Der vergessene Held des ersten Clasico

Udo Steinberg (hell hervorgehoben) als Student und Spieler des Mittweidaer Ballspiel-Club nach einem Spiel gegen Wacker Leipzig
© Hochschularchiv Mittweida

Real Madrid gegen den FC Barcelona - das Spiel, das im Jahr 2017 als "El Clasico" hunderte Millionen Fußballfans weltweit in seinen Bann zieht (20.45 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER), begann unter widrigsten Umständen. Längst vergessen ist der erste Held des ewigen Duells: Udo Steinberg.

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Während in Berlin im Jahr 1902 die erste U-Bahn den Betrieb aufnimmt, deutsche und britische Forscher die Antarktis im Wettrennen gegeneinander erforschen und in der Nähe von Bern das erste Skirennen in der Schweiz überhaupt stattfindet, gibt es auf der iberischen Halbinsel nur ein Thema: Alfonso XIII. Zwar ist der junge Bourbone laut Gesetz von seiner Geburt an König Spaniens, doch erst mit Vollendung des 16. Lebensjahrs und damit einhergehender Volljährigkeit darf er die Amtsgeschäfte von seiner Mutter übernehmen.

Warum das für die Geschichte des spanischen Fußballs elementar ist?

Der offiziell erst im März desselben Jahres gegründete Madrid Foot Ball Club - königlich wurde Real erst im Jahr 1920 - nutzt die Gelegenheit. Er lädt die angesehensten Mannschaften Spaniens zu einem Wettstreit in die Hauptstadt. Anlässlich der Thronbesteigung soll bei der Copa de la Coronacion das beste Team des Landes gekürt - und gleichzeitig Werbung für den aus dem Ausland importierten Sport betrieben werden. Fußballerisch ist Spanien ein Entwicklungsland.

Der Plan geht auf. Die späteren Königlichen und New Foot-Ball vertreten Madrid. Espanyol reist aus Barcelona an, während die dortige Universitätsmannschaft aufgrund der Examenszeit absagt. Bilbao schickt eine Auswahl und rühmt sich schon im Vorfeld gegenüber der Presse als beste Mannschaft des Landes.

Deutscher Immigrant sorgt für ersten Clasico - und trifft doppelt

Nur die Blaugrana ziert sich. Der im Jahr 1899 unter Führung des Schweizers Hans Gamper gegründete Football Club ist amtierender Meister der katalanischen Hafenstadt, die Reisebedingungen zur 600 Kilometer entfernten Hauptstadt erachtet der Vorstand jedoch als "inakzeptabel", berichtet Alberto Maluquer in seiner anno 1949 publizierten Historie des FC Barcelona.

Ausgerechnet ein deutscher Immigrant sorgt dafür, dass es doch zum ersten Spiel zwischen Madrid und Barcelona kommt. Udo Steinberg, 1877 als Sohn eines Kaufmanns in Berlin geboren, will die medial vorpreschenden Basken eines Besseren belehren. "Steinberg bot an, seine Kosten zu übernehmen und dem Kamerad, der sich diesbezüglich in Schwierigkeiten sah, die Mittel vorzuschießen", so Maluquer. Die Teilnahme ist besiegelt.

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Die wenigen fachkundigen Zuschauer erwarten am 13. Mai 1902 ein Schützenfest, als um 11 Uhr der Anpfiff ertönt. Die Madrilenen absolvieren im Halbfinale der ersten Copa del Rey gegen Blaugrana ihr erstes "Pflichtspiel".

Steinberg erfüllt die Erwartungen: Der Mittelstürmer erzielt die ersten beiden Tore für die Blaugrana, die schließlich 3:1 gewinnt. Es mag an der 1:2-Finalniederlage gegen die Basken liegen, bei der Steinberg wieder das Tor trifft, dass der Goalgetter selbst beim FC Barcelona vollkommen in Vergessenheit gerät.

Sächsische Hochschule erinnert FC Barcelona

Erst die Hochschule Mittweida erinnert den Weltklub an den Torjäger. Im Jahr 2013 erhielt die sächsische Bildungsstätte einen Hinweis, dass einer ihrer Absolventen angeblich den FC Barcelona mitgegründet habe. Die Suche nach den bekannten Namen führte im Hochschularchiv zu keinem Ergebnis. Ein irrtümlich nach Steinberg, dem vermeintlich ersten Österreicher in Reihen der Blaugrana, benannter Wiener Fanklub und Briefe des Absolventen aus der katalanischen Hauptstadt legten schließlich die Fährte. Steinberg hatte sich zwei Jahre nach der Gründung dem Klub angeschlossen.

"Wir dachten, wir bekommen eine kleine Dokumentation von 20 bis 30 Seiten zusammen", erklärt Dr. Marion Stascheit. Als Leiterin des Hochschularchivs stand sie an der Spitze des vierköpfigen Teams, das in deutschen und spanischen Archiven auf Spurensuche ging. Mehr als 40 Aktenordner haben sie in dreieinhalb Jahren zusammengetragen, das Leben des Sportpioniers in einem fast 300-seitigen Buch dokumentiert: "Wir waren vollkommen überrascht, dass es auch nach über 100 Jahren noch so viele Dokumente von und über ihn gibt."

Steinberg war Spitzensportler, Vereinsgründer, Sportfunktionär, Spielervermittler, Sportjournalist und Nachwuchsförderer in Personalunion. Seine Biographie ist exemplarisch und gleichzeitig außergewöhnlich für die Frühzeit des Fußballs auf dem europäischen Kontinent.

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