Ein mühsamer Weg zurück

Beim AC Milan gibt es erhöhten Diskussionsbedarf
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Dem eigenen Selbstverständnis zufolge ist der AC Milan noch immer einer der schillerndsten Klubs der Welt. Dabei haben die Rossoneri den Anschluss an die internationale Spitze verloren. Sportlich, wirtschaftlich, organisatorisch - vor der neuen Saison ist bei Milan kaum abzusehen, wohin die Reise geht.

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"Der AC Milan gehört zu den wichtigsten Marken im Weltfußball, das ist ganz klar." Kapitän Riccardo Montolivo formulierte am Dienstag vor dem Duell gegen den FC Bayern München (Do., ab 3 Uhr im LIVETICKER) im Rahmen der Audi Summer Tour, wo sich der AC Milan weiterhin sieht: bei den wichtigsten Klubs der Welt.

Und tatsächlich sind die Rossoneri nicht irgendwer. Der Vereinsname schillert nach wie vor mehr als andere.

Logischerweise: Immerhin stehen auf dem Briefkopf sieben Champions-League-Titel und 18 italienische Meisterschaften. Noch immer denkt man bei der Erwähnung des Vereins an Spitzenspieler wie Paolo Maldini, Kaka, Andrea Pirlo oder Carlo Ancelotti.

Meriten der Vergangenheit als Gefahr

Der Verein hat sich seinen Stolz verdient, keine Frage. Doch er läuft Gefahr, sich auf den Meriten der Vergangenheit zu sehr auszuruhen.

Ein Blick in die Gegenwart sieht nämlich weitaus weniger schillernd aus. Sportlich war die Ausbeute aus den letzten drei Spielzeiten in der Serie A TIM mager: Achter, Zehnter, Siebter - dreimal in Folge das europäische Geschäft verpasst. Die sportliche Perspektive? Unklar.

Dazu kommt gegenwärtig auch ein dickes Fragezeichen über der strukturellen und wirtschaftlichen Perspektive des Nobelklubs.

Seit einiger Zeit versucht Besitzer Silvio Berlusconi, der immerhin seit 1986 die Zügel in der Hand hält, den Klub in den asiatischen Markt zu verkaufen. Im vergangenen Jahr waren Verhandlungen mit einem thailändischen Investor bereits weit fortgeschritten, scheiterten kurz vor Abschluss jedoch noch.

Anfang Juli diesen Jahres kündigte Berlusconi schließlich an: "Ich habe den AC Milan an Leute verkauft, die dem Verein in Italien, Europa und der Welt wieder zu Ruhm verhelfen werden."

Verkaufs-Verhandlungen ins Stocken geraten

Chinesische Investoren haben den Zuschlag bekommen. Berlusconi hatte sich zuletzt zunehmend müde gezeigt. Nach 30 Jahren ist es für ihn an der Zeit, die Verantwortung für den AC abzugeben.

Investor gefunden, alles gut? Nicht so wirklich. Die Verhandlungen über den Verkauf sind nämlich zuletzt ins Stocken geraten. Die Parteien haben sich bislang nicht auf eine Verteilung der Anteile einigen können. Nach Informationen der "Gazzetta dello Sport" sollen nicht wie geplant 80 Prozent der Anteile verkauft werden, sondern alle.

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Zwar droht der Deal offenbar nicht zu platzen, die Einigung lässt jedoch noch auf sich warten. Und das hat auch wirtschaftliche Folgen für Milan: Angeblich hat der Klub bereits etwa 30 Millionen Euro dadurch verloren, dass Sponsoren wegen der unklaren Lage nicht verlängert haben.

In der Fanbasis sorgt man sich auch um die Reputation. Während der Lokalrivale Inter den Verkauf an den indonesischen Geschäftsmann Erick Thohir verhältnismäßig ruhig und geräuschlos abgewickelt hat, herrscht bei den Rossoneri Drama.

Personelle Planungen im Unklaren

Abgesehen davon erleichtert das Fragezeichen in der Vereinsstruktur auch die personellen Planungen nicht. Bislang ist am Kader, der die Vorsaison in der Serie A TIM nur auf dem siebten Rang abschloss, nicht allzu viel passiert.

Mit Angreifer Gianluca Lapadula (kam für 9 Millionen Euro von Delfino Pescara) und Linksverteidiger Leonel Vangioni (ablösefrei von River Plate) sind erst zwei echte Neuzugänge nach Mailand gewechselt.

Darüber hinaus entwickelt sich die Personalie Carlos Bacca mehr und mehr zur Farce. Der Kolumbianer soll verkauft werden. Schon zweimal war man sich mit West Ham United einig - doch der Stürmer selbst legte ein Veto ein. Er möchte lieber zu einem größeren Klub. An Interessenten mangelt es nicht, die Hängepartie passt jedoch insgesamt ins Bild, das Milan in den letzten Wochen abgab. Das Bild eines Vereins, der auf der Suche nach einer Linie ist.

