Sporting im Selbstzerstörungsmodus: Und allerorts regiert das Chaos

Von Christian Schmidt
Bas Dost gehört zu den Spielern, die ihren Vertrag bei Sporting gekündigt haben.
© getty

Mit großen Ambitionen und aussichtsreicher Position in gleich mehreren Wettbewerben war Sporting in das Frühjahr 2018 gegangen. Ein meinungsfreudiger Präsident, skrupellose, vermeintliche Anhänger und flüchtende Spieler führten in den vergangenen Monaten aber zu einem beispiellosen personellen Chaos beim 18-maligen portugiesischen Meister.

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Rafael Leao gilt noch als relativ unbeschriebenes Blatt im internationalen Fußballbusiness. Das scheint angesichts seiner 19 Jahre und an einer Hand abzählbarer Einsätze für die erste Mannschaft Sportings nicht weiter verwunderlich. Bis Anfang Juli dürfte der Nachwuchsstürmer wohl nur absoluten Kennern des portugiesischen Fußballs ein Begriff gewesen sein.

Am 10. Juli änderte sich dies aber schlagartig. Laut A Bola stand der U19-Nationalspieler kurz vor einer Vertragsunterschrift beim BVB. Die Bild dementierte dahingehende Meldungen aber flugs, der Spieler sei ohne Termin mit den schwarz-gelben Verantwortlichen nach Dortmund gereist. Auch die Borussia selbst, welcher der Spieler durchaus ein Begriff war, reagierte irritiert und wusste nichts von angeblichen Gesprächen.

"Es ist nicht die Zeit, etwas zu kommentieren", übte sich Berater Nelson Almeida in nichtssagenden Beschwichtigungen und sprach von einem Urlaubstrip ins Ruhrgebiet. Zurück bleibt große Verwirrung um Leao, der als einer von mehreren Akteuren seinen Vertrag bei Sporting gekündigt hatte und sich wohl ohne Ablösesumme einem neuen Verein anschließen kann.

Die Episode um den Nachwuchsstürmer stellt bislang das letzte Kapitel einer beispiellosen sportlichen Chaosspirale bei Sporting dar, die in der Rückrunde der vergangenen Spielzeit immer schneller ins Drehen geriet.

Atletico Madrid beendete Sportings Europa-League-Traum

Noch im Frühjahr träumten sie bei Sporting nach dem bereits im Januar errungenen Ligapokal gegen Vitoria Setubal von drei weiteren Pokalen im nach eigenen Empfinden viel zu lange verwaisten Trophäenschrank. Ende Januar thronte Sporting an der Spitze der nationalen Liga und stand im Halbfinale des nationalen Pokals, in der Europa League glückte in einer Nervenschlacht gegen Viktoria Pilsen der Sprung unter die letzten acht Mannschaften.

Nachdem aber bereits im Laufe der Rückrunde der direkte Anschluss an den aufdrehenden FC Porto immer weiter verloren worden war, sollte das Aufeinandertreffen mit der durch zwei Finalteilnahmen in der Champions League gestählten Mannschaft von Atletico Madrid im Viertelfinale der Europa League den endgültigen Wendepunkt der Saison markieren.

Nach zwei schweren Aussetzern in der portugiesischen Hintermannschaft und einem ideenlosen Vortrag in der eigenen Offensive stand ein ungefährdeter 2:0-Sieg im Hinspiel für Atletico auf der Anzeigetafel. Vor allem die Blackouts der Abwehrkette brachten Präsident Bruno de Carvalho derart in Wallung, dass sich der 46-Jährige ohne Not zu einem öffentlichen Spielerrüffel genötigt sah.

Präsident und Sporting-Spieler liefern sich Streit über soziale Medien

"Solche schlimmen Fehler von international erfahrenen Spielern zu sehen, vergrößert unser Leiden", verbreitete der ambitionierte Präsident über diverse soziale Medien. Mit dieser Schelte zeigten sich die unmittelbar Beteiligten der Niederlage wiederum nur wenig einverstanden und konternten ebenfalls über ihre Social-Media-Profile.

