Anthony Martial bei Manchester United vor dem Derby gegen City: Im Namen des Volkes

Von Jonas Rütten
Erlebte drei turbulente Jahre bei Manchester United mit Licht und Schatten: Anthony Martial.
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Im Sommer sprach noch alles dafür, dass Anthony Martial Manchester United eher früher als später verlassen wird. Ein öffentlich ausgetragener "Baby-Streit" mit Trainer Jose Mourinho verschlimmerte die Lage des 22-Jährigen. Doch dann wendete sich das Blatt: Plötzlich ist Martial gesetzt, erzielt Tor um Tor und steht auch bei Mourinho hoch im Kurs. Ein Umstand, den Martial besonders den United-Fans zu verdanken hat. Auch am Sonntag im Derby gegen Manchester City (17.30 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) könnte der Franzose eine tragende Rolle einnehmen.

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Fußball und Musik gehören zusammen. Das ist besonders in England so, dem Mutterland des Fußballs und der vielzitierten Wiege des Fangesangs. Popmelodien wurden hier zu Klassikern in den Fankurven. Nicht selten sind es Oden an Vereinslegenden, die durch die neue Textgestaltung entstehen.

Besonders kreativ, wenn auch nicht unumstritten, sind dabei die Fans von Manchester United. "When I die and they lay me to rest, I'm gonna go on a piss with Georgie Best", singen sie beispielsweise auf die Melodie von Norman Greenbaums "Spirit in the sky". Immer dann, wenn sie einen der besten Fußballer würdigen wollen, der jemals für die Red Devils die Schuhe geschnürt hat.

Ab welchem Legendenstatus sich ein Spieler seinen eigenen "Chant" verdient hat, ist nicht genau definiert. Es geschieht meistens einfach aus der Situation heraus. So war das auch vor drei Jahren, als ein nahezu unbekannter 19 Jahre alter Stürmer für satte 60 Millionen Euro von der AS Monaco zu Manchester United gewechselt war.

"Tony Martial came from France! English press said he had no chance! 50 million down the drain! As Tony martial scores again." Zu Deutsch: Tony Martial kam aus Frankreich und die englische Presse schrieb, er habe keine Chance und sei Geldverschwendung. Doch seht her, er trifft schon wieder. Melodisch untermalt wird das Ganze durch die Piranhas mit ihrem Chartstürmer "Tom Hark".

Am Sir Matt Busby Way ist die Martial-Abwandlung mittlerweile ein echter Hit. Nicht nur bei den Fans, sondern auch in der Kabine der Red Devils. Auch, weil der Franzose im ersten Jahr eben jene kritischen Medienberichte über Sinn und Unsinn des Transfers und die "lächerlich hohe Summe" eindrucksvoll widerlegte.

Besonders gerne wird er dann gesungen, wenn Anthony Martial das tut, wofür ihn der ehemalige United-Trainer Louis van Gaal im Sommer 2015 geholt hatte: Tore schießen. 42 Mal in 149 Spielen ist dem heute 22 Jahre alten Stürmer das gelungen. Zuletzt sogar fünf Mal in den vergangenen vier Premier-League-Spielen.

Dabei schien die Geschichte zwischen Martial und den Red Devils seit seinem zweiten Jahr auf kein gutes Ende hinauszulaufen.

Martial bei Manchester United unter Mourinho: Das abgelehnte Geschenk

Denn anders als von van Gaal gedacht, löste ihn nicht Ryan Giggs, sondern Jose Mourinho als United-Trainer ab. Und anders als van Gaal sah dieser in Martial kein "Geschenk", das ihm von seinem Vorgänger übergeben wurde, sondern einen Stürmer, der sich zu fein für Defensiv-Aufgaben sei und nicht in seine Spielidee passe.

Also setzte Mourinho Martial seit seiner Ankunft immer wieder Stürmer vor die Nase, die seiner Meinung nach besser zu seiner Spielphilosophie passten - oder schlichtweg einfach schon weiter in ihrer Entwicklung waren. 2016 war das Zlatan Ibrahimovic, 2017 folgte Romelu Lukaku und 2018 Alexis Sanchez.

Dementsprechend litten Martials Einsatzzeiten darunter. Kam er in der ersten Saison unter van Gaal noch auf 4.663 Spielminuten, waren es anschließend unter Mourinho nie mehr als 2.500. In diesem Zeitraum machte Martial lediglich elf Spiele über die volle Distanz und überzeugte dabei nur selten.

Davon nahm auch Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps Notiz: Martial musste vor dem Fernseher mit ansehen, wie sich die Equipe Tricolore im Sommer zum Weltmeister krönte. Deschamps begründete seine Entscheidung mit der großen Konkurrenz im Angriff, ließ aber auch durchscheinen, dass Martial ihn nicht vollends überzeugt hatte.

