"Fußballer sind moderne Gladiatoren"

Von Daniel Reimann
Norbert Elgert (l.) begleitete zahlreiche Stars auf ihrem Weg zu den Profis
© getty

Er formte Mesut Özil, Benedikt Höwedes oder Max Meyer zu Stars und ist eine Schalker Legende: U-19-Coach Norbert Elgert über Gefahren des Hypes, ein Angebot vom DFB und das von der Youth League verursachte Steuerungschaos.

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SPOX: Herr Elgert, als U-19-Coach müssen Sie oft nicht nur Trainer, sondern auch Pädagoge sein. Wie versuchen Sie, Nachwuchstalente vor dem alltäglichen Hype zu bewahren?

Norbert Elgert: Im Nachwuchsbereich haben wir einen erheblichen Einfluss. Deshalb habe ich bisher nie ein Angebot zum Profitrainer angenommen, da wir in der Jugend mehr auf die Spieler einwirken können. Aber auch meine Möglichkeiten sind begrenzt. Ich muss auch loslassen können.

SPOX: In welchem Fall?

Elgert: Die Gefahr, bei dem heutigen Hype abzuheben, ist für junge Spieler gewaltig. Die Verlockungen sind riesig. Ich sage meinen Spielern deshalb immer: "Je schneller du in diese Umlaufbahn geschossen wirst, desto schneller fliegst du wieder hinaus." Es funktioniert nach dem einfachen Prinzip "Daumen hoch oder Daumen runter". Fußballer sind moderne Gladiatoren: Wenn es nicht läuft, werden sie zerrissen. Damit müssen sie am Ende auch alleine fertig werden können.

SPOX: Was geben Sie Ihren Spielern als zentrale Idee mit auf den Weg, um sie vor dem Abheben zu bewahren?

Elgert: Dass kein Mensch besser ist als der andere. Diese Spieler sind so privilegiert: Sie spielen in den schönsten Stadien der Welt, ihr Foto ist in der Zeitung zu sehen. Sie verdienen mehr Geld in einem Jahr als alle Generationen vorher. Aber all das macht sie nicht zu besseren Menschen. Das hebt ihr Talent auch nicht über das eines Handwerkers oder Ingenieurs. Es ist immer besser, wenn sie im Laufe des Aufstiegs bescheiden bleiben. Die Menschen, die man auf seinem Weg nach oben trifft, trifft man auch beim Abstieg wieder. Das versuche ich den Jungs einzuimpfen.

SPOX: Manche verdienen bereits in jungen Jahren exorbitant viel Geld. Wie bewerten Sie es, wenn solche Spieler bereits protzige Uhren tragen und teure Autos fahren?

Elgert: Es gibt viel wichtigere Dinge als Materielles. Familie, Freunde und vieles mehr. Aber das Materielle spielt in unserer Zeit eine gewichtige Rolle. Geld ist flüssige Energie. Es gibt Menschen Sicherheit. Und es macht auch Spaß, sich mal etwas Großes leisten zu können. Nehmen wir meine Uhr als Beispiel. Die war gar nicht so teuer. Aber trotzdem habe ich sie mir erst mit 50 geleistet. Vorher bin ich nur an Schaufenstern vorbeigelaufen, bis meine Frau sagte: "Jetzt gönn' dir das doch mal!" Wenn sich jemand etwas erarbeitet hat und auch etwas für andere tut, dann hat er sich das verdient. Dann kann man sich auch mal etwas leisten.

SPOX: Gilt das auch für Ihre Nachwuchsspieler?

Elgert: Bei jungen Spielern bin ich nicht so stark dafür. Ich kann es zwar verstehen, weil es verlockend ist, weil jeder Mensch gelten möchte. Und je jünger man ist, desto früher neigt man dazu, Geltungsdrang über diesen Weg auszudrücken. Aber das ist unbedeutend. Ich werde nie vergessen, wie Benedikt Höwedes als Jungprofi auf dem Profiparkplatz mit der Rostlaube seiner Tante vorfuhr. Ich deutete auf all die anderen teuren Autos und meinte: "Toll, Benni - oder?" Er hat genickt. Und ich fügte hinzu: "Toll. Aber nicht wichtig." Das ist meine Meinung zu den Superautos, die der eine oder andere fährt. Benni hat das verstanden. Er war intelligent und bodenständig, er lebt noch immer so. Ich glaube, heute fährt er 'nen Beetle.

SPOX: Ein anderer Ihrer Schützlinge hatte es zuletzt nicht einfach: Max Meyer tut sich seit Jens Kellers Entlassung schwerer. Stellt der Trainerwechsel für ihn ein Hindernis dar?

Elgert: Nach Trainerwechseln müssen sich Spieler immer neu positionieren. Das ist für die Jungen dann schwieriger als für Etablierte. Aber wenn er zwischendurch mal zu kämpfen hat, sich letztlich jedoch behauptet, ist das für seine Entwicklung sehr positiv. Und ich bin mir sicher: Ein Spieler wie Max Meyer wird sich überall auf der Welt durchsetzen.

SPOX: Als es für Meyer nicht so gut lief, beschwerte er sich öffentlich, dass Di Matteo zu wenig mit ihm rede. Halten Sie das für ratsam?

Elgert: Als Coach bin ich aber immer dafür, Dinge intern zu lösen. Di Matteo ist mit Sicherheit der Letzte, der dem direkten Gespräch mit einem Spieler aus dem Weg gehen würde. Aber Max ist nicht nur ein toller Fußballer, sondern hat auch einen starken Charakter. Er ist ein Fußballer mit Leib und Seele. Wenn man mit so viel Leidenschaft dabei ist, haut man in seinem Frust auch mal einen raus. Letztlich hat er ja auch nichts Ehrenrühriges oder Verletzendes gesagt.

SPOX: War er schon immer ein Spieler, der auch mal Ansagen macht, wenn ihm etwas nicht passt?

Elgert: Als er in seinem ersten Jahr in der Profimannschaft mal nicht eingesetzt wurde, rief er abends bei mir an und sagte: "Trainer, ich will morgen bei euch mitspielen!" Er war unzufrieden, wenn er nicht spielen konnte. Er ist total fußballverrückt. Wenn er auf den Platz geht, ist egal, ob da 100.000 Menschen, 100 oder nur ein Einziger zuschauen. Ob er ausgepfiffen wird oder nicht. Max hat einfach nur Bock auf Fußball. Das hilft ihm, auch unter Druck sein komplettes Potenzial auszuschöpfen. Er hat keine Angst.

Seite 1: Elgert über Geld als Energie, Meyers Kampf und Höwedes' Rostlaube

Seite 2: Elgert über die Krux der Youth League und ein Angebot vom DFB

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