"Im Namen des Teams drücken wir unsere Abscheu gegenüber den öffentlichen Aussagen unseres Präsidenten nach dem gestrigen Spiel aus, in dem wir nicht das gewünschte Resultat erreicht haben", ging über die Facebook- und Instagram-Accounts von 19 Sporting-Akteuren an die präsidiale Adresse hinaus.

Der Gegenwind der eigenen Spieler brachte de Carvalho endgültig zum Überkochen: "Diese verwöhnten Kinder glauben, dass sie es weit bringen, aber diesmal ist meine Geduld mit denjenigen zu Ende, die glauben, sich über den Verein stellen und sich über die Kritik hinwegsetzen zu können", schoss der Präsident zurück.

Der Netzwerkkrieg gipfelte darin, dass de Carvalho kurzerhand jene 19 Akteure vor die Tür setzte und ankündigte, sie könnten sich allesamt einen neuen Verein suchen.

Auch weil Trainer Jorge Jesus sich hinter seine Spieler stellte, blieb die großflächige Suspendierung der Sporting-Akteure aus, das zerrüttete Verhältnis zwischen Spielern und Präsident war in der Folgezeit aber kaum noch zu kitten.

Als hätte das immer weiter zerschnittene Tischtuch zwischen der sportlichen Führungsebene und den Akteuren auf dem Rasen eine zwischendurch äußerst verheißungsvoll verlaufene Saison nicht schon genug befleckt, sorgten vermeintliche Anhänger Sportings Mitte Mai wohl für den größten Eklat der portugiesischen Fußballgeschichte.

Vermummte Anhänger attackieren Sporting-Spieler

Nachdem Sporting am letzten Spieltag mit einer Niederlage gegen Maritimo noch die Zulassung zur Champions-League-Qualifikation verspielt hatte und Stadtrivale Benfica damit noch vorbeigezogen war, konnten 50 vermeintliche Anhänger ihre Enttäuschung über den Verlauf der Rückrunde offensichtlich nicht mehr zurückhalten.

Während sich die Spieler und Betreuer auf das Pokalfinale vorbereiteten, verschafften sich rund vier Dutzend Vermummte Zugang zum Trainingsgelände und griffen die Sporting-Angestellten mit Stöcken und Gürteln an. Ex-Wolfsburg-Akteur Bas Dost trug in Folge der Straßenkampf-ähnlichen Szenen derart schwere Verletzungen am Kopf davon, dass er in einem Krankenhaus mit sechs Stichen genäht werden musste. 23 Angreifer wurden im Anschluss von der Polizei festgenommen und in Untersuchungshaft genommen.

"Das ist nicht Sporting, das kann nicht Sporting sein. Wir werden alles tun, um die Täter zu finden und sie für dieses unglaublich feige Verhalten zu bestrafen", distanzierte sich der Verein umgehend von den Chaoten, auch zahlreiche Fans solidarisierten sich mit dem Verein und sprachen sich auf Transparenten gegen Gewalt aus.

"Wir alle haben um unser Leben gebangt", richtete sich Torhüter Rui Patricio im Anschluss an die Attacke in einem offenen Brief an den Verein und beschrieb darin das ganze traumatische Ausmaß der Geschehnisse.

Derart gezeichnet, platzte nur vier Tage nach dem Fanangriff bei der 1:2-Niederlage im Pokalfinale gegen Aufsteiger Desportivo Aves auch der letzte große Titeltraum Sportings. Die Auflösungserscheinungen beim Traditionsklub sollten indes nach der letzten Partie der abgelaufenen Spielzeit erst richtig an Fahrt aufnehmen.

Trainer und Spieler lösen Verträge bei Sporting auf

Im Laufe des Junis kündigten nacheinander Trainer Jorge Jesus, Torwart Rui Patricio, Daniel Podence, Bas Dost, Gelson Martins, Bruno Fernandes, William Carvalho und Nachwuchs-Akteure wie Leao ihre Verträge beim Tabellendritten Portugals und führten dies unter dem omnipräsenten Eindruck der Ultra-Attacke auf "gültige Motive" zurück.

