"Es macht uns stolz, wenn Kroos ein Tor schießt"

Von Interview: Björn Thar
Hansa Rostocks Urgestein Juri Schlünz 20 Jahre nach der Meisterschaft 1991 mit alten Kollegen
© Imago

Juri Schlünz ist das Urgestein von Hansa Rostock und Chef des Nachwuchsleistungszentrums, das vom DFB mit drei Sternen ausgezeichnet wurde. Schlünz erzählt im Interview, wie die Zertifizierung genau abläuft und erklärt, wie für ihn der ideale Werdegang eines Talents aussieht.

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SPOX: Herr Schlünz, Sie sind Leiter des Nachwuchsleistungszentrums beim FC Hansa Rostock, für die es in diesem Jahr vom DFB drei Sterne gab - die höchste Auszeichnung.

Juri Schlünz: Die Zertifizierung ist ein sehr gutes Instrument, um die Nachwuchsleistungszentren noch etwas hervorzuheben. Für unsere Arbeit ist es eine Bestätigung. Wir haben wenige finanzielle Mittel zur Verfügung. Unser Kreis besteht aus kompetenten Trainern, Betreuern, Mitarbeitern und Ehrenamtlichen, die Hansa leben und das alles machen, weil sie fußball- und hansaverrückt sind.

SPOX: Wie genau läuft denn solch ein Bewertungsverfahren ab?

Schlünz: Es gibt einen Anforderungskatalog mit acht Dimensionen, die der DFB mit der belgischen Firma "Double Pass" und den Nachwuchsleitern der Vereine entwickelt hat. Bei diesem Verfahren wird fast jeder Stein umgedreht. Man muss diesen Anforderungskatalog bearbeiten und abschicken. Es gibt eine Menge Dinge, die man nachweisen muss, um auf eine bestimmte Punktzahl zu kommen. 5000 Punkte sind zu vergeben.

SPOX: Und der DFB überprüft penibel, ob die Angaben auch wahrheitsgemäß eingetragen wurden, oder?

Schlünz: Natürlich. Es gibt eine Vorortbesichtigung, da werden diese ganzen Dimensionen noch einmal durchgesprochen. Es werden diverse Interviews mit den Verantwortungsträgern im Verein geführt. Das ganze dauert zwei Tage. Danach gibt es auch noch unangemeldete Beobachtungen beim Training und den Spielen. Irgendwann werden diese ganzen Faktoren ausgewertet und man bekommt ein Ergebnis.

SPOX: Die ausgezeichneten Nachwuchsakademien bekommen eine Prämie aus dem Solidaritätspool der UEFA. Von wie viel Geld sprechen wir da?

Schlünz: Das ist unterschiedlich. Ich weiß nicht, wer die Summe festlegt, aber sie liegt im fünfstelligen Bereich.

SPOX: Wie wichtig ist dieser finanzielle Gedanke für Hansa?

Schlünz: Eine Zertifizierung läuft über drei Jahre. Es gibt also Zahlungen über drei Jahre hinweg. Das ist für uns als kleinen Verein schon wichtig. Der Etat unseres Nachwuchsleistungszentrums liegt bei etwas über einer Million Euro. Unseren Konkurrenten steht das Vier- bis Fünffache zur Verfügung. Deshalb ist der Zuschuss aus dem Solidaritätspool natürlich ein besonderer Geldsegen für uns.

SPOX: Es gibt eine handvoll weiterer Bundesligavereine, die mit drei Sternen ausgezeichnet wurden. Was unterscheidet die Jugendarbeit des FC Hansa von diesen Vereinen?

Schlünz: Erst mal muss man fairerweise sagen, dass es 2007 drei Sterne zu vergeben gab und es seit diesem Mal nun einen Zusatzstern gibt, der für besonders hohe Durchlässigkeit vergeben wird.

SPOX: Hansa hat also zwei Sterne plus den Zusatzstern bekommen?

Schlünz: Genau. Andere Vereine sind mit drei Sternen in der normalen Zertifizierung ausgezeichnet worden, weil sie sehr gute Nachwuchsleistungszentren haben. Dort ist aber die Durchlässigkeit nicht so hoch ist wie bei uns.

SPOX: Weil Sie eher gezwungen sind, den Nachwuchs einzubauen als Mannschaften aus der 1. Liga?

Schlünz: Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht, denn wir waren damals ja noch Drittligist. Mit nur noch circa 700.000 Euro an Fernsehgeldern muss man zwangsläufig vermehrt auf den Nachwuchs setzen. Der Aufstieg hat aber auch bewiesen, dass unsere Jungs die nötige Qualität haben. Ein Bundesligist, der über ein ganz anderes Budget verfügen kann, guckt dann auch schon eher mal woanders hin, um sich fertige Spieler zu holen. Auch, um der Unsicherheit aus dem Wege zu gehen, ob der junge Spieler einschlägt oder nicht.

