"Zwei Profis wollen sich outen, aber..."

Tony Quindt outete sich 2009 und setzt sich seitdem öffentlichkeitswirksam für die Belange schwuler Fußballer ein
© tony quindt facebook

2009 beendete der Amateur-Fußballer Tony Quindt sein jahrelanges Versteckspiel und bekannte sich in seinem Team und öffentlich zu seiner Homosexualität. Seitdem setzt er sich öffentlichkeitswirksam für die Belange schwuler Fußballer ein. Seine Verbindungen reichen bis in den Profi-Bereich. Im Interview erklärt er im Rahmen der SPOX-Themenwoche "Tabus im Fußball" die Schwierigkeiten eines Outings und berichtet von den Schauspielkünsten schwuler Profis.

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SPOX: Herr Quindt, Anfang des Jahres ging ein Dialog zwischen Thomas Hitzlsperger und Clarence Seedorf auf einem FIFA-Kongress in den sozialen Medien viral. Seedorf hatte mit ehrlichem Interesse aber sehr bestimmt nachgefragt, warum es Hitzlsperger so wichtig sei, seine sexuelle Orientierung der Öffentlichkeit mitzuteilen. Der Deutsche antwortete, dass öffentliche Bekenntnisse und Comingouts so lange notwendig seien, bis diese zur Normalität gehörten und erntete dafür überwiegend positives Feedback. Wie haben Sie diese Situation wahrgenommen?

Tony Quindt: Ich fand sowohl seine Reaktion als auch die Reichweite, die das Ganze erzeugt hat, gut. Dieser Wunsch von Herrn Hitzlsperger nach einem Stück Selbstverständlichkeit für sich und uns andere homosexuelle Fußballer, Sportler und Menschen aus anderen Branchen ist nachvollziehbar und auch der richtige Weg.

SPOX: Viele hofften, dass sein Outing 2014 für aktive Fußballer eine Art Türöffner sei. Doch passiert ist seitdem weitgehend nichts. Warum ist es noch so schwer, sich als Profifußballer zu outen?

Quindt: Ich habe mir damals auch viel erhofft, vielleicht auch zu viel. Ich nahm an, dass sich einige rasch anschließen würden. Vielleicht war der Zeitpunkt des Outings, ein paar Monate nach seinem Karriereende, zu spät gewählt. Die Reaktionen damals waren nicht nur positiv, gerade auch aus religiösen Kreisen. Teilweise fehlte in der Gesellschaft und auch im Fußball die Aufklärung. Es gab ja auch öffentlich Aussagen wie: 'Ich weiß nicht, wie ich mich gefühlt hätte, wenn ich in der Umkleidekabine gleichzeitig mit einem schwulen Teamkollegen hätte duschen müssen.'

SPOX: Jens Lehmann hat das in einer Talkshow gesagt.

Quindt: Ja, aber das war kein Einzelfall. Vorbehalte gibt es immer wieder, mal öffentlich, mal intern. Für ein Comingout benötigt ein Fußballer Selbstvertrauen und Sicherheit. Letzteres ist in Fußballvereinen nicht immer gegeben, egal auf welchem Niveau. Viele Parameter müssten stimmen. Der Spieler müsste sicher sein, dass sein Team, sein Trainer, der Vorstand und sogar die Sponsoren hinter seiner Entscheidung stehen. Davon sind wir in der Bundesliga noch weit entfernt. Dennoch: Hitzlspergers Outing war ein Schritt vorwärts. Andere Fußballer haben die Reaktionen wahrgenommen und müssen das nun für sich bewerten.

SPOX: Sie sind aufgrund ihrer Öffentlichkeitsarbeit gut vernetzt. Wussten Sie eigentlich vor seinem Outing, dass er schwul ist?

Quindt: Ich kenne zwar einige homosexuelle Bundesligaprofis, aber das wusste ich nicht. Ein offizielles Outing verhilft der Schwulen-Szene zu mehr Akzeptanz. Aber in der Szene erfahre ich schon Vieles und weiß, wer schwul ist und wer nicht.

SPOX: Der amerikanische Fußballer Robbie Rogers entschied sich nach einem Karriereknick in England 2013 zu seinem Comingout und beendete mit Mitte 20 zunächst seine Karriere. LA Galaxy ermutigte ihn einige Zeit später zum Comeback.

Quindt: Ein weiteres positives Einzelbeispiel. Innerhalb der MLS wurde er akzeptiert. Und sicherlich hat er auch für die amerikanische Gesellschaft einen Beitrag geleistet und viele Schwule können sich mit ihm identifizieren.

SPOX: Von ihm stammt das vielsagende Zitat: "Wir schwule Profifußballer sind gute Schauspieler, weil wir Angst haben, die Leute wissen zu lassen, wer wir wirklich sind." Sie haben ähnliche Erfahrungen im Amateurbereich gemacht, bevor sie sich geoutet haben, richtig?