Präsident de Carvalho vermutete hinter der Abwanderungswelle der Spieler aber mehr als nur die traumatischen Folgen des Fanübergriffs. Die Berater der Spieler hätten die Situation in seinen Augen intrigant ausgenutzt, um ihre Klienten zum Nulltarif an einen neuen Verein zu vermitteln und ein staatliches Handgeld zu kassieren. Vor allem Berater Jorge Mendes, der unter anderem auch Cristiano Ronaldo betreut und Sportings Patricio an Premier-League-Aufstieger Wolverhampton Wanderers vermittelt hatte, war erster Adressat der carvalhoschen Verschwörungstheorien.

Sportings wechselwillige Akteure in der Übersicht

SpielerPositionaufnehmender Verein
Rui PatricioTorhüterWolverhampton Wanderers
William CarvalhoMittelfeldBetis Sevilla
Daniel PodenceAngreiferOlympiakos Piräus
Gelson MartinsAngreifer-
Bas DostAngreifer-
Rafael LeaoAngreifer-

 

Genau wie bei den anderen Akteuren wird Patricios Abschied juristisch überprüft, die BBC berichtet von einem bei der FIFA eingegangenen Einspruch und einer Ablöseforderung Sportings in Höhe von 50 Millionen Euro für den Torhüter. Der ablösefreie Abgang von Carvalho konnte indes schon verhindert werden, der Europameister verlässt Sporting aber dennoch für 20 Millionen Euro in Richtung Betis Sevilla.

Auch im Falle von Bruno Fernandes durfte Sporting bereits aufatmen. Trotz ebenfalls zwischenzeitlichem deutlichem Abschiedswunsch unterschrieb der Mittelfeldakteur einen neuen Fünfjahresvertrag und gibt Sporting zusammen mit Rückkehrer Nani Hoffnung, dass weitere Akteure noch vom Verbleib zu überzeugen sind.

Mihajlovic nach neun Tagen als Sporting-Trainer wieder entlassen

Während ein juristisches Tauziehen um die wechselwilligen Spieler entstand, spielte sich auch auf der Trainerbank ein bizarres Schauspiel ab.

Sinisa Mihajlovic trat Mitte Juni als neuer Trainer die Nachfolge des ebenfalls geflüchteten Jesus an. Mit einem Dreijahresvertrag ausgestattet, sollte der Serbe Sporting aus dem sportlichen Chaos führen, nur um neun Tage nach Vertragsunterschrift schon wieder Geschichte in Lissabon zu sein.

De Carvalho, welcher Mihajlovic als neuen Trainer installiert hatte, wurde wenige Tage nach der Verpflichtung tatsächlich per Mitgliedervotum von seinem Amt enthoben, der neue Präsident Jose Sousa Cintra hatte offensichtlich andere Vorstellungen von der Besetzung der Trainerposition.

"Sporting hat sich entschieden, die Probezeit von Mihajlovic zu beenden und den Vertrag zu kündigen", verkündete der neue Präsident knapp auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz.

Deni Alar sagt Sporting ab: "Dort regiert das Chaos"

All das personelle Chaos und die Unsicherheit, ob nicht am nächsten Morgen schon ein neuer starker Mann bei Sporting das Sagen hat, ließen die Portugiesen auch auf dem sommerlichen Spielermarkt deutlich ins Hintertreffen geraten. Deni Alar von Sturm Graz stand exemplarisch schon kurz vor der Unterschrift in Lissabon, ehe der Stürmer den Wechsel doch noch platzen ließ.

"Dort regiert das Chaos", sprach Berater Franz Masser im Gespräch mit dem Kurier aus, was kaum einem Beobachter der Ereignisse in den letzten Monaten entgangen sein dürfte: "Der Vertrag lag schon zur Unterschrift bereit. Aber so, wie es bei Sporting zugeht, kann man da nicht hinwechseln."

Drei Tage nach Mihajlovics Entlassung nahm mit Jose Peseiro der Nächste auf der Trainerbank Platz, vorsorglich wurde der 58-Jährige, der Sporting 2005 ins Finale des UEFA-Cups geführt hatte, gleich nur mit einem Einjahresvertrag ausgestattet.

In chaotischen Zeiten wie diesen wäre schon ein einjähriges Verweilen Peseiros auf der Trainerbank als verheißungsvolles Zeichen von personeller Kontunität und Stabilität zu werten, welches vielleicht auch Rafael Leao von seinen Irrwegen zurück nach Lissabon führen könnte.

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