SaisonSpieleToreTorvorlagenSpielzeit
2018/19136-905 Minuten
2017/18451192.337 Minuten
2016/1742882.517 Minuten
2015/16491794.663 Minuten

Martial und Mourinho im "Baby-Streit": Tony will weg

Für Martial stand fest, dass sich etwas ändern sollte - nein musste. "Anthony will Manchester United verlassen", bestätigte sein Berater Philippe Lamboley gegenüber RMC Sport, noch während die Weltmeisterschaft. Es sah tatsächlich danach aus, als ob die vielbesungenen "50 Millionen" nur das waren, was viele Kritiker schon 2015 behauptet hatten: "For the drain". Zu Deutsch: rausgeschmissenes Geld.

Interessenten von Rang und Namen soll es zu diesem Zeitpunkt viele gegeben haben. Auch der FC Bayern wurde mit Martial in Verbindung gebracht. Als Martial dann auch noch aus dem Trainingslager der Red Devils abreiste und acht Tage wegen der Geburt seines Sohnes abwesend war, platzte Mourinho der Kragen.

Der Portugiese tadelte seinen Spieler öffentlich und befand, dass er "jetzt, wo das Baby da ist, wieder hier sein sollte, er ist es aber nicht". Martial konterte und sagte, dass seine Familie immer an erster Stelle kommen werde. Das Tischtuch schien endgültig zerschnitten. Ein Abschied von Martial scheiterte nur an der Tatsache, dass United keinen adäquaten Ersatz holen konnte.

Trugen einen Streit im Sommer öffentlich aus: Anthony Martial (rechts) und Trainer Jose Mourinho.
© getty
Trugen einen Streit im Sommer öffentlich aus: Anthony Martial (rechts) und Trainer Jose Mourinho.

Mourinho spottet über Forderungen nach Martial: Ihr wolltet es doch so

Also blieb Martial und erwog Ende August sogar eine Vertragsverlängerung. Böse Zungen behaupteten, dass er mit der baldigen Entlassung Mourinhos nach dem schwachen Saisonstart gerechnet haben soll, schließlich sah Martial auch in den ersten paar Wochen kaum Spielzeit.

Das änderte sich erst, als sich Mourinho dem Druck der Fans beugte, die immer wieder lautstark ihren Publikumsliebling gefordert hatten. Am 7. Spieltag erhielt Martial gegen West Ham den Vorzug vor Alexis Sanchez, die Red Devils lieferten eine desolate Leistung ab und verloren mit Martial 1:3.

"Das ist doch, was sie seit langer Zeit von mir wollten. Seit wie vielen Monaten fordern die Leute schon Martial, Martial, Martial? Also habe ich mich diese Woche so entschieden und ihm eine Chance gegeben", spottete Mourinho anschließend und wusch seine Hände angesichts der dürftigen Leistung des Publikumslieblings fast schon Pilatus-esk in Unschuld.

Martial gegen City ein Schlüsselspieler: Will Tony Martial score again?

Etwas mehr als einen Monat und genau sieben Pflichtspiele ist das nun her. Sechs davon machte Martial von Beginn an, traf dabei fünf Mal und war besonders in den engen Spielen in der Premier League gegen Newcastle, Chelsea, Everton und Bournemouth Mourinhos Zünglein an der Waage.

Mourinho, der den 22-Jährigen immer wieder für dessen fehlende Trainingsbereitschaft und defensive Nachlässigkeiten kritisierte, hatte ein Einsehen. Nicht nur, weil das Fan-Volk es so wollte, sondern auch, weil sich Martial verändert habe.

"Er verbessert seine Art, wie er über den Fußball denkt, wie er über das Training denkt, wie er über seine Rolle im Team denkt", lobte Mou sein van Gaal'sches Geschenk, mit dem er mittlerweile "sehr glücklich" sei.

Martials aktueller Lauf ist auch Deschamps aufgefallen, der den Stürmer zum ersten Mal seit März wieder für die anstehenden Spiele der Equipe Tricolore gegen die Niederlande und Uruguay nominierte. "Ich hoffe, er wird erwachsen", sagte Deschamps bei der Verkündung des Kaders.

Diese Hoffnung ist für die United-Fans mit Blick auf das anstehende Derby erst einmal zweitrangig. Martial soll sie gegen City wieder zum Singen und die Kritiker seines Transfers erneut zum Schweigen bringen. Schließlich war sein überraschendes und erfolgreiches Comeback in Mourinhos Kaderplänen nicht nur, aber anfänglich auch eine Entscheidung im Namen des Volkes.

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