Quindt: Zu Hause war ich von allem frei und dann ging ich zu meinem Fußballverein, zu meinen Teamkameraden, die ich sehr mochte und lange kannte, und konnte nicht ich selbst sein, weil ich homosexuell bin. Ich war dauerhaft unter Strom und musste aufpassen: Was sage ich jetzt? Wie bewege ich mich gerade? Sieht das männlich aus? Ich hatte Angst und wollte nicht, dass es meine Kollegen herausfinden und mich ausgrenzen.

SPOX: Welche Konsequenzen hatte das auf dem Spielfeld?

Quindt: Ich war immer der Stillste. Dafür habe ich hart gespielt, teilweise überhart, um besonders männlich zu wirken. Und nach dem Spiel ging es direkt weiter, wenn das Team beim Bierchen zusammen saß und es um Frauengeschichten ging. Ich wollte dazugehören, musste irgendwie mitreden und habe mir Geschichten ausgedacht, wie ich Frauen abschleppte. Ich habe mir eine Parallelwelt aufgebaut. Mit Frauengeschichten, Freundinnen, immer mehr Details. Es wurde irgendwann sehr, sehr anstrengend, diese Geschichten glaubhaft aufrechtzuerhalten. Lüge folgte auf Lüge, Geschichte folgte auf Geschichte. Irgendwann wusste ich selbst nicht mehr genau, was wahr war und was nicht. Diese psychische Belastung hat dazu geführt, dem Ganzen ein Ende zu bereiten und mich zu outen.

SPOX: Hatte dieses Versteckspiel auch Auswirkungen auf ihre fußballerische Leistung?

Quindt: Definitiv. Ich habe den Unterschied gemerkt. Nach meinem Bekenntnis war ich freier auf und abseits des Platzes. Ich musste mich weniger mit mir selbst beschäftigen und ständig überprüfen, ob meine Fassade aufrechterhalten bleibt, sondern war ich selbst. Tony, der mit seinen Jungs kickt. Ich habe mich richtig gut gefühlt, richtig frei. Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen.

SPOX: Und Ihr Team?

Quindt: Viele Mitspieler haben mir Monate, teils ein Jahr später erzählt, wie positiv das Comingout auf meine Persönlichkeit und meine Leistung gewirkt hat. Das war wohl deutlich zu sehen.

SPOX: Ist diese Rechnung auf den Profifußball übertragbar?

Quindt: Auf jeden Fall! Da ist der Leistungsdruck doch nochmal ungleich höher.

SPOX: Es geht um Nuancen.

Quindt Deswegen ist die Leistung so mancher homosexueller Profis nicht hoch genug einzuschätzen. Wenn das Versteckspielen aufhören würde, wer weiß, was dann noch alles möglich wäre. Wenn sich ein Bundesligaspieler offiziell outen würde und der Verein, die Fans, die DFL, der DFB und die Politik mit ihren Reaktionen dahinter stehen und beim ersten Spiel eine Gesamtatmosphäre erschaffen würden, in der sich der Spieler samt Team wohlfühlen würde, dann hätte das sicherlich Signalwirkung. Und dieser Spieler wäre vielleicht schon bald nicht mehr alleine.

SPOX: So ein Comingout kann aber auch negative Auswirkungen haben. Es gibt bestimmt auch einige User, die denken. 'Der hat leicht reden. Der spielt ja nur Kreisliga'. Wie fielen die Reaktionen bei Ihnen aus?

Quindt: In meinem eigenen Verein gab es null negative Reaktionen. Natürlich gibt es auch ein, zwei Typen, die damit nicht zurechtkommen, aber sie haben es mir nicht direkt gezeigt. Stattdessen haben mich viele ermutigt, beglückwünscht und den Dialog mit mir gesucht. Auch die Zuschauer haben mich stets angefeuert - und da sind bei uns im Dorf viele Rentner, die durchaus konservativ eingestellt sind. Wenn ich zum Beispiel eingewechselt werden sollte, waren die Anfeuerungen immer enorm. Da bekomme ich alleine beim Erzählen wieder Gänsehaut. Das hat mich sehr motiviert und ich sehe das nicht als Selbstverständlichkeit an.

SPOX: Und was ist mit gegnerischen Spielern und Fans?

Quindt: Das hat mich am meisten überrascht. Spieler aus anderen Teams kamen vor den Spielen zu mir und haben das Gespräch gesucht. Ich hatte eigentlich mit viel mehr Gegenwind und negativen Äußerungen gerechnet. Und wenn die gegnerischen Spieler so positiv sind, dann sagen auch deren Anhänger nichts.

SPOX: Gab es in der Hitze des Gefechts während des Spiels in engen Situationen keine Beleidigung, kein unangebrachter Kommentar, homophobe Äußerungen?

Quindt: Nein. Keine Situation, die diesem Klischee entsprechen würde.