Montella als Hoffnungsträger

Immerhin eine Personalie ist geklärt: Seit dem 1. Juli hat Vincenzo Montella die Rossoneri als Trainer übernommen. Der fünfte Trainer innerhalb von zwei Jahren soll endlich wieder Kontinuität bringen.

Spieler und Verantwortliche schwärmen vom 42-Jährigen. Auch der bekennende Milan-Fan Carlo Ancelotti hatte am Dienstag auf der Pressekonferenz des FC Bayern nur lobende Worte für seinen Kollegen übrig: "Montella ist ein hervorragender Trainer und ich bin sehr glücklich, dass er Milan übernommen hat. Er ist der Richtige, um sie wieder nach vorne zu führen."

Mit seiner direkten Art ist Montella in der Vergangenheit auch mal angeeckt. Zu seiner erfolgreichen Zeit als Trainer des AC Florenz (2012-2015) stand er bereits bei allen italienischen Topklubs in den Notizbüchern. Immerhin hatte er die Viola dreimal in Folge auf Rang vier geführt. Diese Popularität war ihm bewusst, weshalb er in den Vertragsverhandlungen mit der Fiorentina ein klares Bekenntnis vermied. Die Folge war seine Entlassung.

"Ich weiß, was ich zu tun habe"

Seine forsche Art hat er seitdem nicht abgelegt. Schon bei seinem Amtsantritt gab der neue Coach klare Ziele für seine Amtszeit in Mailand aus und stapelte dabei nicht gerade tief: "Milan muss das Ziel haben, wieder auf das höchste Niveau in Europa und in Italien zu kommen. Das wird ein mühsamer Weg, aber glauben Sie mir, ich weiß ganz genau, was ich zu tun habe."

Montella ist ein Trainer mit einer klaren Spielidee. Und diese will er seinem Team in der Vorbereitung nahebringen: "Jedes Spiel hilft mir dabei, sicher zu gehen, dass das Team meiner Idee vom Fußball folgt."

Ziel des Mannes aus der neapolitanischen Metropolregion ist es, eine neue, geduldigere Spielweise zu etablieren. Ein strukturierter Aufbau von hinten heraus, intelligente Ballzirkulation, Ballbesitzfußball. Die Idee Montellas riecht ein wenig nach Pep Guardiola. Oder eben auch nach der Milan-Trainerlegende Carlo Ancelotti.

Fragezeichen über dem Kader

Inwiefern Montella allerdings das Spielermaterial haben wird, um erstens seine Idee zu etablieren und mit dieser zweitens auch den angestrebten Erfolg einzufahren, ist ob der aktuellen Situation zumindest fraglich.

Der derzeitige Kader der Rossoneri genügt höheren Ansprüchen nicht wirklich. In nahezu allen Mannschaftsteilen fehlt in der Spitze die Qualität.

Ein paar Lichtblicke bilden die Ausnahme. Vor allem um den erst 17 Jahre alten Shootingstar im Tor, Gianluigi Donnarumma, will Montella in den nächsten Jahren eine Mannschaft aufbauen. Darüber hinaus hat der 21-jährige Alessio Romagnoli in der Innenverteidigung in der vergangenen Saison den nächsten Schritt gemacht. Vor allem auf seine Qualitäten in der Spieleröffnung wird Montella verstärkt setzen.

Auch Giacomo Bonaventura hat sich auf dem Flügel stark entwickelt und könnte eine tragende Rolle bei der Wiedergeburt der Rossoneri spielen.

Kaderstruktur als Chance?

Doch unter dem Strich gilt auch für den Kader: Der ganz große Glanz der vergangenen Tage ist verblasst. Weltstars wie Zlatan Ibrahimovic, Ronaldinho oder Pippo Inzaghi sucht man auf dem Aufstellungsbogen vergeblich. Stattdessen sind es viele Variablen, häufig fallen Floskeln wie "könnte ein Leistungsträger werden".

Genau solch eine Kaderstruktur kann für Montella auch eine Chance sein. Immerhin betont er selbst, ein Team zu wollen, das seiner Idee bedingungslos folgt. Da kann ein allürenbehafteter Starkader hinderlich sein. Die Entwicklung ist auf diese Weise wohl einfacher möglich.

Wirklich Zeit zur Entwicklung wird Montella allerdings nicht bekommen. Und die will er sich auch selbst nicht geben, schließlich hat er als absolutes Minimalziel das Erreichen der Europa League ausgegeben.

Die Situation des AC Milan ist in allen Bereichen brisant und dominiert von einer ganzen Menge Fragezeichen.

Ein Ausrufezeichen will der Klub im Zuge seiner US-Reise jedoch noch einmal dick unterstreichen: Der AC Milan ist eine Weltmarke. Nach wie vor. Noch.

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