Ich benutze meist dasselbe Bild: Ich bin der Fensterputzer des BVB, dessen Aufgabe es ist, das Schaufenster, in dem Borussia Dortmund ausgestellt wird, so sauber wie möglich zu halten.

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