SPOX: Tauschen Sie sich mit anderen Nachwuchsleitern öfter mal aus?

Schlünz: Ja, man sieht sich regelmäßig bei Tagungen vom DFB. Aufgrund der regionalen Nähe habe ich gute Kontakte zu Werder Bremen oder Hertha BSC. Wir haben auch eine enge Zusammenarbeit mit dem SC Freiburg. Dort haben wir zusammen eine Datenbank für unsere Nachwuchsleistungszentren entwickelt. Das ist auch Bestandteil der Zertifizierung. Unsere Philosophie beinhaltet, dass man immer wieder über den Tellerrand hinausschaut.

SPOX: Müssen Sie nicht ständig damit rechnen, dass es Ihre Talente zu einem größeren Bundesligaverein zieht?

Schlünz: Dem Konkurrenzkampf können wir uns nicht komplett verschließen. Wenn unsere Landesauswahl Mecklenburg-Vorpommern irgendwo einen Ländervergleich hat, dann stehen da auch die Scouts von anderen Vereinen.

SPOX: Welche Signale muss der FC Hansa dann an die Talente aussenden, um Sie von Rostock zu überzeugen?

Schlünz: Dass es eben mehr Sinn macht, bei einem Verein in der Nähe Fußball zu lernen und somit nicht aus seinem gewohnten Umfeld herausgerissen zu werden. Damit erhält man eine gewisse Geborgenheit, die eine familiäre Atmosphäre schafft - das haben wir bei Hansa hinbekommen und das spricht sich auch herum. Weiterhin sehen die jungen Talente, dass sie hier bei entsprechender Leistung auch die Möglichkeit bekommen, sich in der Profimannschaft zu etablieren.

SPOX: Würden Sie denn ein Talent von weiter weg bei Hansa im Internat aufnehmen?

Schlünz: Grundsätzlich wollen wir das eigentlich nicht, aber im Leistungsbereich der B- bis A-Junioren ist es durchaus legitim. Ich glaube einfach, dass sich im Aufbaubereich ein D- bis C- Jugendspieler, der in der Nähe von Stuttgart Fußball spielt, in seinem dortigen Umfeld besser entwickelt.

SPOX: Ist der Anspruch an jugendliche Talente in den letzten Jahren höher geworden, um Profi zu werden?

Schlünz: Die Strukturen mit den sportbetonten Schulen oder den Eliteschulen des DFB sind so ähnlich wie vor 25 Jahren mit den Kinder- und Jugendsportschulen. Wenn ich Profi werden und damit Geld verdienen will, muss ich auf bestimmte Sachen einfach verzichten. Diese Disziplin ist auch heute noch gefordert. Wer das nicht macht, wird diesen Weg auch nicht gehen können.

SPOX: Wie gehen Sie mit denjenigen um, die den Sprung nicht schaffen?

Schlünz: Auch für diese Jungs tragen wir eine Verantwortung. Das Motto unserer Nachwuchsakademie lautet deshalb auch "Fit für's Leben". Wir versuchen aus all unseren Schützlingen vernünftige Menschen zu formen, die ihren Weg im Leben gehen können, selbst wenn sie den Sprung zu den Profis nicht schaffen. Wir haben eine soziale Verpflichtung.

SPOX: Wie sieht für Sie der optimale Werdegang eines Talents aus?

Schlünz: Ich habe selbst als Siebenjähriger bei Hansa angefangen. Ich empfinde das natürlich immer noch als ideal, wenn man in einem Verein bleibt, dort aufwächst und eine Identifikation schafft. Mit Pelle Jensen, Tom Weilandt und Kevin Müller haben wir Spieler in der ersten Mannschaft, die hier als kleine Jungs angefangen haben. Die stehen natürlich ganz anders zu dem Verein, als jemand, der alle anderthalb Jahre den Klub wechselt. Ich mag es nicht, wenn einer ein Tor schießt, das Wappen auf seinem Trikot küsst, aber sofort den Verein wechselt, wenn man mal auf der Bank sitzt. Die haben dann ein halbes Jahr später ein anderes Wappen am Mund. Das ist nicht mein Verständnis von Fußball.

SPOX: 2010 wurde Ihre A-Jugend Deutscher Meister und im Jahr darauf Vizepokalsieger. Wie wichtig sind diese Titel für Sie?

Schlünz: Wir freuen uns natürlich über solche Erfolge, die das Ergebnis unserer Arbeit widerspiegeln. Das Ziel unseres Nachwuchsbereichs ist es aber, primär unsere Top-Talente in die erste Mannschaft zu integrieren. Es macht uns deshalb sehr stolz, wenn der bei uns ausgebildete Toni Kroos für Bayern München ein Tor schießt und dann jedes Mal Hansa Rostock und Greifswald genannt werden.

Hansa Rostock im Steckbrief