Vorsprung durch Stresstests

Von Stefan Rommel
Thomas Tuchel trainiert mit Mainz 05 nach dem differentiellen Lern-Ansatz
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Im Amateurbereich hat sich die Methode allerdings längst etabliert und ist in zahlreichen Versuchsmodellen erwiesen. Die Faustregel dafür, und die hat schon seit Jahrzehnten Bestand, lautet: Vom Allgemeinen zum Speziellen, vom Einfachen zu Schwierigen, vom Hundertsten ins Tausendste. Wobei beim differenziellen Lernen noch das Erfahren aus Fehlern dazukommt.

Hier werden in den Trainingsablauf bewusst Fehlerquellen eingebaut, um den Spieler auf mögliche Spielsituationen vorzubereiten oder ihm im Bewegungsablauf die Unterschiede zwischen fehlerhafter und optimaler Ausführung zu verdeutlichen.

Jonglieren und Passen gleichzeitig

Beim Torschuss kann dies zum Beispiel sein: Das Standbein vor, hinter oder neben dem Ball. Verschiedene Variationen der Oberkörper-, Arm- und Kopfbewegungen, die Variation des Anlaufs oder des Schwungbeins.

In der Ballbehandlung ist folgendes Modell effektiv: Spieler A und B stehen sich gegenüber. Spieler A jongliert einen Ball und spielt ihn hoch und senkrecht in die Luft. Jetzt erhält er einen flachen Pass von Spieler B und spielt diesen direkt zurück. Den herabfallenden Ball nimmt Spieler A sofort aus der Luft wieder auf und jongliert weiter.

Bei beiden Übungen gilt: Die Kombination der Abänderungen ergeben wiederum viele neue Bewegungsmuster, der Spieler erfährt neue Lösungswege.

In der Praxis sieht ein Versuchsaufbau in einer etwas komplexeren Übung mit Dribbling und abschließendem Torschuss wie folgt aus: Der Spieler dribbelt in normalem Tempo durch den Parcours, der Ball wird nach Möglichkeit beidfüßig geführt und die Aktion aus 16 Metern zentraler Position damit auch abgeschlossen. Im Tor steht kein Torhüter. Der Spieler kann sich also komplett auf seine Stärken konzentrieren und kann den Ball ohne großen Zeitdruck im Tor platzieren.

Jetzt dribbelt der Spieler in gesteigertem Tempo durch den Parcours, führt den Ball mit beiden Beinen und schließt aus 16 Metern ab. Im Tor steht jetzt zudem ein Torhüter. Der Spieler hat mehr Zeitdruck und benötigt jetzt schon mehr Ballkontrolle. Der Torabschluss gestaltet sich je nach Positionierung und Verhalten des Torhüters.

Der Spieler hat jetzt Druck durch einen halbaktiven Gegenspieler. Er muss improvisieren, auf die Reaktion die geeigneten Lösungen finden. Unter Umständen wird er in seiner Aktion abgedrängt, der Schusswinkel beim Torabschluss ändert sich. Von der ursprünglichen Ausgangslage sind nur noch rudimentäre Bruchstücke verblieben. Ein hohes Maß an technischer Kontrolle unter zeitlichem und räumlichem Druck ist vonnöten, um die Aktion erfolgreich abzuschließen.

Das Techniktraining ist schon längst eingebettet in andere Trainingsbereiche, die Übergänge dabei sind fließend. Kondition, Koordination, Taktik, Leistungssteuerung - alles nimmt Einfluss auf die technische Ausbildung eines Spielers.

Aus anderen Sportarten können für bestimmte Bewegungsabläufe elementare Dinge übernommen werden, wie zum Beispiel das Seilspringen als Basis für die Armbewegung beim Übersteiger dienen kann.

"Man darf das Thema nicht losgelöst, sondern komplex betrachten. Einst wurde großen Wert auf Ballbehandlung gelegt, auf beidfüßige Ausbildung, trainiert an Prellwänden. Das gehört auch heute noch zur Basisausbildung, die ich nach wie vor für sehr wichtig erachte. Man muss aber auch alters- und entwicklungsgerecht eine neue Methodik aufbauen", sagt Sammer.

Es gibt hunderte, vielleicht sogar tausende Übungen, die einen Spieler im technischen Bereich besser machen können. Aber erst ihre Verknüpfung untereinander oder bewusst eingestreute Differenzen ergeben praxisnahe Lerninhalte und erzielen größere Effekte im motorischen Lernen.

Aber: "Selbst wenn wir eines Tages die beste Technik zur Verfügung haben, ist immer noch Talent gefragt", sagt Buschmann. "Denn wir werden nie aus elf Ackergäulen elf Rennpferde machen können."

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